Macron: Wiederaufnahme der Beziehungen «auf konstruktiver Basis»
Bundespräsidentin Doris Leuthard rühmt die Dynamik und den Wunsch nach Effizienz des französischen Präsidenten. Paris seinerseits freut sich über die Beilegung des Steuerstreits. Ein erstes Treffen im Zeichen des Optimismus – ohne dass die streitigen Themen vom Tisch wären.
Mag Emanuel Macron die Schweiz? Viele Schweizer erhofften sich vom ersten Treffen zwischen Bundespräsidentin Doris Leuthard und dem französischen Präsidenten eine Antwort auf diese Frage.
Macrons Bewunderer in der Schweiz werten dessen Verbindungen mit der Eidgenossenschaft als formelle Beweise dafür: 2012 verteidigte Macron als Bankier bei Rothschild die Interessen von Nestlé. Er verbringt viel Zeit in Vevey und ist mit dem Ex-Chef des Nahrungsmittelherstellers, Peter Brabeck, per Du. Ausserdem sagt Macron von sich, er sei ein «Girondist» und stehe für eine gewisse Autonomie der Regionen – schon fast ein Föderalist, also.
Seit seiner Wahl zum Präsidenten regiert er aber eher wie ein «Imperialist», lässt die Abgeordneten beider Parlamentskammern im sogenannten Kongress von Versailles zusammentreten und stutzt lokalen Vorrechten die Flügel – nicht sehr schweizerisch.
Am Dienstag nach dem Treffen mit Leuthard begrüsste Macron die «Qualität» der schweizerisch-französischen Beziehungen und den «anhaltenden Willen, diese zu verbessern». Will heissen: Die Schweiz kann diesbezüglich noch Fortschritte machen.
Steuerstreit beigelegt
Mit Blick auf Steuerfragen beginne der Dialog wieder «auf konstruktiver Basis», sagte Macron. «Am 12. Juli hielten unsere Finanzminister die Wiederaufnahme unserer administrativen Kooperation schriftlich fest, was wir begrüssen.»
Die Schweiz hatte sich in den vergangenen Monaten geweigert, Informationen über französische UBS-Kunden weiterzugeben. Bern fürchtete, dass die Informationen gegen die Schweizer Grossbank verwendet werden könnten, gegen welche die französische Justiz wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung ermittelt. Wie wurde dieser Streit beigelegt, in dem es immerhin um rund 45’000 Konten geht?
Darauf angesprochen antwortete Leuthard ausweichend: «Wir haben stets das Spezialitätsprinzip verteidigt», sagte sie. Demnach dürfen ausgehändigte Informationen nur den französischen Steuerbehörden dienen und nicht der Justiz. «Unsere Behörden interpretierten dieses Prinzip aber unterschiedlich». Mehr sagte die Bundespräsidentin nicht.
«Ich bin sehr erstaunt über das Verhalten Berns mit Blick auf dieses Dossier» sagte der Waadtländer Nationalrat Fathi Derder (FDP.Die Liberalen). Er ist Präsident der Delegation für Beziehungen zum französischen Parlament. «Man sagt uns, das Problem sei gelöst, aber man sagt uns nicht wie. Als Parlamentarier habe ich also keine Garantie, dass die Behörden die Interessen des Landes verteidigen.»
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Joachim Son-Forget, Abgeordneter der Auslandfranzosen in der Schweiz, beschwichtigt: «Die beiden Staaten mussten nicht das Gipfeltreffen abwarten, um das Steuerdossier zu regeln. Das ist eher ein gutes Zeichen.»
«Normalisierung»
Nach Jahren, geprägt vom Steuerstreit, sprach Leuthard mit Blick auf die Beziehungen zwischen Bern und Paris von «Normalisierung». Auch für das heikle Dossier der Personenfreizügigkeit verwendet sie diese Bezeichnung. Frankreichs Regierung habe keine Probleme mit dem «Inländervorrang» am Schweizer Arbeitsmarkt, mit dem ab kommendem Jahr die 2014 vom Volk angenommene Initiative «gegen Masseneinwanderung» umgesetzt werden könnte, sagte Leuthard. Es seien keine zusätzlichen Wünsche geäussert worden, «das ist erledigt».
Man verliere sich bei Treffen zwischen Präsidenten nicht in Details, beschwichtigte Leuthard. Es zählten nur die grossen Tendenzen.
«Jedes Mal gibt es wieder ein neues Schliessungsdatum, und jedes Mal ändert sich das wieder»
Die «Dynamik» von Macron
Findet Leuthard, die bereits eine gewisse Erfahrung mit französischen Präsidenten hat, Macron anders, sensibilisierter für Schweizer Eigenschaften? Sie sehe keine grossen Unterschiede zwischen Macron, Sarkozy oder Hollande, so die Bundespräsidentin. Aber beim neuen Präsidenten spüre sie eine gewisse Dynamik, einen Wunsch nach Effizienz. «In der Vergangenheit warteten wir manchmal sehr lange auf Resultate.»
Ein gutes Beispiel hierfür ist das an der Grenze zur Schweiz liegende Atomkraftwerk Fessenheim. «Jedes Mal gibt es ein neues Schliessungsdatum, und jedes Mal ändert sich das wieder», sagte Leuthard lachend. Hollande versprach eine Schliessung für 2016, dann hiess es 2018. Der neue Premierminister Edouard Philippe, den die Bundespräsidentin ebenfalls traf, äusserte sich nicht zu einem konkreten Datum. «Ich denke, das ist eher eine finanzielle als eine energetische Frage», sagte Leuthard.
«Die neue französische Regierung hat das Vorgehen geändert», sagt Son-Forget. Statt sich auf einen einzigen Fall wie Fessenheim zu konzentrieren, strebe man eine globalere Herangehensweise an. Umweltminister Nicolas Hulot kündigte die Schliessung von bis zu 17 Reaktoren bis 2025 an und den Anteil von Atomstrom von 72% auf 50% zu reduzieren.
Bugey nach Fessenheim?
Um bis 2025 den Anteil des mit Atomenergie produzierten Stroms auf 50% zu senken, könnte Frankreich 17 der insgesamt 58 aktiven Atomreaktoren schliessen.
Die Schliessung von zwei Reaktoren ist bereits beschlossene Sache: Die beiden des Atomkraftwerks Fessenheim. Deren Schliessung sollte nach der Inbetriebnahme – zurzeit ist die Rede von 2019 – des neuen Druckwasserreaktors (EPR) in Flamanville erfolgen. Die Reaktoren von Fessenheim sind seit 1978 in Betrieb und somit die ältesten noch laufenden Reaktoren auf französischem Boden.
Von den verbleibenden 56 Reaktoren erreichen 17 bald die Limite von 40 Jahren Laufzeit. Beim Atomkraftwerk von Bugey nahe der Schweizer Grenze wurden vier Reaktoren zwischen 1979 und 1980 in Betrieb genommen.
Die Regierung hat die Schliessung von Atomkraftwerken aber noch nicht genauer geplant.
(Übertragung aus dem Französischen: Kathrin Ammann)
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