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Organspende, «Lex Netflix», Frontex: Drei Ja am 15. Mai 2022

Die Augen bleiben auf Frontex gerichtet

Zwei Grenzpolizisten in Bulgarien
Keystone / Vassil Donev

Mit dem "Ja" zur Aufstockung von Frontex bekennt sich die Schweiz zur europäischen Sicherheitsarchitektur – allerdings nicht uneingeschränkt.

Geht es um die Sicherheit, richtet sich die Schweiz gerne an Europa aus: Mit mehr als 71% Ja-Anteil haben die Stimmbürger:innen der Aufstockung der Grenzschutzagentur Frontex deutlich zugestimmt. Das ist wesentlich mehr als beim Beitritt zum Schengenraum, der 2005 mit 54,6% an der Urne angenommen wurde, sowie auch als bei anderen Urnengängen zu Schengen-Weiterentwicklungen. Und als eine Grundsatz-Abstimmung zu Schengen wurde die Frontex-Abstimmung von den Befürworter:innen geframt – auch um die Agentur selbst nicht ins Zentrum der Debatte stellen zu müssen. Denn deren Bild hat in letzter Zeit tiefe Kratzer abbekommen.

Den vorläufigen Höhepunkt bildete der Rücktritt des langjährigen Frontex-Direktors Fabrice Leggeri Ende April. Missmanagement und Belästigungen innerhalb der Agentur, Obstruktion und Irreführung der politischen Organe in Brüssel: Leggeri wurde persönlich für die Missstände verantwortlich gemacht.

Nichts wog jedoch schwerer als der Vorwurf, Frontex habe die mittlerweile bestens dokumentierten Pushbacks an den europäischen Aussengrenzen gedeckt oder sogar unterstützt. Und das wiederum geht über die Persona des Direktors hinaus: Die Agentur gilt vor allem in linken Kreisen als Symbol der «Festung Europa», die nicht-europäische Migrant:innen abwehren soll. Folgerichtig wurde das Referendum gegen die zusätzliche Finanzierung von Frontex von migrantischen Basisorganisationen ergriffen, deren Mitglieder übrigens zu einem grossen Teil selber nicht abstimmen dürfen.

Die Schweizer Frontex-Abstimmung war das erste Mal, dass eine Stimmbevölkerung dazu aufgerufen wurde, sich zur am schnellsten wachsenden europäischen Agentur zu äussern – und ironischerweise wurde ausgerechnet in einem Nicht-EU-Land über eine EU-Behörde abgestimmt. Überhaupt war es die erste Volksabstimmung über eine gesamteuropäische Sicherheitsbehörde.

Diffuser Abstimmungskampf

Die Bekämpfung von Kriminalität und illegaler Einwanderung war gemäss Umfragen ein zentrales Argument bei den Unterstützer:innen von Frontex. Insgesamt sehen Schweizer:innen Schengen positiv und profitieren stark davon – die Drohung von der Wiedereinführung von Grenzkontrollen und das Wegfallen europäischer Polizei-Kooperation im Falle eines Schengen-Austritts spielte ebenfalls eine wichtige Rolle.

Und natürlich auch die neue geopolitische Lage: Der russische Angriffskrieg hat den restlichen Kontinent zusammenrücken lassen; eine Absage an Frontex wäre in Brüssel als Affront aufgenommen worden. Und hätte die ohnehin angespannte Beziehungen zusätzlich belastet.

Der Abstimmungskampf nahm jedoch kaum an Fahrt auf. Zwar wurde hierzulande schon länger registriert, dass an den europäischen Aussengrenzen Flüchtlinge und Migrant:innen mit Gewalt abgewiesen werden – eine Schweizer Mitverantwortung wurde dabei jedoch nicht hergestellt. Mit der grosszügigen Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge hat man zudem das Selbstbildnis eines Landes mit einer grundsätzlich humanen Asylpolitik bestätigt gesehen.

Hinzu kommt, dass die Grünen und die Sozialdemokraten, die als einzige das Referendum unterstützten, eine schwer zu vermittelnde Kampagne fuhren: Anders als die Basisaktivist:innen sprachen sie sich zwar für Frontex aus, wollten jedoch die Finanzierungsvorlage ans Parlament zurückschicken, um sie mit einer Erhöhung der Resettlement-Kontingente zu verknüpfen. Zu kompliziert, zu unsicher.

Schweiz will sich einmischen

Wie geht es nun weiter? Die ukrainische Flüchtlingskrise, die grösste in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg, offenbart eine grosse Ungleichbehandlung von Flüchtlingsgruppen. Diese hat in der Öffentlichkeit zu Diskussionen geführt und könnte die erlahmte Debatte über die europäische Asylpolitik vorantreiben.

Als Hüterin der Genfer Konventionen steht die Schweiz beim Recht auf Asyl besonders im Fokus. Dass dieses – auch im Namen der Schweiz – an den europäischen Aussengrenzen verletzt wird, ist sowohl Gegner:innen wie Unterstützer:innen von Frontex klar. Die Schweiz ist auch im Frontex-Verwaltungsrat vertreten und wird voraussichtlich Grundrechtsexperten stellen, die im neu geschaffenen Spezialisten-Pool die Einhaltung elementarer Rechte an den Aussengrenzen überwachen sollen.

Der Abgang von Leggeri wird nun als Möglichkeit gesehen, die Agentur von innen heraus zu reformieren. Mit diesem Argument wurde das Referendum gewonnen – daran wird sich die Schweizer Regierung messen lassen müssen.

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