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Schweiz für russische Firmen immer interessanter

Der russische Investor Viktor Vekselberg verkündet seine neuesten Pläne über sein Engagement in der Schweiz. Keystone

Sie hatten noch als Türöffner gedient: Die ersten russischen Firmen, die in die Schweiz kamen. In den letzten fünf Jahren nun hat sich deren Zahl im Land auf rund 200 fast verdoppelt, sagt Regula Spalinger, Kennerin russischer Geschäftsaktivitäten in der Schweiz.

Der Löwenanteil dieser Geschäftsaktivitäten fällt auf die Rohstoffbranche, laufen doch nicht weniger als drei Viertel aller russischen Ölexporte über die Schweiz.

Die drei Schwergewichte der Branche Rosneft, Bashneft und TNK-BP treffen in Genf, Zürich und Zug auf immer mehr Landsleute aus anderen Branchen, die unternehmerisch in der Schweiz Fuss fassen wollen.

Diese repräsentierten hauptsächlich die Bereiche Finanz-Dienstleistungen, Immobilien, Tourismus und verarbeitende Industrie, sagt Regula Spalinger. Sie ist Leiterin der Beratungs-Plattform Kommunikation Ost-West, die auf Geschäftsbeziehungen zwischen Mittel-, Ost- und Südosteuropa spezialisiert ist.

«In den letzten fünf Jahren haben wir mit einer praktischen Verdoppelung eine starke Entwicklung russischer Aktivitäten in der Schweiz gesehen», sagt Regula Spalinger gegenüber swissinfo.ch.

Die neu ansässigen Firmen würden das stereotype Bild allmählich verändern, dass sich russische Geschäftsinteressen nur auf die Rohstoffe konzentrierten.

Modernisierungsschub 

Genaue Zahlen über russische Unternehmen im Land gibt es keine. Weder führt der Bund eine offizielle Statistik, noch sind die Kantone willens, die Namen der angesiedelten Firmen zu nennen.

Die höchste Zahl dürfte mit bis zu 70 der Kanton Genf beherbergen, gefolgt von Waadt, Zug und Zürich, lautet eine Schätzung von Kommunikation Ost-West.

In den Verzeichnissen der Plattform figurieren auch die beiden Schweizer Industriekonzerne Sulzer und Oerlikon. 31% von Sulzer gehört seit einigen Jahren der russischen Investmentfirma Renova.»

Dies ist kein Zufall: Schweizer Technologie wird in Russland heiss begehrt, um die dortige Wirtschaft zu modernisieren. Einerseits bedarf die Infrastruktur einer dringenden Erneuerung, andererseits soll die Abhängigkeit vom Öl- und Gassektor verringert werden. Soeben hat sich die Schweiz in einem Abkommen verpflichtet, Russland in seinen Modernisierungsbemühungen zu unterstützen.

«Mehr und mehr russische Firmen eröffnen in der Schweiz Niederlassungen, um deren Technologie nach Russland zu bringen», sagt Spalinger. Entweder würden die russischen Firmen in der Schweiz produzieren oder Schweizer Technologie für den Export einkaufen.

Andere wiederum sind auf die Abwicklung von Exporten von Maschinen und anderer Industrieprodukte spezialisiert, so etwa die EIT Export Industrial Technology in Neuenburg, die Erapa im zürcherischen Volketswil sowie Eurochem Trading und Cronos Im-Ex in Zug.

Grösse ist alles 

Trotz der Attraktivität von Technologie Made in Switzerland sei aber der Schweizer Markt zu klein, um im grossen Stil russische Interessen zu wecken, sagt Walter Fetscherin. Der ehemalige Schweizer Botschafter in Moskau ist heute Leiter der vereinigten Handelskammer, die sich um die Interessen der Schweiz, Russlands sowie einiger früherer Sowjetrepubliken kümmert.

«Ausser Renova gab es nur sehr wenig direkte russische Investitionen in den Schweizer Industriesektor», sagte Fetscherin. Russland konzentriere sich auf grössere Märkte wie Deutschland, die dem Land Vorteile im Handel mit seinen Rohstoffen brächten.

«Die meisten Schweizer Firmen sind für die aktuelle russische Modernisierungsstufe zu klein. Aber ich habe den Eindruck, dass in den nächsten Jahr mehr russische Firmen Schweizer Nischenprodukte entdecken werden», sagte der Russlandkenner.

Die Russen kommen 

Mehr als im Industriebereich tut sich laut Fetscherin im Schweizer Immobiliensektor sowie in Hotellerie und Tourismus. Regula Spalinger erwähnt eine spezielle Nische: Immer mehr kleine russische Firmen würden sich hier nach hochklassigen medizinischen Kliniken und Versorgungszentren umsehen, in denen sich Russen als so genannte Gesundheitstouristen behandeln lassen könnten.

Dass die Zahl der russischen Firmen in der Schweiz steigt, kann als gesichert angenommen werden. Aber was die Grösse der Investitionen und die Zahl der geschaffenen Arbeitsplätze betrifft, darüber herrscht keine Klarheit. Ungewissheit herrscht ferner über den Anteil von Briefkastenfirmen, welche die Schweiz lediglich als Steuerschlupfloch benützen.

Zusammenfassend könnte man die russischen Geschäftsinteressen in der Schweiz als beschränkt bezeichnen, äusserlich gekennzeichnet durch spärlich besetzte Büros an den hiesigen Niederlassungen.

Die Zahl der Russen in der Schweiz hat die Marke von 10’000 überschritten, doch gegenüber der Gruppe von Deutschen, Italienern, Briten, Franzosen und Amerikanern ist sie immer noch klein.

Sowohl Spalinger als auch Fetscherin sind überzeugt, dass die engeren wirtschaftlichen Verbindungen zwischen der Schweiz und Russland das Fundament für einen ausgedehnteren Handel legen.

«Aufgrund der vertiefteren Zusammenarbeit der beiden Länder wird sich der Trend, dass mehr russische Firmen in die Schweiz kommen, in den nächsten Jahren noch intensivieren», glaubt Spalinger.

Der Austausch zwischen den beiden Ländern hat sich von der Finanz- und Wirtschaftskrise erholt.

Im letzten Jahr stiegen die Schweizer Exporte nach Russland um 26% auf 2,6 Mrd. Franken, während sich die Importe auf 1 Mrd. Franken beliefen (+41%).

2009 hatten die Schweizer Investitionen 6,2 Mrd. Franken betragen. 150 Schweizer Firmen gaben 75’000 Russen Arbeit.

Das Efta-Mitglied Schweiz führt mit den Ländern der Zollunion Russland, Weissrussland und Kasachstan Gespräche über ein Freihandels-Abkommen.

2010 verabschiedeten die beiden Länder einen wirtschaftlichen Aktionsplan, der 2013 ausläuft.

Im Juli unterzeichnete die Schweiz ein Abkommen für eine verstärkte Zusammenarbeit zur Modernisierung der russischen Wirtschaft.

(Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)

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