Die Viertagewoche hat es in der Schweiz schwer
International wird die Viertagewoche immer beliebter. In der Schweiz ist sie jedoch kaum verbreitet, weil viele Arbeitnehmer:innen bereits Teilzeit arbeiten. Dennoch entscheiden sich einige Firmen für die generelle Viertagewoche.
In vielen Regionen der Welt gibt es Bestrebungen, eine viertägige Arbeitswoche einzuführen. Island zum Beispiel erregte internationales Aufsehen, weil ein Experiment mit einer viertägigen Arbeitswoche der Produktivität nicht geschadet hat.
Nun hat die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung das Recht auf fünf Stunden kürzere Arbeitszeiten bei vollem Lohn, wie das Schweizer Radio und Fernsehen SRF berichtet.
In China sprach sich die Akademie für Sozialwissenschaften, ein staatlicher Think Tank, bereits 2018 für die Förderung einer viertägigen Arbeitswoche aus, um die Arbeitszeiten zu verkürzen und den Tourismus anzukurbeln, so die Tageszeitung People’s Daily, die zu den chinesischen Staatsmedien gehört.
Instrument gegen Fachkräftemangel
Japan hat im vergangenen Jahr entschieden, eine freiwillige Viertagewoche zu fördern. Der Grund ist ein Arbeitskräftemangel, der die Regierung zwingt, neue Arbeitsmodelle zu unterstützen, die genügend Flexibilität für persönliche Verpflichtungen garantieren, zum Beispiel in der Kinderbetreuung.
Shionogi, ein pharmazeutisches Unternehmen, wird die Viertagewoche ab diesem Frühling als Option einführen, damit die Mitarbeiter:innen zur externen Weiterbildung ermutigt werden. So will das Unternehmen seine Innovationsfähigkeit erhöhen. Auch Yahoo Japan und die Mizuho Financial Group haben eine freiwillige Viertagewoche eingeführt.
Teilzeitarbeit statt Viertagewoche
In der Schweiz hat bislang keines der grossen, multinational tätigen Unternehmen eine Viertagewoche eingeführt. Der Pharmakonzern Novartis zum Beispiel antwortete auf Anfrage von SWI swissinfo.ch per E-Mail, dass die Viertagewoche aus Sicht der Produktivität des Unternehmens «neutral», also ohne Wirkung sei.
Solange die Produktivität pro Mitarbeiter:in nicht steige, müsse das Unternehmen Geld für die Einstellung und Ausbildung von zusätzlichem Personal ausgeben.
Der zweite grosse Basler Pharmakonzern Roche bietet laut eigenen Aussagen eine «flexible Arbeitsstruktur, einschliesslich Teilzeitarbeit sowie ganzjährigen Arbeitszeiten» an. Das Modell der Teilzeitarbeit ist in der Schweiz denn auch eine verbreitete Alternative zur Viertagewoche.
Nach Angaben des Bundesamtes für Statistik arbeiteten im Jahr 2020 11,8% der Männer und 35,5% der Frauen zwischen 50 und 90% eines vollen Arbeitspensums (2,5 bis 4 Tage pro Woche).
Teilzeitbeschäftigte arbeiten weniger Stunden, und werden dafür proportional schlechter bezahlt. Sie haben aber ab einem gewissen Pensum Anspruch auf bezahlte Ferien, Mutterschafts- und Krankheitsurlaub und Versicherungsleistungen.
Zudem sind sie im System der Altersvorsorge eingebunden. Vorsorge-Expert:innen empfehlen allerdings, mindestens 60 bis 70% zu arbeiten, um für die Zukunft eine genügende Rente sicherzustellen.
Der Anteil der Teilzeitbeschäftigten in der Schweiz ist im internationalen Vergleich hoch. Nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)Externer Link liegt der Anteil der Männer und Frauen, die weniger als 30 Stunden pro Woche arbeiten, bei 24,4% und ist damit nach den Niederlanden (28,1%) der zweithöchste in Europa. Das liegt daran, dass das durchschnittliche Gehaltsniveau so hoch ist, dass die Menschen ihren Lebensunterhalt einigermassen bestreiten können, auch wenn ihr Einkommen mit der Arbeitszeit sinkt.
Andererseits sind Mütter mit Kindern aufgrund der hohen Kosten für die Kinderbetreuung und des fehlenden Mittagessens in der Schule in einigen Kulturen gezwungen, Teilzeit zu arbeiten.
Beim Schweizer Personalvermittler Adecco arbeiten vier Fünftel der eigenen Arbeitsnehmer:innen vier Tage in der Woche in einem 80%-Pensum. Aber eine unternehmensweite Viertagewoche komme nicht in Frage. Pressesprecherin Annalisa Job verweist in diesem Zusammenhang nicht auf die mutmasslichen Kosten.
Vielmehr greift sie zum etwas eigenwillig anmutenden Argument, das sei nicht möglich, «weil wir uns als Personalunternehmen nach unseren Kunden und deren Arbeitszeiten richten», so Pressesprecherin Annalisa Job.
Tests in kleinen Unternehmen
Eines der wenigen Unternehmen, die in der Schweiz die Viertagewoche eingeführt haben, ist die kleine IT-Firma seerow. Das Unternehmen mit zehn Mitarbeitenden, welches Websites und Apps entwickelt, hat in einem sechsmonatigen Versuch die Viertagewoche getestet. Dabei wurden die Löhne der Mitarbeitenden unverändert belassen.
«Ich habe immer mehr hinterfragt wie sehr der Faktor Zeit mit unserer Arbeit zusammenhängt und bin zum Schluss gekommen, dass wir was ändern sollten», sagt Fabian Schneider, Gründer und Geschäftsführer von seerow, im Gespräch mit swissinfo.ch.
Schon vor dem Versuch arbeitete die Hälfte der Mitarbeiter:innen in einem 80%-Pensum und man habe beobachtet, dass sich der zusätzliche freie Tag bei diesen Mitarbeiter:innen positiv auf die Produktivität ausgewirkt hat. «Dies war einer der Gründe, welcher uns dazu bewegt hat eine Viertagewoche einzuführen», sagt Schneider.
Informationsfluss als Herausforderung
«Wir sind mit der aktuellen Geschäftslage zufrieden, und wir konnten die Produktivität durch die bessere Work-Life-Balance steigern», sagt Schneider. Er sei darum zuversichtlich, dass sie die Viertagewoche auch nach dem Pilotprojekt beibehalten werden. Die grösste Herausforderung bestehe darin, dass Personen keine Informationen monopolisierten, so Schneider.
«Nimmt sich jemand am Montag einen Tag frei, sollte er oder sie vor dem Verlassen des Arbeitsplatzes am Freitag darüber informieren, was getan worden ist, damit der Informationsfluss sichergestellt ist.»
Mehr
Newsletter
Das bedeute aber nicht, dass mehr Zeit in Sitzungen verbracht werde. «Jeden Morgen um neun Uhr findet ein Meeting statt, in dem die Fortschritte und Probleme besprochen werden. Aber es sind nur die direkt Beteiligten dabei. Auch die Messaging-App Slack wird häufig für den Informationsaustausch genutzt.»
Diese Optimierungen in der Zusammenarbeit «waren auf jeden Fall wichtig, um die Effizienz zu verbessern. Die Einführung der Viertagewoche motiviert uns dazu», sagt Schneider.
Manchmal neigten Mitarbeitende dazu, alles allein machen zu wollen, überall präsent zu sein und Informationen an sich zu reissen, also informelle Machtpositionen aufzubauen. «Kurzfristig ist das effizient. Aber langfristig ist es ineffizient und gefährlich.»
Mehr Lohn für gleiche Arbeitszeit
Jan Brodbeck, ein UX-Designer, der seit zwei Jahren für das Unternehmen tätig ist, hatte schon bisher 80% gearbeitet. Doch seit Oktober wurde sein Gehalt bei gleicher Anzahl der Arbeitstage auf das Niveau eines Vollzeitbeschäftigten angehoben.
Für ihn sei die Freizeit als Lebensqualität wichtig, trotzdem hatte er sich zwischendurch gefragt, ob er im Interesse eines höheren Lohns 100% arbeiten sollte. «Jetzt ist dieses Thema erledigt», was eine psychologisch positive Wirkung hat.
Er nutze seine freien Tage für Hobbys und zum Lernen. Es ist dasselbe wie vorher, aber «ich habe kein schlechtes Gewissen, dass ich zu wenig arbeite», was eine zusätzliche Motivation sei. Er sei auch kreativer geworden und arbeite an seinen freien Tagen an Entwürfen, unabhängig von der Arbeit.
Schweizer Volk sogar gegen mehr Ferien
Die Skepsis gegenüber dem Modell der Viertagewoche ist in der Schweiz jedoch gross. So sagte Rudolf Minsch, Chefökonom des Wirtschafts-Dachverbandes Economiesuisse, im Onlineportal 20 Minuten: «Gleicher Lohn bei weniger Arbeit ist eine Illusion, das geht nicht.» Ausserdem sei es «unschweizerisch», wenn Arbeitszeiten zentral geregelt würden.
Auch die Bevölkerung steht einer Verkürzung der Arbeitszeit generell kritisch gegenüber. Der letzte nationale Vorstoss, der in diese Richtung zielte, war die Initiative zur Erhöhung des gesetzlichen Ferienanspruchs von vier auf sechs Wochen pro Jahr.
Die möglichen negativen Auswirkungen der Arbeitszeitverkürzung auf die Wirtschaft lösten starken Widerstand aus. In der Volksabstimmung im März 2012 lehnten 66,5% der Stimmberechtigten das Begehren für mehr Ferien ab.
Vielleicht ändert sich dennoch diese Tendenz. Letzten Dezember hat die sozialdemokratische Nationalrätin Tamara Funiciello eine Motion eingereicht, die verlangt, die Erwerbsarbeitszeit ohne Lohnausfall auf maximal 35 Stunden pro Woche zu deckeln. Der Vorstoss dürfte aber kaum durchkommen.
Die Gewerkschaft Unia hat letzten Dezember eine Resolution verabschiedet, die fordert, die Arbeitszeit bei vollem Lohn massiv zu reduzieren. «Dank dem technologischen Fortschritt und der Digitalisierung steigt die Produktivität, aber die Produktivitätsgewinne gehen zum grossen Teil an die Unternehmen», erklärt Mirjam Brunner von der Abteilung Politik Unia im Gespräch mit swissinfo.ch.
«Eine kollektive Arbeitszeitverkürzung wäre eine Möglichkeit, diese Produktivitätsgewinne den Arbeitsnehmenden rückzuverteilen.»
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