Schweiz investiert in albanische Berufsbildung
Albanien ist ein Land mit einer jungen Bevölkerung, einer hohen Arbeitslosigkeit und einem akuten Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Um dem Land in seiner Entwicklung zu helfen, engagiert sich die Schweiz seit Jahren in der Berufsbildung – so etwa in Lushnja.
Lushnja ist eine Stadt mit rund 50’000 Einwohnern. Sie liegt gut 100 km südwestlich der Hauptstadt Tirana in einem wichtigen Landwirtschaftsgebiet Mittelalbaniens. Am Rande der Stadt steht die Berufsschule: ein dreistöckiges Gebäude, in dem rund 700 Lehrlinge ausgebildet werden – in den neuen Technologien (IT), als Automechaniker, Elektriker, Sanitärinstallateure und Heizungsmonteure.
Massgeblich an Albaniens Berufsbildung beteiligt ist die Entwicklungsorganisation Swisscontact mit dem Projekt AlbVet (Vocational Education Training). Im Auftrag der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) bildet sie Lehrkräfte aus und unterstützt seit 2007 die albanische Regierung bei der Reformierung des Berufsbildungssystem, das nach dem Ende der kommunistischen Planwirtschaft vollständig neu aufgebaut werden musste. Das AlbVet-Programm ist marktorientiert, bildet also junge Leute aus, die im Land auch gebraucht werden können.
Wie hoffentlich die 17 angehenden Sanitärinstallateure und Heizungsmonteure im zweiten Lehrjahr an der Schule von Lushnja. Die jungen Männer sitzen mucksmäuschenstill zu zweit am Pult, Lehrerin Luciana Muca verteilt jedem ein A4-Blatt mit Tabellen und Kurven, es geht um Umwälzpumpen, um Kalkulationen, die Schiefertafel an der Wand ist vollgekritzelt mit komplizierten Formeln. Lernstoff und Unterrichtsmaterialen wurden mit Hilfe von Swisscontact zusammengestellt.
Die Schweiz ist an 17 der insgesamt 41 albanischen Berufsschulen mit ihren Programmen tätig und gehört zusammen mit Deutschland oder Österreich und der EU zu den grossen Akteuren in der albanischen Berufsausbildung.
Im Schweizer Projekt AlbVet werden IT-Spezialisten, Heizungsmonteure, Sanitärinstallateure aber auch Bäcker und Coiffeure ausgebildet.
Für AlbVet hat die Schweiz 3,1 Mio. Franken für die Phase 2007-2014 zur Verfügung gestellt.
Zusammen mit dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP), der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und lokalen Vertretern hat die Schweiz das Projekt TEP (Territorial Employment Pact) lanciert. In das zweijährige Programm (bis Ende 2013) investiert sie 1,6 Mio. Franken.
Bei TEP geht es darum, Jobs im Privatsektor zu generieren, und zwar im Norden Albaniens (Shkodra, Kukës, Lezhë), wo die Jugendarbeitslosigkeit besonders hoch ist. Akteure des öffentlichen und privaten Sektors sollen gemeinsam nach Lösungen suchen, um Jugendliche in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Die DEZA ist seit 1997 in Albanien tätig. Im Rahmen der Länderstrategie 2010-2013 stehen DEZA und SECO zusammen jährlich ein Budget von rund 13 Mio. Franken zur Verfügung.
Praxisorientiertes Lernen
Im hinteren Teil des Raums sind die 15 Schüler des vierten Lehrjahrs dabei, Solarpanels mit Frostschutzmittel zu füllen. Jeder von ihnen muss Instruktor Niko Nikolla vorführen, dass er das Prinzip begriffen hat. Nicht allen gelingt das auf Anhieb – es wird gelacht und gewitzelt.
Die jungen Männer kommen aus der Umgebung von Lushnja und aus Korça oder Fier. Die Berufsschule Lushnja ist eines von vier Kompetenzzentren im Land und zuständig für Solartechnik, eine Branche, die im sonnenverwöhnten Mittelmeerland grosses Potential hat. Während des zweimonatigen Moduls schlafen die auswärtigen Lehrlinge im schuleigenen Wohnheim.
An den Wänden der Werkstatt hängen «Lerninseln», an denen zum Beispiel das Prinzip der Zentralheizung oder Sanitärinstallationen veranschaulicht werden und wo quasi auf dem Trockenen geübt werden kann.
Um die Jugendlichen für den Arbeitsmarkt zu rüsten, setzt man weniger auf Frontalunterricht und Theorie wie früher, sondern mehr auf praxisorientiertes Lernen. Vorbild dafür ist das duale Schweizer Berufsbildungssystem, das Praxis mit Schulunterricht verbindet. Die Lehrlinge in der Schweiz machen ihre Berufslehre in einem Betrieb und besuchen nebenbei die Berufsschule. Oder sie absolvieren ihre Lehre in einer so genannten Lehrwerkstatt, wo Praxis samt Theorie angeboten wird.
In Albanien aber ist es schwierig, Praktikumsplätze ausserhalb der Schule zu finden. «Eine systematische Zusammenarbeit mit der Privatindustrie muss sich noch bewähren», sagt Silvana Mjeda, zuständig für Berufsbildung im DEZA-Kooperationsbüro in Tirana. «Der Privatsektor ist noch jung und schwach, und es gibt nur wenige Grossbetriebe.»
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Kein Exportartikel
Für Matthias Jäger, Projektleiter von Swisscontact in Albanien, ist das duale System zwar ein Super-Modell, telquel exportieren lasse es sich aber nicht. «Damit es funktioniert, braucht es eine gute Zusammenarbeit zwischen den staatlichen Stellen und der Privatindustrie. Davon sind wir aber in Albanien, wo 85% der Unternehmen Klein- und Kleinstbetriebe sind und das Vertrauen in den Staat gering ist, noch weit entfernt.»
Immerhin sind im 2012 verabschiedeten Berufsbildungsgesetz, an dem Swisscontact mitgewirkt hat, duale Elemente integriert, wie etwa die Praxisorientierung und die Zusammenarbeit mit der Privatindustrie.
Jäger ist zufrieden, dass zumindest dies, auch dank guten Kontakten zum Bildungsministerium, erreicht werden konnte. «Die Zentralisierung ist enorm, alles läuft über das Ministerium, die Schulen haben eine sehr beschränkte Autonomie – finanziell, aber auch in Bezug auf die Berufe und die Studentenzahlen.»
Diese Abhängigkeit sei eines der grössten Probleme, sagt Jäger, der seit 2007 in Albaniens Berufsausbildung tätig ist. «Welche Berufe an welchen Schulen angeboten werden, das sind häufig politische und nicht unbedingt marktorientierte Entscheide.»
Am 23. Juni 2013 finden Parlamentswahlen statt. Es sind die 7. Wahlen seit dem Sturz des kommunistischen Regimes 1990/91. Seit 2005 bildet Sali Berisha von der Demokratischen Partei (PD) die Regierung. Sein stärkster Herausforderer ist Edi Rama von der Sozialistischen Partei (PS), der ehemalige Bürgermeister von Tirana.
Mit Optimismus in die Zukunft
Unterdessen ist es Mittag geworden, die Lehrlinge der Berufsschule von Lushnja machen Pause. Zuerst aber präsentieren die Sanitärinstallateure des 4. Lehrjahrs den Besuchern aus dem Ausland stolz den Pokal, den sie an der landesweiten Berufsolympiade, den Skills Olympics, Anfang Mai zum zweiten Mal geholt haben. Stolz ist auch Schuldirektor Elton Halla, ebenso Instruktor Niko Nikolla. Und natürlich auch Matthias Jäger. Die Auszeichnung ist ein Beweis für gute Arbeit und Qualität, aber auch ein Ansporn für die jungen Männer, die im Sommer ihre Lehre beenden.
Sulejman, 18, aus Lushnja, jedenfalls blickt optimistisch in die Zukunft, auch wenn die Jugendarbeitslosigkeit in Albanien je nach Quelle zwischen 30 und 50% beträgt. «Ich habe gute Noten. Ich möchte arbeiten und später, wenn ich genügend Geld gespart habe, ein eigenes Geschäft eröffnen. Vielleicht studiere ich auch weiter und werde Ingenieur.»
Der 18-jährige Fation aus Fier träumt von einem Job in den USA oder Italien, und auch seinen 19-jährigen Kollegen Ervis zieht es nach Italien.
Ridvan, 19 Jahre alt, kann sich bereits jetzt entspannt zurücklehnen. Er hat schon eine Stelle, die er nach dem Abschluss antreten kann: bei der städtischen Wasserversorgung von Lushnja.
Bildung bleibt ein Schwerpunkt
2014 läuft das AlbVet-Programm aus. Matthias Jäger sieht dem Ende gelassen entgegen: «Niko und die anderen Lehrer sind ja nicht unsere Mitarbeiter, sondern vom Staat angestellt, und die Schulen bekommen kein Geld von Swisscontact. Unser Fokus lag bei der Innovation des Systems. Und hier haben wir einiges erreicht. Wie viele Schulen es schaffen werden, auf diesem Niveau weiterzumachen, wird sich zeigen.»
Laut Holger Tausch, dem DEZA-Verantwortlichen in Tirana, sollte schlussendlich jeder Staat die Zusammenarbeit mit anderen am besten nutzen, um selber entscheiden zu können, wohin der Weg geht, auch im Bildungsbereich. Für ihn ist aber klar: «Die Berufsbildung bleibt auch in der künftigen Strategie der Schweiz ein Schwerpunkt in Albanien.»
Angesichts der anhaltenden Eurokrise in Albaniens Schüsselmärkten Griechenland und Italien hat sich das Wachstum in den letzten paar Jahren abgeschwächt.
Die Arbeitslosenrate verharrte 2012 laut dem nationalen Statistikamt INSTAT bei 14%, eine Zahl, die unter Berücksichtigung der florierenden Schattenwirtschaft, deren Anteil gemäss IWF bis zu 60% des BIP ausmacht, wenig aussagekräftig ist. Die Jugendarbeitslosenquote wird je nach Quelle mit 30%-50% angegeben.
2012 betrug das BIP in Albanien rund 3000 Euro pro Kopf.
Der gesetzlich vorgeschriebene Minimallohn beträgt ca. 150 Euro pro Monat.
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