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Leuthard erwarten in Rom viele offene Dossiers

Doris Leuthard und der italienische Verkehrsminister Graziano Delrio bei einem Treffen in Lugano 2015. Keystone

Steueramnestien, Selbstanzeigen, schwarze Listen, Grenzgänger, geschlossene Grenzen: Das sind nur einige der Themen, welche die gutnachbarlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und ihrem südlichen Nachbarn Italien in den vergangenen Jahren belasteten. Anlässlich des Besuchs von Doris Leuthard in Rom wird es der Bundespräsidentin und Italiens Premierminister Paolo Gentiloni also kaum an Gesprächsstoff fehlen.

Der wirtschaftliche Handel zwischen den beiden Ländern kennt keine Hindernisse. Italien ist fünftwichtigster Handelspartner der Schweiz und diese liegt auf der Liste der italienischen Exportmärkte an sechste Stelle. Das zeigen die Zahlen des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco). Doch die Wirtschaft ist eine Sache, die Politik eine andere. Woher kommen die Spannungen, welche die Beziehungen zwischen den Nachbarländern seit Jahren beeinträchtigen?

Steuerstreit

Wir befinden uns in Mitten der Finanz- und Wirtschaftskrise. Die Staaten brauchen flüssiges Geld. Rom schätzt, dass mehr als 180 Milliarden Euro italienischer Staatsbürger auf Schweizer Konten versteckt liegen. 2009 erlässt der damalige italienische Wirtschafts- und Finanzminister Giulio Tremonti eine Steueramnestie, um einen Teil des Geldes zurück nach Italien zu holen. Rund 60 Milliarden fliessen so von der Schweiz Richtung Süden. Doch das reicht Tremonti nicht. Er lässt die Schweiz auf Italiens schwarze Liste von Steueroasen setzen. Die Aussagen und Attacken des Ministers irritieren die Schweiz.

Nach Jahren der Kontroversen und des gegenseitigen Unverständnisses unterzeichnen Bern und Rom 2015 ein Doppelbesteuerungsabkommen, das sich auf die neuen internationalen OECD-Standards stützt. Ab 2018 gilt der automatische Informationsaustausch. Doch bleiben einige Punkte ungelöst, so etwa die Frage des Zugangs der Schweizer Banken auf den italienischen Markt.

Grenzgänger-Abkommen

Unterdessen drängt der Kanton Tessin den Bund dazu, das Grenzgänger-Abkommen aus dem Jahr 1974 zu revidieren. In einer ersten Reaktion will die Schweizer Regierung nichts davon wissen. Unter dem anhaltenden Druck des Grenzkantons eröffnet sie das Dossier schliesslich doch.

Heute kassieren die Kantone Tessin, Graubünden und Wallis eine Quellensteuer von den Grenzgängern. Sie behalten 68,8% und überweisen die verbleibenden 31,2% an Italien. Der Kanton Tessin, der das Abkommen neu verhandeln wollte, findet den Betrag zu hoch, den er an Italien weitergeben muss. Rom findet das Gegenteil. Nach harten Verhandlungen fand man schliesslich eine Lösung, die weder das Tessin noch die Grenzgemeinden auf italienischer Seite befriedigt: Nun werden die Grenzgänger sowohl in der Schweiz (wie bisher) als auch in Italien besteuert.

Das Protokoll mit diesen Änderungen wurde im Februar 2015 unterschrieben, ist aber noch nicht ratifiziert. Denn es passt Rom nicht, dass die Grenzgänger den Tessiner Behörden einen Strafregisterauszug vorlegen müssen. Diese Pflicht will Italien vor der Ratifizierung aufgehoben sehen.

Strafregisterauszug

Rund 64’000 Italiener und Italienerinnen passieren täglich die Grenze, um ihrer Arbeit im Kanton Tessin nachzugehen. Um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten – insbesondere mögliche Infiltrationen der italienischen Mafia verhindern – führte die Tessiner Regierung 2015 eine Pflicht ein: Um im Tessin arbeiten zu dürfen, müssen die interessierten Grenzgänger einen Strafregisterauszug vorweisen.

In den Augen Italiens handelt es sich hierbei um eine diskriminierende Massnahme, die im Konflikt mit dem Personenfreizügigkeitsabkommen steht. Bis im Juni soll eine Lösung für dieses Problem gefunden werden.

Handwerkerregister

Jedes Jahr arbeiten rund 6000 italienische Firmen aus Bau- und Handwerkerbranchen im Tessin. Ein Ende 2014 eingeführtes Gesetz verpflichtet sie, sich in einem Handwerkerregister einzutragen. So will der Kanton unlauteren Wettbewerb verhindern. Die Registrierung kostet allerdings 600 Franken und führte zu einer Flut an Reaktionen. Die Massnahme sei «illegal» findet man vor allem in Italien, aber auch in der Deutschschweiz.

Grenzposten nachts geschlossen

Ebenfalls um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten und grenzüberschreitende Kriminalität zu bekämpfen, hat Bern – auf Anfrage des Tessins – beschlossen, drei kleine Grenzübergänge ab dem 1. April 2017 versuchsweise zu schliessen.

Auf italienischer Seite wird dieser Versuch einmal mehr als Affront gegen die eigenen Staatsbürger und –bürgerinnen interpretiert. Italiens Botschafter in Bern erklärte, in Rom ärgere man sich insbesondere darüber, dass diese Massnahme beschlossen wurde, ohne die italienischen Behörden vorab zu informieren. Eine weitere Frage also, die es zu regeln gilt.

Päpstliche Audienz

Während ihres Besuchs in Rom empfängt Papst Franziskus Bundespräsidentin Doris Leuthard am Samstag im Vatikan. Gleichentags wird Leuthard an der Vereidigung der neuen Schweizergardisten, der persönlichen Schutztruppe des Papstes, teilnehmen. Die Feierlichkeiten finden traditionell am 6. Mai statt, dem Datum der ersten schweren Bewährungsprobe der Armee während der Plünderung Roms 1527. Damals kamen 147 Soldaten ums Leben.

 

(Übertragung aus dem Französischen: Kathrin Ammann)

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