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Schweiz kämpft gegen Untergang ihrer Handelsflotte

Das Schiff Tzoumaz
Das Schweizer Handelsschiff "Tzoumaz" in einem Hafen in Vietnam. Mike Gorski

Das Binnenland Schweiz besitzt seit 1942 eine Handelsmarine. Allerdings zählt diese immer weniger Frachtschiffe: 14 gegenüber 50 vor sieben Jahren. Mit einer neuen Strategie will die Regierung das Verschwinden der Schiffe verlangsamen.

Die Schiffe sind so lang wie zwei Fussballfelder, haben 20 Besatzungsmitglieder und tragen Schweizer Namen wie «Lavaux», «Lausanne», «Romandie» oder «Vully». Am Heck flattert die Schweizer Flagge im Wind, Symbol der Neutralität.

Der Bundesrat hatte am 9. April 1941 per Notrecht beschlossen, die Seeschifffahrt unter Schweizer Flagge zu erlauben, um ihre Versorgung mit Nahrungsmitteln und anderen wichtigen Gütern zu sichern.

Zuvor waren es griechische Frachtschiffe gewesen, die über den Hafen von Genua Getreide, Eisen oder Kohle brachten und von dort via Bahn oder Lastwagen weitertransportiert wurden.

Ziel war es damals, die Versorgung der Schweiz vor den Angriffen deutscher U-Boote zu sichern. Als Heimathafen der Schiffe galt Basel am Rhein, auch wenn keines von ihnen aufgrund der Grösse jemals dort vor Anker gehen konnte.

Trotz aller Vorsichtsmassnahmen kam es zu Zwischenfällen. So  war es der versehentliche Beschuss durch britische Flugzeuge, der die «Maloja» 1943 vor Korsika auf Grund schickte. Die «Chasseral» wurde 1943 in Sète getroffen. Und die «Generoso» lief 1944 im Hafen von Marseille auf eine deutsche Mine. Alle drei waren Schweizer Frachtschiffe.

Von 50 auf 14 Frachter in sechs Jahren

Zu ihrem 75. Geburtstag im Jahr 2017 wehte die Schweizer Flagge noch am Heck von 50 Handelsschiffen von insgesamt sechs Reedereien. Heute sind es nur noch 14 Schiffe und zwei Reedereien: eine mit Sitz in Zürich und eine mit Sitz in Morges am Genfersee in der Nähe von Lausanne.

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Während 1967 noch 611 Schweizer Offiziere und Seeleute an Bord waren, sind sie heute an einer Hand abzuzählen: «Es gibt noch zwei Deckoffiziere und einen Kadetten mit Schweizer Nationalität, die auf Schiffen unter Schweizer Flagge fahren», heisst es beim Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA).

Drei Offiziere arbeiten mit dem Schweizer Fähigkeitsausweis oder einem anerkannten ausländischen Ausweis auf Schiffen mit ausländischer Flagge. Das Eidgenössische Seeschifffahrtsamt befindet sich nach wie vor in Basel, mit einem Chef im Rang eines Botschafters.

Die Rolle der Versorgung der Schweiz über den Hafen von Rotterdam und dann über den Rhein bis nach Basel bleibt mehr denn je bestehen, sei es mit Frachtschiffen unter Schweizer Flagge oder solchen anderer Nationalitäten.

Arbeiter auf einem Frachter
An Bord von Schweizer Frachtschiffen arbeiten zunehmend weniger Landsleute. Mike Gorski

Seit fünf oder sechs Jahren hat die Schweizer Schifffahrt Mühe, wettbewerbsfähig zu bleiben. Sie litt 2017 unter dem betrügerischen Konkurs einer deutsch-schweizerischen Reederei.

Der Konkurs hat Bundesbern 215 Millionen Franken gekostet, um den Zwangsverkauf und den Verlust von neun Frachtern und vier Chemikalientankern der Berner Reederei SLC und SCT zu decken. Der Vorfall hat das Bürgschaftssystem der Schweizer Flagge ernsthaft erschüttert.

Diese Praxis hatte es den Reedern bis dahin ermöglicht, auf den Finanzmärkten zu einem günstigen Zinssatz (1,5 %) Geld zu leihen, um den Bau oder Kauf eines Schiffes zu sichern.

Die Bürgschaft wurde für neue Frachtschiffe, die nach 2017 in Betrieb genommen wurden, abgeschafft, blieb aber für bisherige in Kraft.

Heute haben Schweizer Reedereien kaum noch ein Interesse daran, auf die Schweizer Flagge zurückzugreifen, zumal dies bei den Banken keine finanziellen Vorteile mehr bietet.

Bis 2017 hatte das Garantiesystem Bundesbern keinen einzigen Franken gekostet.

Die Schweizer Flagge auf der schwarzen Liste?

Die Schweizer Marine musste sich auch an die Sicherheitsstandards anpassen. Um den internationalen Auflagen zu entsprechen, müssen sich Frachtschiffe regelmässigen Inspektionen durch ihre nationalen Behörden unterziehen.

Aber wie soll das funktionieren, wenn in Basel nur noch ein halbes Dutzend Personen arbeiten und nur ein einziger Inspektor um die halbe Welt reisen kann?

Ohne regelmässige Kontrollen mussten Frachtschiffe unter Schweizer Flagge damit rechnen, auf die schwarze Liste der Schiffe mit hohem Risiko gesetzt zu werden. Um ihnen dieses Schicksal zu ersparen, hat Bern Massnahmen ergriffen: 2020 änderte der Bundesrat vorsorglich eine Verordnung, die es Schiffen erlaubt, ihre Flagge zu wechseln, wenn sie auf die schwarze Liste gesetzt werden.

Das Land der neuen Flagge übernimmt nun die regelmässigen Inspektionen: «Die Massnahmen, die zur Verbesserung der Sicherheit der Schweizer Flagge ergriffen wurden, haben sich ausgezahlt», beruhigt Bern.

«Die Aufnahme der Schweizer Flagge in die schwarze Liste wurde verhindert. Die Schweizer Flagge bleibt auf der grauen Liste des Pariser ‹Memorandum of Understanding› (das Abkommen, das 27 Seefahrtsnationen umfasst, listet die Risikoflaggen auf, Anm. d. Red) und steht seit 2018 auf der weissen Liste des Tokioter MoU. Folglich bleibt das Risiko, dass die Schweizer Flagge auf eine schwarze Liste gesetzt wird, moderat», erklärt ein Sprecher des Aussendepartementes gegenüber swissinfo.ch.

Als direkte Folge dieser Verordnung hat die Flagge der Marshallinseln im Pazifik die Schweizer Flagge weitgehend ersetzt. So fährt die «General Guisan», ein legendäres Frachtschiff von Suisse-Atlantique, weiterhin über die Weltmeere, aber eben unter der Flagge der Marshallinseln.

Politische Intervention

Wie kann man diesen Abwärtstrend bremsen? Der Bund hat im vergangenen Jahr Massnahmen ergriffen. Das EDA hat vom Bundesrat den Auftrag erhalten, eine neue Meeresstrategie zu entwickeln.

Ein Entwurf für eine Gesetzesrevision soll in diesem Frühjahr in Bern vorgelegt werden. Einer der Schwerpunkte ist die Modernisierung des Schweizer Seerechts mit einer Reihe von Massnahmen, die die Schweizer Flagge für Reedereien attraktiver machen sollen.

Auch Massnahmen mit demselben Ziel sind im Gespräch. So prüft der Bundesrat die Tonnagesteuer, wie sie bereits von 21 Ländern der EU eingeführt wurde.

Die Steuerberechnung basiert in diesem Fall auf der Ladekapazität und nicht auf dem erzielten Gewinn, wodurch Schifffahrtsunternehmen in der Regel weniger Steuern zahlen.

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Heute versichert Bern, dass die Beibehaltung eines Schweizer Seeschifffahrtsamtes in Basel für die verbleibenden 14 Schiffe gerechtfertigt sei. Denn die Arbeit des Schweizer Amtes beschränke sich nicht auf Aktivitäten im Zusammenhang mit der Handelsflotte unter Schweizer Flagge.

Es befasst sich auch mit der Flussschifffahrt, der Registrierung von Hochseejachten (2000 Jachten) und der Vertretung der Schweizer Interessen in internationalen Seeschifffahrtsgremien.

Ist die Zukunft gesichert?

Die Schweizer Reedereien bleiben optimistisch: «Unserer Gruppe geht es gut», sagt Jean-Noël André, CEO von Suisse-Atlantique.

«Unsere Strategie, in eine junge und moderne Flotte zu investieren, und unser vorsichtiges Vorgehen haben es uns ermöglicht, den jahrelangen Markttiefs zu trotzen und von den steigenden Charterraten zu profitieren. Wir haben zudem die guten Ergebnisse der letzten Jahre genutzt, um unsere Schulden abzubauen, befinden uns in einer soliden finanziellen Lage und können der Zukunft gelassen entgegensehen.»

Die Umwälzungen auf dem Frachtmarkt in den letzten zwei Jahren – teilweise aufgrund der durch Covid-19 verursachten Unterbrechung der Lieferketten – hatten die Preise zwischenzeitlich in die Höhe schnellen lassen. Die Preise für Zwölfmeter-Container erreichten im September 2021 über 10’000 US-Dollar. Sie haben sich seitdem eingependelt, liegen aber laut dem im Februar veröffentlichten World Container Index immer noch fast 40 % über dem Niveau von 2019.

Aufgrund der geopolitischen Spannungen sind die Schifffahrtsmärkte kurz- und mittelfristig nervös und unbeständig. Langfristig hingegen wird das Verschiffen pro transportierter Tonne und Kilometer die wirtschaftlichste und umweltfreundlichste Transportart bleiben, versichern die Reedereien.

Allerdings wird sich die Frachtschifffahrt mit neuen CO2-Emissionsnormen auseinandersetzen müssen. Frachtschiffe verbrennen Schweröl, was grosse Mengen an Schadstoffen verursacht, und ihre Motoren stehen nie still, selbst wenn sie in einem Hafen stehen.

Neue, strengere Normen werden wahrscheinlich die Rentabilität der weltweiten Flotten beeinträchtigen und die Frachtraten beeinflussen. Die Schweizer Marine wird sich in den nächsten 10 bis 20 Jahren mit einem Wechsel des Schiffstyps, des Treibstoffs und sogar der Antriebsmittel auseinandersetzen müssen. Vor diesem Hintergrund müssen die Debatten in Bern auch die Rentabilität der Schweizer Flotte sicherstellen, wenn sie diese erhalten wollen.

«Seeschifffahrt unter der eigenen Flagge zu haben, ist eine politische Entscheidung. Sie ist mit einer maritimen Strategie verbunden», sagt Jean-Noël André. «Die Flagge muss die qualitativen Werte der Schweiz repräsentieren können, aber auch wettbewerbsfähig und attraktiv genug sein, damit Schiffseigner ihre Schiffe unter diese Flagge führen».

Die Annahme der Tonnagesteuer kann eine Lösung sein, die Rahmenbedingungen zu modernisieren. Sie wird derzeit in den eidgenössischen Räten diskutiert. Es wird dann Aufgabe des Bundesrates sein, eine Entscheidung zu treffen.

Editiert von Virginie Mangin, Übertragung aus dem Französischen: Marc Leutenegger.

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