NGOs hinterfragen Grosszügigkeit der Schweiz bei Klimahilfe
Laut einer internationalen Analyse hat die Schweiz relativ betrachtet bisher die meiste Hilfe zur Bewältigung der Klimakrise an Entwicklungsländer bezahlt. Schweizer NGOs stellen jedoch in Frage, wie der Anteil der Schweiz berechnet wird.
Die Finanzierung von Projekten in Entwicklungsländern, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind, ist ein zentrales Thema bei der laufenden UNO-Klimakonferenz COP27 Externer Linkin Ägypten.
Das Thema kommt unweigerlich auf, wenn es um die Verantwortung der Industriestaaten geht, also der Länder, die in der Vergangenheit die meisten Emissionen verursacht und damit am meisten zur globalen Erwärmung beigetragen haben.
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Im Jahr 2009 hatten sich die Industrieländer, darunter auch die Schweiz, bereit erklärt, den Entwicklungsländern bis 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar (94,5 Milliarden Franken) zur Verfügung zu stellen, um sie bei der Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels und bei der Eindämmung des weiteren Temperaturanstiegs zu unterstützen. Das Ziel wurde nicht erreichtExterner Link und wurde auf 2023 verschoben.
Hauptursache für das Scheitern ist das mangelnde Engagement einiger grosser Volkswirtschaften, insbesondere der Vereinigten Staaten. Die USA sind für etwa ein Fünftel der kumulierten globalen Emissionen verantwortlich. Laut einer aktuellen Analyse Externer Linkvon Carbon Brief, einer Website, die über die neuesten Entwicklungen in der Klimawissenschaft und -politik berichtet, zahlten die USA im Jahr 2020 nur 7,6 Milliarden Dollar, obwohl sie 39,9 Milliarden Dollar hätten bereitstellen müssen.
Carbon Brief ermittelt den «fairen Anteil» für jedes Land auf der Grundlage der Emissionen, die es seit 1850 verursacht hat. Die Beiträge Kanadas, Australiens, des Vereinigten Königreichs, Griechenlands, Neuseelands und Portugals zu diesem Klimafinanzierungstopf waren ebenfalls zu gering.
«Die Schweiz trägt wesentlich zur globalen Erwärmung bei, unter der die armen Länder des Südens stark zu leiden haben.»
Sonja Tschirren, Swissaid
Mehrere Länder, darunter Japan, Frankreich, Spanien, Deutschland und Italien, trugen mehr als ihren fairen Anteil bei. Die Schweiz ist laut Carbon Brief der bisher grosszügigste Staat: Im Jahr 2020 lag der Beitrag um 436% über dem, was das Land voraussichtlich zahlen müsste.
Die Schweiz gehörte auch zu den wenigen Geber:innen, die die von den Empfänger:innen gewünschten Mittel fast ausschliesslich in Form von Direkthilfen bereitstellten – nur 3% wurden in Form von Darlehen gewährt, die die Empfänger zurückzahlen müssen. Der Anteil der Darlehen liegt laut Carbon Brief bei 8% für Italien, 45% für Deutschland und sogar 86% für Japan.
Woher das Geld kommt und wohin es geht
Im Jahr 2020 leistete die Schweiz einen Beitrag von 659 Millionen Franken, wovon laut Bundesamt für Umwelt (BAFU) 390 Millionen Franken aus dem Budget der internationalen Entwicklungszusammenarbeit und anderen öffentlichen Geldern stammten.
Diese Gelder gingen an multilaterale Institutionen wie den Grünen KlimafondsExterner Link und die Weltbank oder direkt an Klimaschutz- und Anpassungsprojekte in Entwicklungsländern, etwa zur Förderung der Elektromobilität oder zum Aufbau von Frühwarnsystemen zur Bewältigung von Extremereignissen wie Überschwemmungen und Dürren.
Am meisten erhielten laut BAFU Peru (6,5 Millionen Franken), Vietnam (5,6 Millionen Franken), Benin (4,9 Millionen Franken), Honduras (4,9 Millionen Franken) und Indien (4,2 Millionen Franken).
«Um den richtigen Anteil zu berechnen, werden bei der Analyse nur die Emissionen berücksichtigt, welche die Länder auf ihrem eigenen Territorium produziert haben, und nicht diejenigen, die sie durch ihren Konsum im Ausland verursacht haben.»
Delia Berner, Alliance Sud
Die Schweiz hat auch 269 Millionen Franken aus privaten Quellen beschafft, zum Beispiel von multilateralen Entwicklungsbanken oder der Schweizerischen Exportrisikoversicherung.
In einer E-Mail an swissinfo.ch wies das Bundesamt für Umwelt darauf hin, dass die Gesamtsumme von 659 Mio. Franken höher sei als die von der Schweizer Regierung ursprünglich angestrebten 450 bis 600 Mio. Franken.
Eine hinterfragte Rechnung
Schweizer Entwicklungs-NGOs wie Alliance Sud, Swissaid und Helvetas sind von den Ergebnissen der Carbon Brief-Analyse jedoch nicht überzeugt. «Um den fairen Anteil zu berechnen, berücksichtigt die Analyse nur die Emissionen, die die Länder auf ihrem eigenen Territorium produziert haben, und ignoriert diejenigen im Ausland, die auf ihren Konsum zurückzuführen sind», erklärt Delia Berner, Klimaspezialistin bei Alliance Sud, gegenüber swissinfo.ch.
Analysen, die diese so genannten «grauen» Emissionen berücksichtigen, kommen zu «unterschiedlichen und beunruhigenden» Ergebnissen, sagt Sonja Tschirren von Swissaid. Sie zitiert eine EinschätzungExterner Link von vor einigen Jahren, ebenfalls von Carbon Brief, wonach die Gesamtemissionen der Schweiz um 209% höher wären, wenn man auch CO2 aus Importen berücksichtigen würde.
«Mit einem CO2-Fussabdruck von vierzehn Tonnen pro Einwohner:in, verglichen mit einem globalen Durchschnitt von sechs Tonnen, trägt die Schweiz massgeblich zur Klimaerwärmung bei, für welche die armen Länder des Südens die bitteren Folgen tragen», sagt Tschirren.
Die drei NGOs beklagen auch, dass der grösste Teil der Klimafinanzierung der Schweiz aus dem Budget der Entwicklungszusammenarbeit stammt. Es handle sich also nicht um eine neue und zusätzliche Finanzquelle, wie man sie im Zusammenhang mit den von den Industrieländern versprochenen 100 Milliarden Dollar pro Jahr erwarten würde, so Berner.
Christina Aebischer, Klimaspezialistin bei Helvetas, befürchtet, dass ein immer grösserer Teil des Budgets der internationalen Zusammenarbeit als Klimafinanzierung bezeichnet und verwendet wird. «So wird der von der Schweiz ausgewiesene Klimabeitrag steigen. Das führt aber nicht zu zusätzlichen Mitteln», sagt sie.
Die Klimaspezialist:innen der NGOs argumentieren, dass die grauen Emissionen und die nationale Wirtschaftskapazität nach dem Prinzip der «gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung» der UNO-Klimarahmenkonvention berücksichtigt werden sollten. Dies würde bedeuten, dass die Schweiz mindestens eine Milliarde Dollar pro Jahr (rund 960 Millionen Franken) beitragen müsste.
Doch selbst dieser Betrag, wie auch die von allen Industrieländern zugesagten 100 Milliarden Dollar pro Jahr, reichen bei weitem nicht aus, um den ärmsten Ländern bei der Bewältigung der Folgen des Klimawandels zu helfen. Das UNO-Umweltprogramm schätzt, dass die Anpassung an den Klimawandel diese Länder bis 2050 zwischen 280 und 500 Milliarden Dollar pro Jahr kosten wird.
Editiert von Sabrina Weiss
Aus dem Italienischen übertragen von Marc Leutenegger
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