Die Schweiz als Vermittlerin – eine durchzogene Bilanz
Die Schweiz hat in internationalen Konflikten oft vermittelt. In einigen Fällen hat sie entscheidend geholfen, Frieden zu schliessen – was den Ruhm der "guten Dienste" begründete. Heute ist die Schweiz jedoch nur noch eine Akteurin unter vielen.
1714 wurde der spanische Erbfolgekrieg im kleinen Eidgenössischen Städtchen Baden beendet – er folgte auf zwei vorangegangene Verträge, die in Utrecht und Rastatt geschlossen wurden. Warum hatte die zwei Parteien – Frankreich und das Heilige Römische Reich – die kleine Stadt als Verhandlungsort ausgewählt?
Zum einen, weil sie auf neutralem Gebiet lag, aber auch weil die Bäderstadt über die nötige Infrastruktur verfügte, um die mehr als 300 Delegierten zu beherbergen, die dort den ganzen Sommer zwischen Verhandlungen und prächtigen Banketten verbrachten.
Das Ergebnis der Gespräche war eher bescheiden: Der am 7. September unterzeichnete Vertrag beschränkte sich im Wesentlichen auf die Bestätigung des Rastatter Friedens. Doch die Eidgenossenschaft erinnerte sich der diplomatischen Episode gerne als Anfang ihrer Tradition der «guten Dienste», auch wenn diese erst anderthalb Jahrhunderte nach der Gründung des Bundesstaates 1848 moderne Konturen annehmen sollte.
Von der Schlichtung zur aktiven Neutralität
In Baden diente die Eidgenossenschaft weniger als Vermittlerin, denn als Gastgebers eines Schauspiels, das die monarchischen Grossmächte inszenierten. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, mit der Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit aufgrund der technischen Entwicklung, wurden die Voraussetzungen für eine moderne Politik der «guten Dienste» geschaffen.
Die Schweiz wurde zum Sitz internationaler Organisationen wie dem Internationalen Telegrafenverein (1865) und dem Weltpostverein (1874). 1872 verurteilte ein internationales Schiedsgericht mit Sitz in Genf Grossbritannien zur Zahlung einer Geldstrafe an die Vereinigten Staaten wegen der Lieferung von Kriegsschiffen an die Südstaaten während des Sezessionskriegs.
Beim so genannten Alabama-Schiedsverfahren trat die Schweiz zum ersten Mal in ihrer modernen Vermittlerrolle auf und half mit, den Konflikt zwischen den beiden Staaten juristisch zu lösen. In den folgenden Jahren spielte die Schweiz eine führende Rolle in den Debatten über die internationale Schiedsgerichtsbarkeit, die zu den Haager Konventionen führten, die für die internationalen Beziehungen entscheidend waren.
Der Erste Weltkrieg setzte der Konfliktlösung durch Schiedsgerichte ein jähes Ende. In der Zwischenkriegszeit beteiligte sich Bern im Auftrag des Völkerbundes an schwierigen Vermittlungsmandaten, zum Beispiel in Oberschlesien und der Freien Stadt Danzig.
In der Schweiz wurden auch wichtige Friedenskonferenzen organisiert, wie die Konferenz von Locarno (1925), die die Nachkriegskonflikte zwischen den europäischen Mächten entschärfen sollte. In Lausanne (1923) und Montreux (1936) wurden Vereinbarungen über die Grenzen der heutigen Türkei und zur Regelung der Schifffahrt auf dem Schwarzen Meer getroffen.
Aus der Isolation zum Mythos von Evian
Doch der Zweite Weltkrieg mischte die Karten neu: In der unmittelbaren Zeit nach 1945 misstrauten die Siegermächte der Schweiz wegen deren engen wirtschaftlichen Beziehungen zu Nazideutschland. Zudem war die Eidgenossenschaft kein Mitglied der Vereinten Nationen: Die Bemühungen um die neue internationale Ordnung beobachtete sie vom Rand aus.
Doch der UNO-Sitz in Genf führte – auch auf Grund der Bemühungen des neuen Schweizer Aussenministers Max Petitpierre – dazu, dass sich die Schweiz wieder stärker einbringen konnte. Der 1944 gewählte Bundesrat war bestrebt, die Schweizer Neutralität mit einer aktiveren internationalen Präsenz zu verbinden.
1953 wurden Schweizer Armeeangehörige und Diplomaten nach Südkorea geschickt, um als neutrale Beobachter an der Demarkationslinie zu Nordkorea die Friedenswahrung zu überwachen.
Bei der Mission aus anfänglich fast hundert Schweizer Armeeangehörigen und Diplomaten, die im Sommer in Panmunjom an der Demarkationslinie am 38. Breitengrad ihren Einsatz antraten, handelt es sich um das erste Engagement der Schweiz im Bereich der militärischen Friedensförderung im Ausland.
1954 war die Schweiz auch Gastgeberin der Indochina-Konferenz sowie 1955 des ersten Gipfeltreffens zwischen den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs.
Aber die Operation, die zweifellos am meisten zum Ansehen der Diplomatie der «guten Dienste» der Schweiz beigetragen hat, war ihre Rolle als Vermittlerin in der Endphase des Algerienkriegs.
Auf Anregung der provisorischen Regierung der algerischen Republik und mit Zustimmung Frankreichs eröffnete Bern 1960 Kommunikationskanäle zwischen den Kriegsparteien. Später beteiligte sie sich an den Waffenstillstandsverhandlungen, die durch das Abkommen von Evian sanktioniert wurden. Die algerischen Gesandten hielten sich während der Verhandlungen in der Schweiz auf, und ein Teil der Gespräche mit Frankreich fand auf Schweizer Boden statt.
Dem Erfolg von Evian wurde zu einer Art Mythos der «guten Dienste» der Schweiz. Doch darauf folgte einerseits eine Reihe von Misserfolgen bei Vermittlungsversuchen, so in Afghanistan, im Südafrika der Apartheid und im Falklandkrieg zwischen Grossbritannien und Argentinien. Andererseits fand in 1985 Genf ein Gipfeltreffen zwischen US-Präsident Ronald Reagan und dem sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow statt.
Suche nach Frieden in einer multilateralen Welt
Das Genfer Gipfeltreffen war ein erstes Zeichen für Tauwetter zwischen den beiden Supermächten. Das Ende des Kalten Krieges leitete eine neue Phase in den internationalen Beziehungen ein, die durch eine immer wichtigere Rolle der multilateralen Gremien bei den «guten Diensten» gekennzeichnet war.
Gleichzeitig wurde in den 1990er-Jahren die Beziehung zur EU komplizierter und eine internationale Debatte über die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkriege entflammte. Die Schweiz musste sich neu orientieren.
Bern versuchte erneut, sich durch eine aktivere Aussenpolitik Handlungsspielraum zu verschaffen, diesmal aber im Rahmen der multilateralen Zusammenarbeit. Die Schweizer Diplomatie erzielte darauf im neuen Jahrtausend einige wichtige Erfolge, wie zum Beispiel 2002 ein Waffenstillstandsabkommen im Konflikt in den Nuba-Bergen im Sudan, unterzeichnet auf dem Bürgenstock bei Luzern.
2009 unterzeichneten die Türkei und Armenien dank Schweizer Vermittlung die Zürcher Protokolle, die auf eine Normalisierung der diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern abzielen. Die Vereinbarungen blieben bis heute jedoch mehr oder weniger wirkungslos.
Weitere Schweizer Friedensinitiativen in den 2000er-Jahren betrafen – ebenfalls mit gemischten Ergebnissen – die Konflikte in Nepal, Burundi, Kolumbien und auf der Insel Zypern.
Auch die Schweizer Bemühungen im israelisch-palästinensischen Konflikt zeigten keine nachhaltige Wirkung, sondern provozierten eher den Unmut Israels.
2019 gelang es nach jahrelangen Verhandlungen in Mosambik, ein Friedensabkommen zwischen der Regierung und den Rebellen in Mosambik zu erzielen.
Eine Akteurin unter vielen
Die intensiven Vermittlungsbemühungen der Schweizer Diplomatie sollten jedoch nicht dazu führen, die Rolle der Schweiz in der Friedensförderung zu überschätzen.
Entscheidend für Konfliktlösungen sind heute eher internationale Gremien wie die Vereinten Nationen. Die Schweiz ist heute ein Player unter vielen, mit einer mehrsprachigen und gut vorbereiteten Diplomatie und einem umfassenden «Savoir-faire». Doch sie leidet oft unter ihrer internationalen Isolation: Noch weniger als in der Vergangenheit können die «guten Dienste» heute die Notwendigkeit solider Allianzen ausgleichen.
Editiert und aus dem Italienischen übertragen von David Eugster
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