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«Ich kenne alle Minister persönlich, dringende Fragen regeln wir per Whatsapp»

Eine kleine Gruppe von Männern und Frauen gehen in einer Strasse und diskutieren.
Sightseeing in der libanesischen Hauptstadt: Bundespräsident Berset (links mit blauer Krawatte) lässt sich von Botschafterin Schmutz Kirgöz (rechts mit beigem Jupe) durch Beiruts Strassen führen. Keystone

Bundespräsident Alain Berset ist auf Staatsbesuch im Libanon. Das Land wird aufgrund diverser Gemeinsamkeiten oft mit der Schweiz verglichen. Die Schweizer Botschafterin in Beirut erzählt, warum die Schweiz im Libanon so beliebt ist.

Die Schweiz und Libanon pflegen traditionell gute Beziehungen. In jüngerer Vergangenheit haben sie ihren Austausch intensiviert. Um diese Entwicklung zu bestärken, weilt Bundespräsident Alain Berset zurzeit im Libanon, wo er zum Staatsbesuch empfangen wurde.

«Die ältere Generation betont gerne, dass der Libanon vor dem Krieg auch ‹die Schweiz des Nahen Osten› genannt wurde.»

Monika Schmutz Kirgöz ist die Schweizer Botschafterin im Libanon. Sie erzählt, was die beiden Länder verbindet, warum sie für ihre Arbeit Whatsapp benutzt, und wie es ist, in dieser männergeprägten Domäne eine Frau zu sein.

Wie sehen die Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Libanon aus?

Monika Schmutz Kirgöz: Wir haben sehr enge Beziehungen und die Schweiz ist äusserst aktiv im Libanon. Vor allem im kulturellen Bereich – manchmal sagen mir libanesische und ausländische Kollegen, die Schweiz sei kulturell sogar hyperaktiv. Wir haben aber auch Projekte im Bereich der Schulrehabilitation, der Frauenförderung oder etwa der Wasserversorgung in der Bekaa-Ebene.

Die Schweiz, als ebenfalls multikultureller Staat, hat hier einen sehr guten Ruf und viele Libanesen waren bereits einmal zu Besuch oder haben libanesische Freunde dort. Gerade die ältere Generation betont zudem gerne, dass der Libanon vor dem Krieg auch „die Schweiz des Nahen Ostens“ genannt wurde.

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Wie sieht Ihre Arbeit hier aus?

M.S.K.: Meine Arbeit ist geprägt vom Facettenreichtum des Landes. Es gibt 18 anerkannte Religionen, die auch in der Politik vertreten sind. Weltweit ist es das einzige Parlament, in dem Sunniten, Schiiten und verschiedene christliche Glaubensvertretungen sitzen und gemeinsam diskutieren. Das Land ist sehr durchmischt, und darauf sind die Libanesen stolz, denn sie wissen, dass dies einzigartig ist in dieser Region. Ein grosser Teil meiner Arbeit besteht somit in der Kontaktpflege zu den unterschiedlichen Akteuren und Interessenvertretern sowie in der Informationsbeschaffung.

«Im Libanon werden Frauen sehr respektiert, sie sind grossmehrheitlich modern und frei.»

Gerade die Gastfreundschaft der Libanesen macht die Arbeit sehr angenehm und diese Willkommenskultur hat mir geholfen, mich hier sofort aufgehoben zu fühlen und mir schnell ein Netzwerk aufbauen zu können. Das Spezielle ist der einfache Zugang zu den Menschen: Ich kenne alle Minister persönlich und wirklich dringende Angelegenheiten regeln wir via Whatsapp. In welchem anderen Land ist dies vorstellbar?

Die Start-Up-Szene ist sehr aktiv im Libanon. Worauf führen Sie dies zurück?

M.S.K.: Wie die Schweiz ist auch der Libanon klein aber fein, hat kaum natürliche Ressourcen, setzt dafür aber auf Brainpower. Das Geheimnis der Funktionsfähigkeit des Libanons liegt darin, dass es eben nicht funktioniert. Gerade wegen dieser Dysfunktionalität sind die Menschen hier wahre Improvisationskünstler geworden.

Durch die wenige Industrie und die Absenz von Strukturen gibt es viel Freiraum für Kreativität, Intellekt und Unternehmertum, wie auch für Kunst, Kultur und Theater. Da alle Gruppierungen im libanesischen Mosaik vertreten sein möchten, engagieren sie sich lieber selber statt darauf zu warten, dass der Staat sie im System integriert. Viel läuft hier privat.

Berset auf Staatsbesuch

Bundespräsident Alain Berset hat sich auf seinem Staatsbesuch Externer Linkim Libanon zur Flüchtlingskrise im Land geäussert. Er sieht weiterhin einen starken Migrationsdruck und rechnet nicht damit, dass die syrischen Flüchtlinge bald in ihre Heimat zurückkehren können.

Libanon hat insgesamt 1,3 Millionen Kriegsvertriebene aus Syrien aufgenommen. Dies sei ein Ausdruck grosser Solidarität der libanesischen Bevölkerung und der Behörden, sagte Berset gemäss Mitteilung des Innenministeriums.

Gegenüber dem Westschweizer Radio und Fernsehen RTS sagte der Bundespräsident, die Position der Schweiz sei einfach und klar: Es müsse dafür gesorgt werden, dass die Rückkehr der syrischen Flüchtlinge unter guten Bedingungen vonstatten gehen könne – freiwillig und würdevoll. Derzeit seien die Voraussetzungen dafür jedoch nicht gegeben. Die Schweiz setzt sich unter anderem für den Schutz und die Grundversorgung von Flüchtlingen und Bedürftigen im Libanon ein.

Berset hat am Montag unter anderen den libanesischen Staatspräsidenten Michel Aoun und Premierminister Saad Hariri getroffen. Am Dienstag wird er im Norden des Libanon ein Zeltlager syrischer Flüchtlinge besuchen. (SDA)

Auch geht man davon aus, dass etwa 4,5 Millionen Libanesen im Libanon leben, aber 10 bis 15 Millionen Libanesen im Ausland. Viele kommen wieder zurück und bringen wertvolle Auslanderfahrung mit. Der Geschäftssinn ist hier tatsächlich ausgeprägter als in anderen Ländern. Dies merkt man zum Beispiel auch daran, dass etwa in Afrika Pepsi in libanesischer Hand liegt.

Wie ist es, als Frau hier die Botschaft zu führen?

M.S.K.: Ich fühle mich jederzeit ernst genommen, auch von der Hizbollah. Im Libanon werden Frauen sehr respektiert, sie sind grossmehrheitlich modern und frei. Im Parlament sind Frauen zwar untervertreten, nicht aber auf Staatsebene: Proportional gesehen hat der Libanon sogar mehr weibliche Botschafterinnen als die Schweiz!

Ich sehe es eigentlich sogar als Vorteil, in dieser Domäne eine Frau zu sein. Es ist zum Beispiel bereits vorgekommen, dass ich von der ein und selben Sitzung einen ganz anderen Eindruck hatte, als ein männlicher Kollege. Ich finde, Frauen können besser zuhören und zwischen den Zeilen lesen. Frauen werden vielleicht auch einfacher zum Sympathieträger, man vertraut ihnen schneller und gibt ihnen somit mehr Informationen.

Es gibt weltweit immer mehr Botschafterinnen und auch im Libanon sind die EU oder die UNO durch eine Frau vertreten. Wir Frauen fördern den Austausch untereinander und treffen uns auch privat. Das ist immer sehr erfrischend.

Wie sieht die aktuelle Sicherheitslage aus?

M.S.K.: Der Libanon ist sehr sicher. Ich habe keine Angst, selbst wenn ich nachts alleine zu Fuss unterwegs bin. Gewisse Gegenden nahe der Grenzen sollte man vermeiden, aber ansonsten kann man gut im ganzen Land herumreisen. Es empfiehlt sich wie immer, die Reisehinweise des EDA zu konsultieren.

Was ist Ihr Lieblingsort im Libanon?

M.S.K.: Mir gefallen – ganz die Schweizerin – vor allem die Berge besonders gut. Es gibt hier den Lebanese Mountain Trail – eine Wanderung, die sich über 440 Kilometer vom Norden in den Süden erstreckt und auf welchem man in drei Wochen durch das ganze Land wandern kann. Ich mache ihn Abschnittsweise und habe mir gesagt, dass ich den Libanon nicht verlasse, bevor ich nicht den ganzen Trail abgewandert bin.

Gibt es etwas, dass Ihnen aus der Schweiz fehlt?

M.S.K.: Das Grüne mitten in der Stadt, Beirut hat wenig Grünflächen und die Luftbedingungen sind relativ schlecht. Ansonsten gibt es hier aber alles, sogar Gruyère und Appenzeller kann man im Supermarkt finden!

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