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In der Schweiz fühlt sich die Mafia ungestört

Aus einem veröffentlichten Video der italienischen Polizei. swissinfo.ch

Kein griffiges Anti-Mafia-Gesetz und zu wenig Wissen über die vielfältigen Aktivitäten der organisierten Kriminalität: In der Schweiz operieren italienische Clans unter dem Radar der Ermittler.

Diesen November schlug der Staat in Italien wieder einmal zu: Ziel war die kalabrische ’Ndrangheta und ihr internationales Mafia-Netzwerk. 104 mutmassliche Mafiosi und Mitläufer wurden in Italien verhaftet. Auch in der Schweiz gab es Verhaftungen – in den Kantonen Graubünden, Zürich, St. Gallen und Tessin.

In den Abhörprotokollen, die zu dem Fall veröffentlicht wurden, wird die Schweiz als guter Standort für mafiöse Geschäfte dargestellt. «In der Schweiz läuft es viel besser als in Italien», sagt ein Mafioso in einem abgehörten Gespräch.

«In der Schweiz geht es ihnen gut. In Italien haben sie uns ruiniert.»

«Machst du Witze?»

«Nie. Es gibt kein 416bis in der Schweiz.»

416bis ist der italienische Mafiaparagraf. Er sieht alleine schon für die Zugehörigkeit zu einer Organisation bis zu 26 Jahre Haft vor.

Die Schweiz diente den Drogen- und Waffenhändlern, den Erpressern und Geldwäschern als Ruheraum und Operationsbasis zugleich, ergaben die Ermittlungen. Samuel Bolis von der Finanzpolizei Como erklärt: «Die Festgenommenen nutzen die Schweiz als logistische Basis für Drogen und Waffen. Die Drogen kamen aus Italien und waren für den Schweizer Markt bestimmt. Die Waffen kamen aus Drittländern und waren für Italien bestimmt.»

Kriminelle Aktivitäten in der Schweiz

Das Bundesamt für Justiz erklärt: «Die von den italienischen Behörden vorgeworfenen Tathandlungen sollen von Italien aus, zumindest teilweise aber auch in der Schweiz ausgeführt worden sein. Den Festnahmen sind Ermittlungen der Kantone sowie der Bundeskriminalpolizei und der Bundesanwaltschaft vorangegangen.»

Herausfordernd für die Schweiz sind die Strukturen der italienischen Mafia-Organisationen, die hier operieren, allen voran jene der ‹Ndrangheta. Diese hat seit langem in vielen Bereichen der Schweizer Wirtschaft und in allen Sprachregionen Fuss gefasst: Restaurants, Hotels, Baugewerbe. Tätig sind sie aber auch in Finanzberatungsfirmen und mittels Briefkastenfirmen, die sich etwa im Kanton Graubünden ausbreiten.

Die anderen italienischen Mafias, die Camorra, die Sacra Corona Unita und die Cosa Nostra, sind ebenfalls in der Schweiz präsent, jedoch in viel geringerem Ausmass als die mächtige kalabrische Organisation.

Schweiz kennt keinen Mafia-Paragrafen

Investigativjournalistin Maria Roselli beobachtet unter anderem für das Tessiner Radio und Fernsehens RSI seit Jahren die organisierte Kriminalität in der Schweiz. Der jüngste Fall führt laut der Mafia-Expertin einmal mehr vor Augen, wie unerschrocken in der Schweiz weiterhin operiert wird: «Es kann nicht sein, dass zwei Mafiosi sich lustig darüber machen, wie einfach das Leben als Mafioso in der Schweiz ist.»

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Denn im Unterschied zu Italien gab es in der Schweiz bis vor kurzem keinen «Mafia-Paragrafen», der den Ermittlern schon bei einfacher Mitgliedschaft in einer mafiösen Vereinigung weitreichende Möglichkeiten bot.

Die Mafia fühlt sich in der Schweiz also deshalb so wohl, weil Artikel 260ter des Schweizerischen Strafgesetzbuches bis Juli 2021 maximal fünf Jahre Gefängnis für ein mafiöses Vergehen vorsah. Das war wenig, verglichen mit der lebenslangen Haft, die Mitgliedern in Italien droht. Inzwischen hat aber auch die Schweiz die Gesetze angepasst.

Nach italienischen Angaben wurde aber diesmal auch in der Schweiz strafrechtlich relevantes Material sichergestellt – nämlich Kokain. Maria Roselli sieht darin eine Chance, denn es gibt nun ein handfestes Delikt: «Dieses Kilo Kokain, das jetzt gefunden wurde, gibt der Polizei die Möglichkeit, auch hier ein Verfahren zu führen. Das heisst: Nicht nur die Möglichkeit der Auslieferung, sondern auch die Möglichkeit, hier vor Ort aktiv zu werden.»

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