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«Der Immobilienmarkt ist am Brennen»

Hypotheken-Boom im Engadin und seine Folgen: Wenn Wohnungen und Häuser gekauft und gebaut werden, um sie an Feriengäste zu vermieten, wo bleibt dann erschwinglicher Wohnraum für die einheimische Bevölkerung? Mit dieser Frage müsse sich auch die Schweizer Nationalbank beschäftigen, fordert die Scuoler Bankerin Cilgia Rest im Geldcast von Fabio Canatg. swissinfo.ch/Geldcast

"Alles, was es zu verkaufen gibt, wird sehr schnell verkauft", sagt Cilgia Rest, Regionalleiterin der Graubündner Kantonalbank (GKB) in Scuol, im neuen "GeldcastExterner Link". Gleichzeitig warnt Fritz Zurbrügg, Vize-Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB), in einer Rede vor Überhitzungen auf dem Immobilienmarkt.

«Heute können wir wieder einmal mit unserer Landschaft prahlen.» Das ist das erste, was Cilgia Rest mir lachend sagt, als sie mich in der Schalterhalle begrüsst. Rest ist die Chefin der Graubündner Kantonalbank in Scuol. Nur wenige Kilometer südlich liegt der Nationalpark, der 3173 Meter hohe Piz Pisoc steht zum Greifen nahe, die Skipiste führt bis ins Dorf. Rest lebt seit ihrer Kindheit im Engadin.

Das Engadin ist einer der Orte, wo der Häusermarkt zu überhitzen droht. Am Mittwoch warnte Fritz Zurbrügg, der Vize-Präsident der SNB, bei einer Veranstaltung der Universität LuzernExterner Link vor den «hohen Verwundbarkeiten» auf dem Immobilienmarkt. In ungewöhnlich klaren Worte sprach Zurbrügg von «deutlichen Anzeichen» einer übermässigen Hypothekarvergabe.

Die Nationalbank warnt vor Überhitzungen

Den Immobilienboom spüren auch die Leute im Engadin: Die Immobilienpreise sind hoch, die Wohnungssituation angespannt. «Alles, was es zu verkaufen gibt, wird sehr schnell verkauft», sagt Cilgia Rest. Sie weiss, wovon sie spricht: Als Regionalleiterin der Graubündner Kantonalbank ist sie täglich im Kontakt mit ihren Kundinnen.

Sie erzählt uns von einer Software-Entwicklerin, die bei einer ausländischen Firma angestellt ist und in der Region lebt und arbeitet. Homeoffice in den Bündner Bergen: darin sieht Rest auch viel Positives. Sie sagt: «Wir haben alle etwas davon, wenn Leute ins Engadin kommen.»

Eine negative Begleiterscheinung der Zuwanderung sind die steigende Häuserpreise: Allein in den letzten 15 Jahren sind die Preise von Einfamilienhäusern und Eigentumswohnungen in der Schweiz um über 80 Prozent gestiegen. Das sagte Fritz Zurbrügg gestern in Luzern. Eine Mitschuld daran tragen die Negativzinsen der Schweizerischen Nationalbank. Wegen der tiefen Zinsen sind die Hypothekarkredite heute nämlich so günstig wie nie zuvor. Als Folge davon explodiert die Nachfrage nach Wohneigentum.

Hier gehts zum Geldcast mit Cilgia Rest in voller Länge. Das Gespräch finden Sie auch auf SpotifyExterner Link, Apple PodcastsExterner Link und ebenfalls in der Geldcast-Sammlung von swissinfo.ch:

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Das Engadin lebt vom Tourismus

Das bestätigt auch Rest im swissinfo.ch-Geldcast: Ihre Kundinnen und Kunden würden vermehrt Immobilien kaufen. Immobilien, die dann auch gerne an Feriengäste vermietet werden.

Was bedeutet das für die Menschen im Engadin? Auf der einen Seite stehen die Vertreter der Tourismusbranche, auf der anderen Seite die einheimische Bevölkerung. Gleichzeitig steht die Finanzstabilität auf dem Spiel, wenn die Banken zu viel Kredite vergeben.

Der GKB-Bankerin Rest kommt in diesem Spannungsfeld eine entscheidende Rolle zu: Mit ihren Krediten ermöglicht sie einerseits die Instandhaltung und den Ausbau von Ferienwohnungen. Für Rest ist klar: Wenn sie das nicht mehr tun würde, könnte man im Unterengadin nicht mehr leben. «Der Tourismus ist die Aorta unserer Existenz», so Rest, «jede und jeder ist hier davon abhängig.»

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Wohnraum für Einheimische wird knapp

Andererseits verschärft Rest mit ihrer Kreditvergabe die Wohnungsnot der lokalen Bevölkerung. Mehr Touristen heisst eben auch: Weniger Wohnraum für die Einheimischen. Das bestätigt mir eine Freundin aus dem Engadin, die während der letzten Jahre in der Wintersaison eine Wohnung in Sent mietete, um auf den Skipisten des Unterengadins als Skilehrerin zu arbeiten. «Die Wohnung wird jetzt an Feriengäste vermietet», sagt sie. Sie hätte mit einem anderen Zimmer vorliebnehme müssen, einem «Kellerloch».

«Auf dem Wohnungsmarkt werden die Einheimischen zunehmend von den Feriengästen verdrängt», sagt auch Cilgia Rest. Sie könne verstehen, wenn das im Tal zu Spannungen führe. Es sei schon so: Wer hier eine Wohnung vermiete, können sehr gut daran verdienen. Entschärfen könnte man diese Situation durch etwas eine «flexiblere» Interpretation der Gesetze, meint Rest: «Eine bundesweite Vorschrift zum Zweitwohnungsbau ist vielleicht nicht das Richtige.»

Die Warnung von SNB-Vizepräsident Zurbrügg lanciert die Debatte um die hohen Immobilienpreise neu. Die Sorgen der Engadiner:innen werden jetzt auch in den Büros der geldpolitischen Entscheidungsträger diskutiert.

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