Schweiz prüft Zertifikat für AstraZeneca-Geimpfte
Auslandschweizerinnen, Grenzgänger, Diplomatinnen: Tausenden erwächst wegen der Ausweitung der Zertifikats-Pflicht in der Schweiz ein Problem. Sie sind geimpft, aber sie kriegen kein Covid-Zertifikat. Der Bund muss reagieren.
In 181 Ländern wird der Covid-Impfstoff von AstraZeneca verwendet. Alle Nachbarländer der Schweiz führten damit Impfungen durch. Auch viele Schweizerinnen und Schweizer, die im Ausland leben, haben AstraZeneca verimpft bekommen. In der Schweiz aber kann das zu Problemen führen.
So staunte etwa eine Schweizerin, wohnhaft in Jordanien, nicht schlecht, als sie – in Jordanien doppelt mit AstraZeneca geimpft – vor kurzem zurück in die Schweiz kam, hier ein Covid-Zertifikat verlangte und keines bekam. Begründung: Sie sei mit AstraZeneca geimpft. Für die Frau heisst das: Wenn sie an eine Grossveranstaltung möchte, muss sie sich trotz Impfung testen lassen – und dies soll ab 1. Oktober kostenpflichtig werden.
Absurde Folgen
Mit der Ausweitung der Zertifikatspflicht, die ab Oktober wohl auch Restaurants, Kinos oder gar den ÖV treffen könnte, verschärft sich das Problem – und die Frau aus Jordanien ist längst kein Einzelfall. Betroffen sind Tausende: Grenzgängerinnen, Korrespondenten, Diplomaten und Auslandschweizerinnen. Auch Franz Muheim: Der Schweizer Physiker lebt in Schottland und doziert an der dortigen Uni. Derzeit hält er sich aber im CERN in Genf auf. Muheim – zweifach geimpft mit AstraZeneca – sitzt auch im Vorstand der Auslandschweizer-Organisation. Er ärgert sich: «Das Virus macht nicht vor Grenzen halt, und dies müsste auch beim Zertifikat berücksichtigt werden.»
Wenn er am CERN arbeitet, hält sich Muheim grenznah in Frankreich auf. Möchte er dort im Restaurant essen, geht das nicht. Frankreich will dafür ein Zertifikat sehen – ein anerkanntes. Und da wird es nun absurd: Das Schweizer Zertifikat wäre Frankreich gut genug. Muheim aber hat ein schottisches, das reicht Frankreich nicht – obwohl Frankreich den AstraZeneca-Impfstoff anerkannt hat. Ein Schweizer Zertifikat aber kriegt Franz Muheim nicht – weil er mit AstraZeneca geimpft ist.
Vierfach impfen fürs Zertifikat?
Damit nicht genug: Am CERN arbeitet Muheim mit Kollegen aus Russland und China, die Sputnik und Sinovac verimpft erhalten haben. Diese bezeichnen sich heute scherzhaft als 4G – vierfach geimpft. Dies, weil sie in der Schweiz nochmals für zwei Dosen Impfstoff anstanden, nur um das Schweizer Zertifikat zu erhalten – nur für ihre Bewegungsfreiheit, oder anders gesagt: Um der Bürokratie einen Dienst zu tun.
Vierfach impfen, weil die Schweizer Zulassungsbehörde Swissmedic den Impfstoff von AstraZeneca noch nicht anerkannt hat? Das kommt für Franz Muheim aus Prinzip nicht infrage. Auch die WHO rät von Multi-Kombinationsimpfungen ab. Nicht weil das schaden würde. Im Gegenteil könnte laut StudienExterner Link eine Kombination von Vektorimpfstoffen wie AstraZeneca und mRNA-Impfstoffen wie Biontech oder Moderna die Immunantwort sogar verstärken. Vielen fehlt aber in der Covid19-Pandemie immer noch der Zugang zu einer Erst-Impfung. Da wirken Mehrfach-Impfungen in den reichen Ländern wenig zielführend.
BAG stellt Lösung in Aussicht
Das Schweizer Bundesamt für Gesundheit hat die Problematik offenbar erkannt. Jetzt reagiert es. Auf entsprechende Anfrage von SWI swissinfo.ch schreibt das Amt: «Der Bund wird im Rahmen der allfälligen Ausweitung der Zertifikatspflicht Lösungen für die Ausstellung von Zertifikaten prüfen für Personen, die mit AstraZeneca in einem Drittland geimpft wurden.»
Weiterhin keine Schweizer Covid-Zertifikate gibt es jedoch für Personen, die mit Sputnik, Sinopharm oder Sinovac geimpft sind. Denn auch diese Impfstoffe sind hierzulande nicht zugelassen.
Vorteile für Geimpfte aus der EU
Immerhin brachte die bestehende Praxis auch schon Aussenminister Ignazio Cassis in Erklärungsnot. Am 1. August versuchte dieser, Auslandschweizerinnen in Thailand die Sache verständlich zu machen. Er sagte: «Ganz Europa ist mit AstraZeneca geimpft. Weil wir es in der Schweiz noch nicht zugelassen haben, heisst das nicht, dass der Impfstoff nicht gut ist. Eine AstraZeneca-Impfung gilt, wenn man in die Schweiz einreisen muss.» Nicht zu verwechseln sei dies aber «mit dem Covid-Zertifikat.» Das sei eine andere Geschichte. Dort gebe es, so Cassis, ein «Problem mit der Kompatibilität».
Glück hat bisher, wer in einem EU- oder Schengenland mit AstraZeneca geimpft wurde und dann mit einem von der EU ausgestellten Covid-Zertifikat in die Schweiz kommt. Dieses wird bereits in der Schweiz anerkannt – AstraZeneca hin oder her. Das illustriert, wie überfällig eine Schweizer Anerkennung des Impfstoffs ist.
Am 20. August forderte das Parlament der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer daher in einer Resolution, dass die Schweiz zumindest sofort die Impfstoffe anerkenne, die auch von der WHO ein Gütesiegel erhalten haben. Zudem soll die Schweizer «Covid-Verordnung ergänzt werden, damit die Gleichwertigkeit eines durch Drittstaaten ausgestellten Zertifikats anerkannt werden kann.»
FDP-Nationalrat Laurent Wehrli, der wie Muheim im Vorstand der Auslandschweizer-Organisation ASO sitzt, ist bereit, diese Forderung in der Herbstsession auch in den Nationalrat zu tragen «Das Postulat ist noch nicht deponiert», sagt er. «Ich habe die Hoffnung, dass sich das Problem bis Mitte September noch löst.»
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