Schweiz nimmt Initiative für ein Verbot von Tabakwerbung an
Die Schweizer Stimmbevölkerung befürwortet die Volksinitiative "Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung" mit 56,6%. Mit dieser Abstimmung wird Werbung für Tabakprodukte überall verboten, wo Minderjährig sie sehen könnte.
Jede vierte Person in der Schweiz raucht, das sind zirka 2 Millionen Menschen. Dieser Anteil ist auch unter Jugendlichen ähnlich hoch. Die Volksinitiative, über welche die Stimmbevölkerung heute entscheidet, will das ändern. Sie fordert strengere Regeln, um Rauchen für Minderjährige unattraktiver zu machen.
Die Zustimmung für die Initiative ist 56,6%-Ja-Stimmenanteil deutlich. Das benötigte Ständemehr, das heisst die Zustimmung in der Mehrheit der Kantone, hat die Initiative ebenfalls erreicht. Die Stimmbeteiligung war mit 44,2% eher tief. Das Tabakwerbeverbot ist die 25. Initiative in der Geschichte der direkten Demokratie der Schweiz, die an der Urne reüssiert.
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Die Tabakinitiative ist nach der Pflegeinitiative, die im vergangenen November angenommen wurde, die zweite erfolgreiche linke Initiative innert kürzester Zeit – beide Vorlagen beschäftigten sich mit der Gesundheitspolitik. «Das ist eindeutig ein Trend», sagt Lukas Golder, Politikexperte vom Forschungsinstitut gfs.bern gegenüber dem Schweizer Fernsehen.
Das ändert sich mit der Annahme der Initiative
Die Volksinitiative will für Kinder und Jugendliche sichtbare Werbung für Tabakprodukte verbieten. Dies gilt beispielsweise für Plakate, für Kinos, am Kiosk, für Medien, auf Sportplätzen und auch fürs Sponsoring. Zulässig ist Tabakwerbung gemäss der Initiative demnach nur, wenn sie ausschliesslich für Erwachsene sichtbar ist, etwa mit Mailings, Prospekten oder mit gezielter Werbung im Internet oder in sozialen Medien.
Die Schweiz war bisher ein wahres Tabak-Paradies: Sie war eines der europäischen Länder, die am wenigsten entschieden gegen Rauchen und Tabakkonsum vorgehen. Zudem ist die Schweiz das einzige Land Europa, das das Rahmenübereinkommen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Eindämmung des Tabakgebrauchs nicht ratifiziert hat. Eine mögliche Erklärung: Die grössten Zigarettenproduzenten der Welt haben in der Schweiz eine Niederlassung.
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Das Parlament hatte bereits ein neues Tabakproduktegesetz als indirekten Gegenvorschlag zur Initiative ausgearbeitet. Dieses verbietet künftig schweizweit Werbung für Tabakprodukte im Kino und auf Plakaten. Zudem dürfen Tabakkonzerne Zigaretten nicht mehr gratis verteilen oder internationale Veranstaltungen in der Schweiz sponsern. Diese Gesetzesänderung wäre auch im Falle einer Ablehnung der Initiative für ein Tabakwerbeverbot in Kraft getreten. Doch nun muss das Parlament nochmals über die Bücher und sich an die Umsetzung der erfolgreichen Tabakinitiative machen.
Das sagen Befürworter:innen und Gegner:innen
«Das ist für uns ein historisches Ja», sagt Andrea Trummer, Geschäftsführerin der Lungenliga Glarus, gegenüber dem Schweizer Fernsehen.
Die Initiative wurde von zahlreichen Gesundheits- und Jugendorganisationen lanciert. Von den grossen Parteien unterstützen die Sozialdemokratischen Partei (SP), die Grünen, die Grünliberalen (GLP) und die Evangelischen Volkspartei (EVP) das Anliegen.
«Wir sprechen hier nicht von Lebensmitteln, sondern von Tabak, einem höchst gesundheitsschädigenden Suchtmittel», so Trummer. Das Initiativkomitee betont, dass der frühe Einstieg in den Tabakkonsum das Risiko erhöht, langfristig abhängig zu werden. Zudem wird darauf hingewiesen, dass zahlreiche Studien den grossen Einfluss der Werbung auf minderjährige Personen belegen. Der indirekte Gegenvorschlag geht den Initiatin:innen zu wenig weit, so sei Werbung weiterhin an vielen Orten möglich, die für Jugendliche zugänglich seien, namentlich in Gratiszeitungen und sozialen Medien.
Wir waren vor Ort: Im Video sehen Sie die Reaktionen des Pro- und des Kontra-Komitees.
Gegen die Initiative stellte sich der Bundesrat so wie die bürgerlichen Parteien. Sie waren der Meinung, dass die Initiative mit ihrem weitgehenden Werbeverbot zu weit geht, da Werbung nur noch an wenigen Orten oder in Medien erlaubt sei, zu denen Jugendliche keinen Zugang hätten. Sie halten das für einen grossen Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit.
«Das macht mir etwas Angst, man will uns immer mehr bevormunden» sagt Gregor Rutz, SVP-Nationalrat und Präsident der Schweizerischen Vereinigung des Tabakwarenhandels zum Abstimmungsresultat. «Man muss dem Bürger nicht vorschreiben, was er konsumieren darf.» Dass für grundlegende Werbeverbote für legale Produkte verhängt werden könnten, stört Rutz.
Für die Gegner:innen der Initiative hätte der Gegenvorschlag einen ausreichenden Jugendschutz geboten.
«Der Bundesrat wird nun die Umsetzung der Initiative angehen», sagte Alain Berset, der zuständige Bundesrat. «Mit der Umsetzung wird sich der Bundesrat einmal mehr mit der Ratifizierung des Rahmenabkommens der WHO beschäftigen müssen.»
Das sagen die Medien
«Das ist die Quittung für die Machenschaften der Tabaklobby»,Externer Link kommentiert die Neue Zürcher Zeitung (NZZ). Zwar schiesse die Initiative über das Ziel hinaus, «allerdings hat sich die Tabaklobby die Abstimmungsohrfeige zu grossen Teilen selbst eingebrockt.» Sie habe jede Regulierungslücken genutzt, um damit ein junges Publikum zu erreichen und produziere in der Schweiz Zigaretten, die so giftig sind, dass sie hier gar nicht verkauft werden dürfen.
Die CH-Media-PublikationenExterner Link kritisieren vor allem die Kampagne der Gegner:innen der Initiative: «Sie haben die Urteilsfähigkeit der Bevölkerung nicht ernst genommen.» Die Gegenkampagne schürte die Befürchtung, nach Tabak könnten bald auch Cervelats und Rüeblitorten verboten werden.
«Wer kann schon gegen eine Initiative sein, die Kinder und Jugendliche vor dem Rauchen schützen will?», so die rhetorische Frage in der Analyse von SRF NewsExterner Link. «Ob und wie stark ein radikales Werbeverbot nützt, Jugendliche vom Rauchen abzuhalten, darf aber zumindest bezweifelt werden.» Weitere Verbote für Tabakkonsum und -verkauf hätten auch in Zukunft gute Chancen, von der Bevölkerung gutgeheissen zu werden.
Auch die Westschweizer Zeitung Le TempsExterner Link hebt hervor, es sei schwierig, zu einer solchen Initiative Nein zu sagen. Die Pandemie habe zudem die Sensibilität für Gesunheitsthemen erhöht. Trotzdem überrasche der Erfolg: Denn das Ständemehr stellte durch die vielen kleinen, konservativen Kantone für linke Anliegen eine hohe Hürde dar.
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