Die Schweiz spart im Aussennetz – aber wo?
Die Schweiz muss 10 Millionen in ihrem Aussennetz sparen. Auf Kosten der Auslandschweizer:innen? Deren Lobby gibt sich kämpferisch. Entschieden wird im Herbst.
Der Bund muss sparen, der Schweiz droht ein Haushaltsdefizit. Eine Massnahme, die der Bundesrat im Februar beschlossen hat: Jedes Departement spart ab nächstem Jahr 2 Prozent der laufenden Kosten. In den Ministerien spricht man von «Querschnittskürzungen».
Der Sparzwang trifft somit auch das Schweizer Aussendepartement EDA – und dort ist das Botschaftsnetz ins Visier geraten. Entsprechende Erwägungen hat Ende Juni die NZZ am SonntagExterner Link publik gemacht.
«Wir sind voll dran»
Inzwischen steht fest, dass das Sparprogramm läuft. «Wir sind voll daran, dies umzusetzen», sagte Aussenminister Ignazio Cassis letzte Woche an einer Medienkonferenz auf eine Frage von swissinfo.ch. Wie aber sehen die Sparmassnahmen aus? Dieser Frage wich er aus, wie Sie in diesem Video sehen können.
Auf Anfrage von swissinfo.ch gibt die Kommunikationsabteilung des Aussenministers aber einige Details bekannt, darunter die angepeilte Summe: Es sind 10 Millionen Franken, die bei den Schweizer Aussenvertretungen eingespart werden sollen.
Das gesamte Aussennetz kostet die Schweiz im Jahr 495 Millionen Franken. Die Sparvorgabe beträgt damit ziemlich genau 2%.
Das Schweizer Aussennetz ist im Vergleich mit anderen Ländern gross. Es umfasst in aller Welt aktuell 103 Botschaften, 29 Generalkonsulate, 19 Kooperationsbüros, 12 ständige Missionen und vier weitere Vertretungen, das sind 167 Aussenposten.
Kämpferische Auslandschweizer:innen
Schliesst die Schweiz eine ihrer Botschaften, ist dies für die Gemeinschaft der Auslandschweizer:innen stets ein Affront. Konsulate sind die nächste Verbindung zur Heimat, ein Besuch oft unumgänglich – und mühsam, je weiter der Weg dorthin ausfällt.
«Für uns ist und bleibt die Aufrechterhaltung qualitativ hochstehender konsularischer Dienstleistungen eine absolute Priorität», sagt darum Ariane Rustichelli, die Direktorin der Auslandchweizer-Organisation ASO. Diese Dienstleistungen sollten ihr zufolge den Bedürfnissen der Auslandschweizer:innen und ihrer geografischen Verteilung entsprechen.
Rustichelli verweist darauf, dass die Aufrechterhaltung des konsularischen Netzes auch einer der sieben Punkte des ASO-WahlmanifestsExterner Link darstellt.
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7 Forderungen der Schweizer Diaspora an die politische Welt
Mit diesem Manifest sensibilisiert die Lobby der Schweizer Auslandbürger:innen Politik und Behörden in der Legislatur 2023-2027 für ihre zentralen Anliegen – und in diesen Wochen insbesondere auch Kandidierende für die eidgenössischen Wahlen vom 20. Oktober 2023.
«Selbstverständlich werden wir diese Thematik mit dem Direktor der Konsularischen Direktion besprechen», kündigt Rustichelli an, «und auf der Grundlage der erhaltenen Antworten entscheiden, was wir als Nächstes tun werden». Abschliessende Entscheide über die konkreten Sparmassnahmen sind laut EDA kaum vor dem Herbst zu erwarten.
Ausbau für Gesuchsflut von Flüchtenden
Zuletzt hat die Schweiz im konsularischen Netz sogar ausgebaut, zumindest personell. 35 Stellen werden in einem aktuellen Projekt von Bern ins Aussennetz verschoben.
Dieses wurde 2021 gestartet und läuft noch. Wird es nun gestoppt? «Nein. Die Umsetzung der Verschiebungen befindet sich aktuell in der Abschlussphase», schreibt das EDA dazu.
Der Ausbau ist eine Massnahme, die eher als Reaktion auf Krisen zu interpretieren ist, denn als ein Service für Schweizer Landsleute im Ausland.
So spürten etwa die Schweizer Vertretungen in Istanbul, Teheran und Islamabad 2021 die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan. «Sie wurden geflutet von Gesuchen für humanitäre Visa. Da mussten wir von Bern aus massiv unterstützen», erklärte ein EDA-Chefdiplomat swissinfo.ch im Juni 2022.
Doch jenseits der Bedürfnisse von Auslandschweizer:innen bestehen ebenso Empfindlichkeiten. Denn die Vertretungen sind nicht nur Konsulate. Sie fungieren auch als Hubs für die Schweizer Aussenwirtschaftspolitik, und sie sind Drehscheiben für die Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz.
Wo wird gespart?
Wo also wird gestrichen, und was sind die Kriterien? Swissinfo.ch hat dem EDA detaillierte Fragen nach der Prioritätensetzung gestellt. So wollten wir wissen, ob die Grösse der Auslandschweizer-Community in die Evaluation von Sparmöglichkeiten einfliesst.
Wir fragten auch, ob geografische, personelle oder Infrastruktur-Aspekte bei den Sparanstrengungen eine Rolle spielen. Die Antwort des Aussendepartements: Man erarbeite derzeit Varianten. «Die Festlegung konkreter Massnahmen erfolgt basierend auf den geografischen Schwerpunkten der Aussenpolitischen Strategie sowie deren Unterstrategien», schreibt das EDA. Es werde Massnahmen zur Priorisierung ergreifen, die «den aussenpolitischen Interessen der Schweiz und den verfügbaren Ressourcen Rechnung tragen».
Allein: Die Aussenpolitische Strategie des Bundes wurde 2019 erarbeitet und trat Anfang 2020 in Kraft. Sie hat vier Jahre auf dem Buckel, ein Zeitraum voller dramatischer Entwicklungen. Einiges darin ist überholt.
So misst die Strategie etwa Chinas Handelsoffensive, der sogenannten neuen Seidenstrasse, grosses Gewicht bei. Hier musste Aussenminister Ignazio Cassis zurückkrebsen. Er präsentierte 2021 eine neue China-Strategie, die dem autoritärer werdenden Auftritt der Grossmacht auf der Weltbühne Rechnung trug.
Teure Präsenz in Russland
Gar dramatisch verändert hat sich die Situation bei einem weiteren strategischen Fokus der Schweiz: Russland. Ausgerechnet in Moskau eröffnete die Schweiz noch 2019 die zweifellos prächtigste Botschaft ihres Aussennetzes, einen 42 Millionen-Bau, bevölkert von 70 Mitarbeitenden. Die Investition übertraf das Investment der Schweiz in ihre Präsenz in Washington bei weitem, diese kostete 2006 vergleichsweise bescheidene 17 Millionen Franken.
Ebenfalls erst 2020 eröffnet wurde die Schweizer Botschaft in Weissrussland. Die Überlegungen dort waren ähnlich wie in Russland: Früh und fest Fuss fassen in einem vermeintlichen Wachstumsmarkt. Der weissrussische Diktator Lukashenko war ein Grosskunde des Schweizer Zugbauers «Stadler Rail». Man hoffte bei ihm wie bei Putin auf «Wandel durch Handel».
Das ging nicht auf. Die für die Aussenwirtschaft errichteten Vertretungen gerieten kurz nach ihrer Eröffnung in den Strudel des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Für Unternehmen sind Russland und Weissrussland zur No-Go-Zone geworden. Es drohen Sanktionen.
Was kosten diese Aussenposten? Die Antwort des EDA: «Das Budget 2023 der Botschaft in Moskau, des Generalkonsulats in St. Petersburg und der Botschaft in Minsk beläuft sich auf 11 Millionen Franken.»
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