Schweiz Tourismus wirbt für 1600km lange Grand Tour
Fünf Alpenpässe, 13 UNESCO-Stätten und 22 Seen – die neue "Grand Tour" durch die Schweiz umfasst Dutzende von natürlichen Attraktionen und kulturellen Sehenswürdigkeiten. Wie gut lässt sich dieses Konzept vermarkten, und wird es Besucherinnen und Besucher ansprechen?
Vom 17. bis zum 19. Jahrhundert liebten es wohlhabende junge Leute aus England, ein paar Jahre auf dem Kontinent zu verbringen und auf einer «Grand Tour» die kulturellen Perlen des Festlands zu besuchen. Sie begannen ihre Tour in der Regel in Paris und reisten von dort weiter Richtung Rom – natürlich über die Schweiz.
Spulen wir vorwärts in die heutige Zeit, in der viel mehr Leute auf Reisen gehen. Schweiz Tourismus hofft, diese Reisenden ins Land zu ziehen, mit einer 1600 Kilometer langen «Grand Tour», die zu den Top-100 der touristischen Attraktionen und Sehenswürdigkeiten führt, zu denen beispielsweise die Altstadt von Bern oder der Aletschgletscher gehören.
«Wir haben in der Schweiz viel anzubieten, die Vielfalt auf kleinem Raum ist erstaunlich. In der Schweiz kann man eine Stunde reisen und schon wird eine andere Sprache gesprochen, verändern sich Landschaft und Kultur. Wir fanden daher, dass die Schweiz perfekt ist, um auf eine Tour zu gehen», sagt Jürg Schmid, der Direktor von Schweiz Tourismus, gegenüber swissinfo.ch. Es dauerte drei Jahre, die Tour zusammen mit allen Projektpartnern zu gestalten.
Ein Zielpublikum dürften Reisende aus Grossbritannien sein – die Erfinder der ursprünglichen Grand Tour. Gavin Tollmann ist Direktor des Unternehmens Trafalgar Tours, das sein Paket «Secrects of Switzerland» (Geheimnisse der Schweiz) in Zusammenarbeit mit Schweiz Tourismus zusammenstellte.
«Es besteht kein Zweifel, dass dies etwas ist, das überall auf der Welt auf Widerhall stossen könnte, wenn man es richtig gestaltet. Es ist eine grossartige Kombination von bekannten und weniger bekannten Teilen der Schweiz. Und ich glaube, das ist es, was unsere Kundschaft sucht», sagt Tollmann gegenüber swissinfo.ch.
«Wenn man nicht billiger sein kann …»
Ein Aspekt jedoch ist sicherlich nicht attraktiv: der Schweizer Franken. Nachdem die Schweizerische Nationalbank im Januar ihre Untergrenze für den Euro fallen gelassen hatte, wurde die Destination teurer. So wird diese Grand Tour nicht billig zu stehen kommen, vor allem für Touristen aus dem Euro-Raum. Die KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH ZürichExterner Link prognostiziert aufgrund des starken Frankens für diesen Sommer einen Rückgang von etwa 1% bei den Logiernächten.
Dennoch scheint Tourismusdirektor Schmid nicht allzu besorgt.
«Wenn man nicht billiger sein kann, muss man besser sein. Wir müssen mit dem Schweizer Franken leben, der seit 50 Jahren eine starke Währung ist. Leute, welche die Schweiz besuchen, wissen, dass dies kein Schnäppchen ist. Sie wissen, dass die Schweiz ihren Preis hat, aber sie erwarten dafür höchste Qualität. Wir konzentrieren uns daher sehr darauf, die Qualität des Erlebnisses zu erhöhen», sagte Schmid.
Die Schweiz sei als Destination einfach zu verkaufen, sagt Rory Byrne vom Luxus-Reiseveranstalter Powder Byrne in Grindelwald. Seine Kunden wüssten, dass es billiger wäre, die Skiferien selber zu organisieren, aber sie seien gewillt, seine Firma damit zu beauftragen und dafür einen Preisaufschlag zu bezahlen.
«Ich war überrascht, dass wir diesen Winter keinen Kunden hatten, der erklärte, wie teuer die Schweiz sei. Vor allem im Februar, der unser Spitzenmonat ist. Die Leute taten, als wäre nichts, kauften Schweizer Franken, zahlten mit ihren Kreditkarten und gingen danach wieder nach Hause.»
Was die Qualität angeht, sah Byrne in den letzten Jahrzehnten in der Schweiz Fortschritte.
«Die Schweiz hat in den vergangenen 30 Jahren wirklich ihre ‹Software› verbessert. Noch vor 25 oder 20 Jahren galt der Service in der Schweiz als eher harsch – und berühmt-berüchtigt – als nicht so freundlich wie in Österreich. Ich glaube, das hat sich in der Schweiz stark verändert. Es ist freundlicher geworden. Das Personal ist im Allgemeinen sehr gut.»
Weniger überzeugt ist Byrne, was die Anlagen betrifft, die «Hardware»: «Ich finde, Schweizer Hotels geben zu viel für Renovationen aus. Die Kultur in der Schweiz ist, dies langfristig ausgelegt zu tun», sagte er und meinte damit, dass die Zimmer zwar oft solide und zweckdienlich seien, aber nicht mehr modern oder stilvoll. «Sie geben zu viel Geld in falschen Bereichen aus, etwa für massive Infrastrukturen wie Bäder, kümmern sich aber nicht um die Schlafzimmer.»
«OK für 2015»
Schöne Zimmer oder nicht, dass Konzept der Grand Tour von Schweiz Tourismus bringt es mit sich, dass die Leute so oder so in keinem Hotel sehr lange bleiben werden.
«Es ist eine grossartige Idee», witzelt Thomas Harder von Swiss Brand Experts, einer Beratungsfirma aus Zürich, die Destinationen entwickelt. Während er übereinstimmt, dass die Schweiz auf kleinem Raum eine grosse Vielfalt zu bieten habe, fragt er sich, wieso die Grand Tour mit so viel Herumreisen verbunden sei – dies halte die Reisenden davon ab, ein bestimmtes Gebiet besser kennen zu lernen.
«Die Leute schlafen jeden Tag in einer anderen Stadt. Die Lancierung der Grand Tour ist eine Sache, aber es ist wichtig, sich darüber Gedanken zu machen, welche Angebote wir haben, um die Leute dazu zu bringen, länger an einem Ort zu bleiben», sagt Harder. Er schlägt vor, mehr Gewicht auf Wandertouren zu legen, bei denen die Leute von einem zentralen Ausgangspunkt aus eine Reihe von Routen geniessen könnten.
Remi Walbaum, Professor für Unternehmertum an der Hotelfachschule in Lausanne, ist nicht überzeugt, dass die Grand Tour verlockend genug ist, um langfristig Leute in die Schweiz zu ziehen.
«Ich denke, es ist OK für 2015. Es ist etwas für eine Gruppe von Leuten, die zusammen reisen und Erlebnisse teilen möchte, aber schliesslich werden die Leute Dinge wollen, die für sie individuell gestaltet werden. Das kann man heute schon von einigen dieser jungen chinesischen Leute sagen, die alleine in die Schweiz kommen. Sie sind nicht mehr Teil einer Gruppe, auch wenn dies ein ziemliches Risiko ist für sie, da sie die Sprache nicht sprechen», sagt Walbaum.
Er weist auch darauf hin, dass die Popularität, Reisefotos im Internet online zu schalten, das Verlangen nach mehr einzigartigen Erlebnissen antreibe.
«Die Leute wollen Fotos schiessen, die ihnen das Gefühl geben, anders zu sein, besonders zu sein. Wenn ich auf einer Grand Tour bin und alle die gleichen Fotos machen, werde ich nicht als besonders oder anders gesehen. Ich denke, die Leute wollen als Individuen wahrgenommen werden, und als Folge davon werden sie der Grand Tour entkommen und vom vorgespurten Pfad abkommen wollen», sagt Walbaum voraus.
Nicht so grün
Kritiker aus Umweltkreisen sagen, das ganze Konzept einer «Autoreise» durch die Schweiz sei auf jeden Fall nicht nachhaltig. So erklärte Urs Scheuss, Fachsekretär der Grünen, auf Anfrage der Schweizerischen Depeschenagentur (sda): «Für die Grünen ist es unverständlich, dass Schweiz Tourismus mit unberührten Alpen-Bildern Werbung macht und gleichzeitig den Strassenverkehr in die Berge fördert.»
Auf einigen Seiten der Broschüre zur Grand Tour wird auch für eine «Grand Train Tour», eine grosse Eisenbahnreise, durch die Schweiz geworben, mit Ausnahme von Montreux deckt diese aber den westlichen, französischsprachigen Teil des Landes nicht ab.
Übrigens fehlen auf der Grand Tour auch einige der populärsten Sehenswürdigkeiten des Landes. Nachdem die Route im April vorgestellt worden war, gaben jene, die auf der Strecke geblieben waren, ihrer Bestürzung in Schweizer Medien Ausdruck. So fehlen zum Beispiel die alpinen Destinationen Jungfrau und Schilthorn, die traditionell bei Gästen aus Asien ziemlich beliebt sind, auf der Route.
Es sei «skandalös», zitierten der Tages-Anzeiger und Der Bund Philippe Stroll, den Geschäftsführer der Jungfrau-Region Tourismus AG. «Hier werden zwei der grössten Attraktionen der Schweiz vernachlässigt.»
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)
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