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Schweiz will überflüssige Impfstoffe loswerden

Impfdosen gegen die Schweinegrippe. Keystone

Die Schweiz sitzt wie andere westeuropäische Länder auf Millionen von ungenutzten Schweinegrippe-Impfdosen. Bund und Kantone wollen diese nun loswerden.

Die französische Regierung will 50 Millionen der bestellten Impfdosen abbestellen, wie sie am Montag bekannt gab.

Von den 65 Millionen Franzosen liessen sich bisher lediglich 5 Millionen impfen.

Frankreich reagierte mit diesem Entscheid auf die grosse Kritik von Politikern und Wissenschaftlern an der kostspieligen nationalen Impfkampagne. Die sozialistische Partei hatte diese als «extravagantes Fiasko» bezeichnet und eine parlamentarische Untersuchung gefordert.

Die französische Regierung hatte ursprünglich 94 Millionen Impfstoffdosierungen im Betrag von 712 Mio. Euro eingeplant, wobei sie davon ausging, dass pro Einwohner zwei Impfungen notwendig sind.

Die Regierung ziehe mit ihrem Entscheid die Konsequenzen aus neuen Empfehlungen der internationalen Gesundheitsbehörden, wonach eine einmalige Impfung zum Schutz vor dem Grippevirus A (H1N1) ausreiche, sagte Gesundheitsministerin Roselyne Bachelot am Montagabend dem Fernsehsender TF1.

Nur Bruchteil verwendet

Frankreich folgt damit der Schweiz, Spanien, Deutschland und den Niederlanden, die im Dezember bekannt gegeben hatten, dass sie Impfdosen spenden oder weiterverkaufen wollten.

Die Schweiz mit ihren rund 7,7 Mio. Einwohnerinnen und Einwohnern bestellte beim Schweizer Pharmakonzern Novartis und Glaxo-Smith-Kline (GSK) aus Grossbritannien insgesamt 13 Mio. Impfdosen in der Höhe von 84 Mio. Franken.

Lediglich ein Bruchteil der 13 Millionen Dosen Schweinegrippe-Impfstoff wurde in der Schweiz verwendet, der Rest befindet sich in den Lagern von Bund und Kantonen.

Im Dezember kündigte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) an, dass 4,5 Millionen überschüssiger Impfdosen weiterverkauft oder der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gespendet werden sollten.

Die Diskussionen seien noch am Laufen, sagte BAG-Sprecher Jean-Louis Zurcher gegenüber swissinfo.ch. Mehr wollte er darüber nicht sagen.

Es sei viel Geld in die Impfdosen investiert worden, doch die Pandemie hätte auch schlimmer verlaufen können, so Zurcher.

Volle Lagerbestände

Auch Deutschland will seine Lagerbestände an Schweinegrippe-Impfstoff abbauen und Impfdosen-Bestellungen neu verhandeln. So will die deutsche Regierung versuchen, die Hälfte der Bestellung bei GSK im Betrag von 50 Mio. Franken zu annullieren.

Auch die Niederlande informierten im November, dass sie 19 Millionen der 34 Millionen bestellten Impfdosen verkaufen wollten.

Spanien versucht ebenfalls seine Vorräte an Schweinegrippe-Impfstoffen loszuwerden. Laut der spanischen Regierung enthalten die Verträge mit Novartis (22 Mio. Impfdosen), GSK (14,7 Mio. Impfdosen) und Sanofi-Aventis (400’000 Impfdosen) Klauseln, die eine Rückgabe von überschüssigen Impfmaterial erlauben.

In Grossbritannien sieht es nicht anders aus: Verkäufe von Impfdosen würden in Betracht bezogen, sagte ein Sprecher des britischen Gesundheitsministeriums gegenüber der Agentur France Presse.

Pessimistische Analysten

Laut Analysten von Morgan Stanley zeigt die Abbestellung seitens Frankreichs den Rückgang von H1N1-Impfungen. Sie sehen darin ein «kurzfristiges moderates Risiko für Gewinneinbussen» von Pharmakonzernen wie GSK, Sanofi und Novartis.

Die Verkäufe von H1N1-Impfdosen waren bisher für die Pharmakonzerne ein Geldsegen. Analysten erwarteten zudem, GSK werde bis Ende des ersten Quartals 2010 Impfstoffe im Wert von 3,7 Mrd. Franken verkauft haben. Die Einnahmen von Sanofi und Novartis werden auf 1,1 Mrd. Franken respektive 628 Millionen Franken geschätzt.

Auf Grund der neuesten Entwicklungen könnten diese Zahlen nach unten korrigiert werden. «Novartis will die Nachfragen der Regierungen im Rahmen der vertraglichen Abmachungen von Fall zu Fall evaluieren», so Novartis-Sprecher Eric Althoff.

Medizinskandal

Verschiedene Europarats-Mitglieder überlegen sich, ob sie eine Untersuchung verlangen wollten, inwiefern die Pharmakonzerne Einfluss auf die weltweite Schweinegrippe-Kampagne genommen hätte.

Der deutsche SPD-Politiker Wolfgang Wodarg, der in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates als Chef des Unterausschusses für Gesundheit amtiert, hält die Massnahmen gegen H1N1 für «einen der größten Medizinskandale des Jahrhunderts» und macht die Schweinegrippe zum Thema im Europarat.

«Gesundheitsgefahr durch gefälschte Pandemien» – unter diesem Motto beschäftigt sich der Europarat im Januar mit dem Einfluss der Pharmaindustrie auf die weltweiten Kampagnen gegen die Vogel- und Schweinegrippe.

Simon Bradley, swissinfo.ch und Agenturen
(Übertragung aus dem Englischen: Corinne Buchser)

In Westeuropa scheint der Höhepunkt der Pandemie überschritten zu sein. Die Zahl der Schweinegrippe-Fälle in der Schweiz geht zurück.

Im Dezember wurden 418 H1N1-Fälle registriert, das sind 1600 weniger als im Vormonat.
Seit Juli 2009 wurden schweizweit 12’826 Fälle bestätigt, 430 Personen wurden hospitalisiert, 77 befanden sich auf der Intensivstation. 13 Menschen starben an Schweinegrippe.

Nachbarländer in Zentral- und Osteuropa kämpfen noch immer mit der Grippe-Epidemie. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist das Virus zur Zeit in Griechenland, Polen, Bulgarien, Serbien, der Ukraine und in Russland am Aktivsten.

Die Schweinegrippe hat sich laut WHO in 208 Ländern und Gebieten verbreitet. Im Juni 2009 wurde sie zur Pandemie erklärt. Dem Virus sind weltweit offiziell mindestens 12’220 Menschen zum Opfer gefallen. Die tatsächliche Zahl der Todesopfer dürfte aber weit höher liegen.

Wie WHO-Generaldirektorin Margaret Chan letzte Woche erklärte, könnte die Pandemie weitere 6 bis 12 Monate andauern.

Die Schweiz hat bei Novartis und Glaxo-Smith-Kline 13 Millionen Dosen H1N1-Impfstoff bestellt.

Beide Impfstoffe enthalten einen Zusatz aus Öl, der Antikörper anregt.

Nach Angaben von Novartis und Glaxo-Smith-Kline sind die Nebenwirkungen des Impfstoffs ähnlich wie bei jenem gegen die saisonale Grippe: Schwellungen und Rötungen an den Einstichstellen sowie Fieber, Gliederschmerzen und Kopfweh.

Bei der Schweinegrippe handelt es sich um ein Virus des Typs A, der von Mensch zu Mensch übertragen wird(Tröpfcheninfektion durch Husten, Niesen oder Berühren).

Die Schweinegrippe ist ein neuer Grippetyp mit dem Virus H1N1. Der Virus ist eine Kombination aus zwei Schweine-, einem Geflügel- und einem Menschenvirus. Es tauchte erstmals in Mexiko auf.

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