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Schweizer Aussenpolitik: Das Ende der Privilegien

Zwei Männer und eine Flasche Wein
Der Schweizer Bundesrat Ignazio Cassis, links, spricht mit Bogdan Aurescu, Aussenminister von Rumänien, während eines offiziellen Besuchs in der Schweiz im September 2021. Keystone / Peter Schneider

Viele Jahre lang konnte die Schweiz unter dem Deckmantel der Neutralität und mit vielen Sonderlösungen diskret ihren Wohlstand vermehren. Doch nun hat auf internationaler Ebene der Wind gedreht.

Während die USA, Japan und die EG 1986 versuchten, das Apartheid-Regime mit Wirtschaftssanktionen in die Knie zu zwingen, betrieb die neutrale Schweiz weiterhin Handel mit Südafrika.

Während die Uno und die USA ab 2007 das Mullah-Regime mit Waffen-Embargo und Sanktionen vom Bau einer Atomwaffe abzuhalten versuchten, baute die Schweiz ihre Handelsbeziehungen zum Iran aus. Und während sich die Schweiz mit der Entwicklungszusammenarbeit für mehr Demokratie und Rechtsstaat im Globalen Süden einsetzte, deponierten zweifelhafte Despoten ihre Gelder auf Schweizer Bankkonten.

Mit ihren Guten Diensten, der humanitären Tradition, der Neutralität und dem Internationalen Genf hat sich die Schweiz über Jahrzehnte als engagierte Akteurin in Szene gesetzt und im Hintergrund diskret eigene, teils wirtschaftliche Interessen gepflegt. So sehen das zumindest die Kritiker:innen.

Verletzte werden aus Ambulanz geladen
Mitarbeitende des Internationalen Roten Kreuzes kümmern sich während des Ersten Weltkriegs um Kriegsverletzte, die nach Genf evakuiert worden sind. Keystone / Str

Die Neutralität, verstanden als «wir machen mit allen Geschäften und scheren uns nicht um Sanktionen» sei nebst Finanzplatz und Steuergesetzen einer der Gründe gewesen, warum die Schweiz zur global dominierenden Drehscheibe des Rohstoffhandels habe aufsteigen können, schreibtExterner Link Andreas Missbach, Geschäftsführer von Alliance Sud, einer Arbeitsgemeinschaft von Schweizer NGOs.

Das internationale Umfeld ist schwieriger geworden

Laut Elisabeth Schneider-Schneiter von der Partei «Die Mitte» hat die Schweiz aufgrund ihrer Neutralität in der Vergangenheit viele Privilegien geniessen können. Doch: «Diese Privilegien erodieren.»

Unter internationalem Druck – ausgehend unter anderem von den USA – hat die Schweiz ihren Finanzplatz reformiert, das Bankgeheimnis teilweise abgeschafft und den automatischen Informationsaustausch in Steuersachen eingeführt.

Vögel über dem UBS-Logo
Der Schweizer Finanzplatz hat sich auf die grenzüberschreitende Vermögensverwaltung spezialisiert. Keystone / Alessandro Della Bella

Auch das schwierige Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU widerspiegelt die veränderte Stimmung. «Mit den bilateralen Verträgen konnte die Schweiz lange umfassend vom europäischen Binnenmarkt profitieren, ohne sich den Pflichten dieses Marktes unterstellen zu müssen», so Schneider-Schneiter. In Brüssel redet man immer öfter vom «Rosinenpicken». Damit sei es nun vorbei, sagt Schneider-Schneiter. Ebenso wie mit den tiefen Steuern – neustes Beispiel sei die OECD- Mindestgewinnsteuer von 15% für grosse Unternehmen. 

Dass sich das internationale Umfeld verändert hat, bestätigt auch Aussenpolitikerin Christine Badertscher von der Grünen Partei: «Die EU will der Schweiz keine Ausnahmen mehr gewähren», sagt sie. Die gefährdeten Beziehungen zur EU sind laut Badertscher aktuell die grösste Gefahr für den Wohlstand der Schweiz.

Nicht nur die schwierigen bilateralen Beziehungen, auch Entwicklungen innerhalb Europas tangieren die Schweizer Wirtschaft. So versucht die Schweiz beispielsweise mittels LobbyingsExterner Link eine EU-Finanzmarktreform abzumildern, die eigentlich eine Reaktion auf den Brexit ist, aber auch das Geschäft der Schweizer Banken mit der Verwaltung vor allem deutscher Vermögen empfindlich treffen könnte.

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Die «Freunde der Schweiz» werden überschätzt

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Schweiz hat sich in den Beziehungen zur EU in die Sackgasse manövriert, auch weil sie Verschiebungen im Machtgefüge der EU ignoriert hat.

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Auch der Überfall Russlands auf die Ukraine hat die Stimmung gegenüber der Schweiz verändert. So ärgern sich manche europäischen Länder darüber, dass sie von der Schweiz gekaufte Waffen und Munition nicht an die Ukraine weitergeben dürfen. Die Schweiz hält unter Berufung auf die Neutralität und ein nationales Gesetz standhaft am Verbot fest, obwohl deutsche Politiker:innen damit drohtenExterner Link, keine Rüstungsgüter mehr in der Schweiz zu kaufen.

>> Aus dem Archiv von SRF: Deutschland macht Druck wegen Munition für die Ukraine, Echo der Zeit vom 31.10.2022.

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Die Schweiz kann nicht mehr unter dem Radar fliegen

China, Russland, Iran – die autokratischen Staaten halten zusammen, auch im Krieg Russlands gegen die Ukraine. Manche Kommentator:innen sprechen von erneuter Blockbildung und einem neuen Kalten Krieg.

Laut Patrick Dümmler vom wirtschaftsnahen Thinktank Avenir Suisse wird die Schweiz wohl nicht darum herumkommen, Position zu beziehen – «mehr als früher und stärker als ihr lieb ist».

In ihrem Selbstverständnis und in der weltweiten Wahrnehmung verortet sich die Schweiz im westlichen Bündnis. Laut Dümmler kann sie kaum mehr wie früher unter dem Radar fliegen und Geschäfte mit anderen machen. «Ihre Aussenwirtschaftspolitik wird von den USA und der EU beobachtet, es wird von ihr erwartet, dass sie mitzieht.» Früher habe es diesen Anspruch nicht gegeben, die Schweiz habe sich durchmogeln können, indem sie sich neutral gegeben habe.

Sanktionen kosten Wohlstand – so oder so

Im Falle des Ukraine-Kriegs hat die Schweiz gemäss ihrer offiziellen Kommunikation hehre Ideale über den eigenen Wohlstand gestellt und bei den Sanktionen gegen Russland mitgezogen – nach einigem Zögern.

Die Schweiz sei unter Zugzwang geraten, meint jedoch Dümmler. «Sie wird wohl die Sanktionen weiterhin mittragen, sonst läuft sie Gefahr, selber mit wirtschaftlichen Gegenmassnahmen konfrontiert zu werden.»

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Mitte-Chef Gerhard Pfister prognostizierte gegenüber MedienExterner Link, die Schweiz müsse sich auf einen Wohlstandsverlust einstellen. Sanktionen und Gegenreaktionen, der Abbruch von Handelsbeziehungen – all das werde uns Wohlstand kosten.

Die Sanktionen haben wohl aus derselben Erwartung heraus in der Bundesverwaltung für Meinungsverschiedenheiten gesorgt. Wenn das Aussendepartement mit den wichtigsten Handelspartnern gute Beziehungen pflegen will, muss die Schweiz der EU und den USA ab und zu entgegenkommen. Auch bei Massnahmen wie Sanktionen, die nicht im Sinne der Wirtschaft sind.

Die Abteilung Wohlstand und Nachhaltigkeit des Aussendepartements hat innerhalb der Bundesverwaltung vermittelt. Abteilungschefin Alexandra Baumann sieht den Schweizer Wohlstand durch Sanktionen nicht direkt gefährdet. Sie sagt im Interview mit swissinfo.ch: «Wir setzen uns für ein stabiles Finanzsystem und bestmögliche Beziehungen zum Ausland ein.» Denn der Wohlstand nähre sich in erster Linie durch stabile Rahmenbedingungen.

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Alexandra Baumann

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Diese Frau sorgt für Wohlstand in der Schweiz

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Aussenpolitik wird immer relevanter für den Wohlstand der Schweiz. Umso wichtiger ist Kohärenz zwischen Aussen- und Innenpolitik.

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Während Pandemie, Energiekrise und Inflation andere europäische Länder wirtschaftlich durchschüttelten und zu grösseren politischen Umwälzungen führten, bleibt die Schweiz wirtschaftlich und politisch überraschend beständig. Statt auf Privilegien wie Neutralität und Sonderstatus zu setzen, kann die Schweiz also einen anderen Trumpf ausspielen: Er heisst Stabilität.

Editiert von Balz Rigendinger.

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