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Schweizer Biotech-Firma rüttelt am Antibiotika-Markt

Antibiotics
Novel antibiotics tend to be reserved as a last line of defence and used for short periods as to avoid resistance. © Keystone / Gaetan Bally

Die Welt benötigt dringend neue Antibiotika, speziell in Pandemie-Zeiten. Doch die Investitionen bleiben aus. Das Schweizer Familienunternehmen Debiopharm fordert, die Medikamenten müssten als Versicherung betrachtet werden.

Als Unternehmer mit über 40 Jahren Erfahrung weiss Thierry Mauvernay, womit man Geld verdienen kann. Und Antibiotika gehören nicht dazu. «Damit macht man heute kein gutes Geschäft», betont der Präsident von Debiopharm.

Die Probleme auf dem Antibiotika-Markt sind seit Jahren bekannt: Kostspielige Forschungsarbeiten für ein Produkt, das für kurze Zeit zu tiefen Preisen verkauft wird, lassen Unternehmen zurückschrecken. Und Wissenschaftler scheuen Forschung auf diesem Gebiet.

Trotzdem gibt Mauvernay die Suche nach neuen Antibiotika nicht auf. Seine Motivation erklärt er mit der aktuellen Covid-19-Pandemie: «Ich möchte nicht, dass wir dereinst feststellen: Wir hätten mehr tun können», erklärt er in der Produktionsstätte seines Unternehmens in Martigny.

Doch die geschäftlichen Risiken sind gross: Weil immer mehr grosse Pharmamultis aus der Entwicklung neuer Antibiotika aussteigen, schrumpft die Zahl der potenziellen Partner, welche die von Debiopharm entwickelten Präparate herstellen und vermarkten könnten.

Die Führungskräfte des Unternehmens, die sonst lieber hinter den Kulissen agieren, fordern deshalb vom Bundesrat und auch von Regierungen anderer Staaten, die Probleme auf dem Antibiotika-Markt anzupacken, bevor es zu spät ist.  

Riskante Forschung

Debiopharm ist im Vergleich zu anderen Biotech-Unternehmen in einer beneidenswerten Position: Der Familienbetrieb verfügt nicht nur über die notwendigen Finanzen, sondern auch über die Unabhängigkeit von Aktionären. «Wir können Risiken eingehen, die andere nicht eingehen können», sagt Mauvernay, der die Firma im Jahr 2001 von seinem Vater übernommen hat.

Das US-amerikanische Unternehmen Achaogen war im vergangenen Jahr eines von mindestens zwei Antibiotika-Start-ups, die Konkurs anmelden mussten. Achaogen entwickelte ein Medikament, das komplizierte Harnwegsinfektionen behandelt. Doch der Gewinn war zu klein, so dass sich das Unternehmen finanziell nicht mehr über Wasser halten konnte.

Bis 2050 könnten laut der Weltgesundheitsorganisation WHO jährlich weltweit rund zehn Millionen Menschen sterben, wenn keine neuen Antibiotika auf den Markt kommen. Experten warnen davor, dass die Covid-19-Pandemie die Situation durch längere Krankenhausaufenthalte nur noch verschlimmere. Denn gerate in Spitälern besteht ein erhöhtes Risiko bakterieller Sekundärinfektionen. Dennoch wollen nur wenige Unternehmen in dieses Feld einsteigen, und all jenen, die es wagen, geht früher oder später das Geld aus.

Debiopharm hat bereits mehrere hundert Millionen Franken in die Erforschung von drei der neun dringlichsten von der WHO identifizierten Krankheitserreger investiert. Für die Entwicklung von Antibiotika wird in der Regel rund 1 Milliarde Franken über einen Zeitraum von 10 bis 15 Jahren aufgewendet. Und die Erfolgsquote liegt bei 10 bis 15 Prozent. Debiopharm ist aber zuversichtlich, dass sie in vier Jahren ein neues Antibiotikum auf den Markt bringen kann.

Architekten der Pharmabranche

Im Gegensatz zu vielen Biotech-Unternehmen macht Debiopharm keine grossen wissenschaftlichen Entdeckungen und verkauft auch keine «Blockbuster-Medikamente». Vielmehr hat sie eine Nische in der weniger sichtbaren Mitte der Lieferkette gefunden. Das Prinzip des 1979 gegründeten Unternehmens: keine Forschung, nur Entwicklung.

Debiopharm erkennt früh vielversprechende Forschungsfelder, erwirbt die nötigen Lizenzen, entwickelt danach die Wirkstoffmoleküle und lizenziert diese an grössere Pharmaunternehmen, welche schliesslich die Medikamente auf den Markt bringen. Sie seien so etwas wie die «Architekten der Pharmabranche», beschreibt Mauvernay, da Debiopharm verschiedene Stufen der pharmazeutischen Kette auslagere.

Man suche ständig nach neuen Wirkmolekülen, sagt der Unternehmer. Rund 600 pro Jahr. In der Regel entstehe daraus nur ein Vertrag. Danach wendet Debiopharm 10 bis 15 Jahre und durchschnittlich knapp 1 Milliarde Franken für die Entwicklung auf – klinische Studien eingeschlossen. Zu den Partnern gehören grosse Konzerne wie Takeda, Pfizer und Sanofi.

Immer mehr steigen aus

Doch der Unternehmer ist besorgt: Immer mehr Pharmariesen wie Novartis und GSK steigen aus der Forschung und Entwicklung neuer Antibiotika aus. Die Chancen, dass Debiopharm die getätigten Investitionen wieder hereinholt, stehen deshalb zunehmend schlecht.

«Wenn wir ein Antibiotikum auf den Markt bringen, finden wir vielleicht niemanden, der es kaufen will», ergänzt Bertrand Ducrey, Geschäftsführer von Debiopharm International und Vize-Präsident der Debiopharm-Gruppe.

Im vergangenen Monat hat eine Koalition von 23 grossen Pharmaunternehmen, darunter Novartis und Roche, einen Fonds in Höhe von umgerechnet rund einer Milliarde Franken eingerichtet, um Patienten neue Antibiotika zur Verfügung zu stellen. Debiopharm ist neben Bioversys und Polyphor eines von mehreren Unternehmen in der Schweiz, die von diesem Geld profitieren könnten.

«Es ist gut, Geld in die Forschung zu investieren, aber es wäre effektiver, wenn die Pharmakonzerne weiterhin selbst an der Entwicklung von Antibiotika beteiligt wären und hälfen, ein Geschäftsmodell zu entwickeln, das auch wirklich funktioniert», so Mauvernay.

Finanzielles Polster

Debiopharm will die Entwicklung auf dem Gebiet der Antibiotika weiter vorantreiben, auch weil es sich das Unternehmen leisten kann. Zusätzlich zu den Infektionskrankheiten investiert Debiopharm viel in die lukrative Onkologie. Etwa sieben von 14 Medikamenten in der Pipeline des Unternehmens sind für Krebstherapien vorgesehen. Dazu gehört Xevinapan. Das Medikament erhielt von der US-Arzneimittelbehörde das Prädikat «bahnbrechende Therapie», was die Überprüfung durch die Behörden beschleunigt.

«Ohne Einnahmen aus der Onkologie können wir keine Antibiotika auf den Markt bringen», sagt Ducrey.

2006 stiess Mauvernay auch die Schaffung eines Investitionsfonds in Höhe von 150 Millionen Franken an. Vor einigen Wochen hat sich Debiopharm darüber mit rund 11 Millionen Franken am belgischen Startup Oncomfort beteiligt, das Hypnose und virtuelle Realität einsetzt, um die Schmerzen und Ängste von Patienten zu lindern. 

Vorsorgen für schlechte Zeiten

Auch wenn Debiopharm nicht plant, den Antibiotika-Markt zu verlassen, sieht die Geschäftsführung  trotzdem dringenden Handlungsbedarf. «Wie kann man etwas entwickeln, wenn man es nicht verkaufen kann? Wer will in so etwas investieren?», fragt Mauvernay.

Regierungen und Wohltätigkeitsorganisationen versuchen, den Markt zu stimulieren, indem sie einige Vorlaufkosten für die Forschung übernehmen, aber das ist keine langfristige Lösung. Das hohe Risiko, das mit der Herstellung von Antibiotika verbunden ist, wirkt sich auf die Preise aus, was dazu führt, dass die Medikamente auch für die breite Masse unerschwinglich werden.

Die Verantwortlichen bei Debiopharm argumentieren, dass Staaten anfangen müssten, Antibiotika als eine Art Versicherung zu betrachten – ein Vorschlag, den auch Experten für öffentliche Gesundheit und Wirtschaft unterstützen.

Sie vergleichen Antibiotika mit einem Airbag in einem Auto oder Waffen und Panzer, welche bis zum Ausbruch eines Krieges gelagert werden. «Man kauft sie, falls man sie braucht. Aber man hofft, sie nie benützen zu müssen», sagt Mauvernay.

Das Gesundheitswesen würden eine regelmässige «Prämie» zahlen und die Antibiotika nur dann einsetzen, wenn sie gebraucht werden. Dies entkoppelt die Zahlungen an die Arzneimittelfirmen von der Menge der verkauften Antibiotika, gibt den Firmen aber immer noch Anreize, Medikamente zu entwickeln.

Grossbritannien testet das Modell bereits

Grossbritannien begann im Sommer mit der Erprobung eines solchen Modells für zwei Antibiotika. Und in den USA ist vor kurzem ein Gesetzesentwurf mit dem Namen Pasteur Act eingebracht worden, der vorsieht, dass Unternehmen im Gegenzug für unbegrenzten Zugang zu ihren Antibiotika Vorauszahlungen erhalten. Ähnliche Vorschläge haben bei den Schweizer Gesundheitsbehörden bislang wenig Anklang gefunden.

Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass länderspezifische Massnahmen ausreichen werden. Covid-19 habe den Menschen geholfen, die Dringlichkeit von Bedrohungen der öffentlichen Gesundheit zu erkennen, sagt Mauvernay. Die Pandemie habe aber auch gezeigt, dass es schwierig sei, Staaten auf ein gemeinsames Ziel zu einen. «Wir brauchen Solidarität unter den Staaten, um den Markt zu verändern», ist er sich sicher. «Ich glaube nicht, dass das zurzeit realistisch ist.»

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