Parlamentskammern sind sich zunehmend uneins
Das Herz der Schweizer Politik hat zwei Kammern: den Nationalrat (grosse Parlamentskammer) und den Ständerat (kleine Parlamentskammer). Im Wechselspiel zwischen diesen beiden entstehen Gesetze. Das braucht Zeit, sorgt aber auch dafür, dass der politische Puls nicht in unkontrollierbare Höhen schnellt. Doch immer seltener sind sich die beiden Kammern einig.
Wie oft in jüngster Vergangenheit mussten diese Woche 26 National- und Ständeräte zur sogenannten Einigungskonferenz antreten. Diese Zusatzrunde war nötig, weil die beiden Kammern im normalen Verfahren wieder einmal keine gemeinsame Lösung gefunden haben. Das Zusammenspiel National- und Ständerat erscheint in diesen Tagen etwas kompliziert. Und bisweilen ist die Debatte auch sehr emotional.
«Es ist komisch, dass ein Kompromiss abgelehnt wird, weil man nicht mit allen Details einverstanden ist…» (Roger Nordmann)
Wie schwer es National- und Ständerat haben, sich zu einigen, zeigen auch diese Zahlen: Seit Beginn der Legislatur vor zwei Jahren waren bisher 18 Einigungskonferenzen nötig. Die Zahl von 21 in den vier Jahren davor ist schon fast erreicht.
Kompromiss abgelehnt
Manchmal bringt auch die Einigungskonferenz die Räte nicht mehr zusammen. Hier wurde diese Woche der Budget-Kompromiss geschmiedet: 370 überschüssige Millionen Franken sollten der AHV zugutekommen. Doch der Ständerat schickte den Vorschlag der Einigungskonferenz unter den Augen einiger Nationalräte bachab.
«Es ist sehr bedauerlich», sagt Roger Nordmann, Nationalrat der Sozialdemokratischen Partei (SP). Denn die Einigungskonferenz sei ein Kompromiss zwischen National- und Ständerat. «Eigentlich gehört es zu den Gepflogenheiten, dass man diesen Kompromiss akzeptiert.» Für den Ständerat, die sogenannte «chambre de réflexion» sei es schon ein bisschen komisch, dass ein Kompromiss einfach grundsätzlich abgelehnt werde, nur weil man nicht mit allen Details einverstanden sei, so Nordmann.
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Pirmin Bischoff, Ständerat der Christlichdemokratischen Volkspartei sieht das anders: «Es war keine Machtdemonstration. Es war einfach das Zweikammersystem, das heute gespielt hat.» Im vergangenen Jahr habe der Nationalrat einen solchen Antrag in der Budgetdebatte abgelehnt; in diesem Jahr sei es eben der Ständerat gewesen. So gesehen sei es völlig normal. «Es stimmt aber, dass sich der Ständerat relativ häufig durchsetzt in solchen Abstimmungen.»
«Am Schluss gewinnt der Ständerat.» (Christian Wasserfallen)
Die Kräfteverhältnisse werden im Nationalrat ähnlich beurteilt. Christian Wasserfallen, Nationalrat der Freisinnigen Partei (FDP.Die Liberalen) sagt: «In letzter Zeit war es bei Differenzbereinigungen leider immer gleich: Am Schluss gewinnt der Ständerat.» So auch im Falle des Gesetzes über die Stromnetze, wo der Ständerat diese Woche via Einigungskonferenz eine Klausel für die Wasserkraft durchsetzte.
«Es gibt halt Emotionen»
Starker Ständerat, frustrierter Nationalrat: Wasserfallens Parteikollege Philipp Müller sieht es weniger dramatisch. «Es gibt halt Emotionen. Das wird sich wieder legen, das haben wir immer wieder erlebt.» Das gebe es auch innerhalb eines Rates oder innerhalb von Fraktionen. «In der nächsten Session ist alles vergessen und wir packen wieder neue Sachen an.»
Und der Nationalrat kann dem Ständerat zeigen, dass die grosse Kammer nicht immer schwächer ist als die kleine Kammer.
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