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Schweizer E-Bike-Firma elektrifiziert den Export

Unter Strom: Leonardo DiCaprio und Blake Lively unterwegs auf einem Stromer im Big Apple. Bullspress.de

Ein Kleinunternehmen expandiert weltweit und widersetzt sich damit dem gegenwärtigen Trend. Denn viele Schweizer Firmen leiden zur Zeit unter der Frankenstärke und sind nicht mehr konkurrenzfähig. Unterstützung erhält die Firma zudem aus Hollywood.

Der Hersteller des Elektro-Fahrrads Stromer erhielt jüngst die Art von Publizität, die man nicht mit Geld kaufen kann: Aufnahmen der Hollywood-Stars Leonardo diCaprio und Blake Lively, die auf Stromer-Satteln sitzend durch die Strassen von New York pedalen.

Der Erfinder dieses Elektro-Velos, Thomas Binggeli, stand allerdings vor einem Dilemma. Sein Pedelec (pedal+electric), das vor drei Jahren lanciert worden war, wurde so populär, dass er die Nachfrage nicht mehr bewältigen konnte.

Langfristig ist der Schweizer Markt für den ehrgeizigen Geschäftsmann und seine Fahrrad-Firma Thömus jedoch zu klein. Er will ein wichtiger Player auf dem Markt werden.

«Wir hatten zwei Möglichkeiten: Investoren zu suchen oder die Elektro-Velo-Abteilung an eine grössere Firma zu verkaufen, die das globale Wachstums-Potenzial realisieren kann», sagte Binggeli gegenüber swissinfo.ch.

Es grassierten Gerüchte, wonach der 37-jährige ehemalige Schweizer Jungunternehmer des Jahres Gespräche mit Investoren führte.

Am 9. November schliesslich war der Deal perfekt. International Sport Holding (ISH), Besitzerin des Schweizer Velounternehmens BMC (Team von Cadel Evans, Sieger der Tour de France 2011) übernimmt Stromer, Binggeli hält 30% der Anteile und wird CEO.

Etablierte Marken

Der Gründer von ISH ist der Schweizer Geschäftsmann und Multimillionär Andy Rihs, dessen Fahrrad-Marken international bereits etabliert sind.

Rihs ist erpicht darauf, sich ein Stück des Elektro-Bike-Geschäfts abzuschneiden, das gemäss europäischen Analysten und Herstellern stark im Kommen liegt.

In der Schweiz haben sich die E-Bike-Verkäufe in den letzten fünf Jahren verzehnfacht. Sie machen zur Zeit 11% des Fahrrad-Umsatzes aus. Die 39’000 im Inland verkauften elektrifizierten Velos sind im europäischen Vergleich allerdings ein Tropfen auf den heissen Stein. Dort wurde 2009 eine halbe Million umgesetzt.

Alleine in Deutschland, prognostiziert der deutsche Fahrrad-Verband, könnte der Elektro-Bike-Anteil bald einmal 10 bis 15% ausmachen, das wären rund 600’000 Fahrräder.

Ein grosses Wachstumspotenzial für erstklassige Schweizer E-Bikes gibt es auch in den USA, dazu gehört nicht nur Stromer, sondern auch der etabliertere Flyer von Biketec.

«Ich glaube, der amerikanische Markt ist bereit für das Elektro-Fahrrad. Wir konnten alle unsere Lagerbestände in die US-Läden liefern, wo wir Stromer anbieten. Die Nachfrage besteht», sagte Binggeli.

Pendler

Die von swissinfo.ch befragten US-Analysten teilen die Einschätzung: «Wir gehen davon aus, dass der E-Bike-Markt in den nächsten Jahren – angesichts der steigenden Benzinkosten und eines budgetbewussteren Verhaltens der Konsumenten – um 20% wachsen könnte», sagt Frank Jamerson von Electric Bikes Worldwide Reports. «Für Pendler dürfte das Elektro-Bike anstelle des Autos Auftrieb bekommen».

Jamerson schätzt, dass im letzten Jahr in den USA rund 80’000 Elektro-Velos verkauft wurden. Die hohen Preise für den Stromer – 4600 bis 5000$ (4190 bis 4690 CHF) – dürften die Konsumenten nicht von einem Kauf abhalten. Die in den USA domizilierte Firma Optibike, erzielte mit ihren Batterie-Zweirädern trotz Preisen von 9000$ Rekordwerte und konnte die Nachfrage nicht decken.

Der amerikanische E-Bike-Experte erkennt ein Problem im Vertrieb. Es könnte schwierig werden, genügend Detaillisten zu finden, die nicht nur Elektro-Velos verkaufen, sondern auch Ersatzteile und Reparaturen für die Stromer anbieten würden.

Aber die amerikanische Firma Trek, ein wichtiger Player auf dem Velo-Markt, hat mit ihren Modellen viel Erfolg. Mehr als 20% ihrer Händler haben das E-Bike im Sortiment.

Baby-Boom-Generation

«Tief hängen die Trauben» in Bezug auf die 79 Millionen Konsumenten des Landes aus der Baby-Boom-Generation, sagt Trek-Sprecher Eric Bjorling gegenüber USA Today. «Diese Leute wollen aktiv bleiben, ohne sich zu überanstrengen.»

Auch Jamerson erkennt ein Marktpotential beim wachsenden Kundensegment der Pensionierten, vor allem in Staaten wie Florida. Laut Meghan Cahill von der amerikanischen Velo-Vereinigung (League of American Bicyclists) werden die Verkaufszahlen vor allem in Städten wie San Francisco oder New York steigen, wo DiCaprio auf seinem Schweizer E-Bike fotografiert wurde.

«Wenn sie wirklich populär werden sollten, dann beginnt es in urbanen Regionen. Dort ist es einfacher, Infrastruktur und Einrichtungen zur Verfügung zu stellen», sagt er gegenüber swissinfo.ch. Eine Umfrage hat laut Cahill kürzlich ergeben, dass immer mehr Leute auf dem Weg zur Arbeit das Bike benützen.

Das Wachstum ist auch jenen Produktionsfirmen nicht entgangen, die bisher die Autoindustrie beliefern. Manfred Gingl, der ehemalige Präsident und CEO des Auto-Ersatzteil-Giganten Magna, gründete eine eigene Firma namens BionX, mit dessen Baukasten-System aus Batterie und Motor sich aus jedem Fahrrad ein Elektro-Bike machen lässt. Die deutsche Firma Bosch geht mit ihrem elektrischen «Drive Unit» den gleichen Weg.

«Wenn wir uns selbst im ersten Segment positionieren können, wenn Qualität und Design stimmen, haben wir gute Erfolgsaussichten, auch in den USA», sagt Binggeli.

2006 wurden in der Schweiz 4000 Elektro-Velos verkauft. Die Zahl stieg im vergangenen Jahr auf 39’000 (von insgesamt 351’000 Fahrrädern). Im laufenden Jahr dürfte die Zahl auf 50’000 ansteigen.

Ein weiterer weit grösserer Absatzmarkt ist Deutschland. Dort wurden 2005 25’000 verkauft, 2009 waren es bereits 150’000. Die deutsche Fahrrad-Industrie rechnet für 2011 mit 300’000 verkauften E-Bikes.

In den USA wurden 2010 gemäss Schätzungen 80’000 Elektro-Fahrräder abgesetzt.

Diese Zahlen verblassen allerdings im Vergleich zum chinesischen Markt, wo in diesem Jahr über 20 Millionen Elektro-Velos einen Käufer finden dürften.

(Übertragung aus dem Englischen: Gaby Ochsenbein und Peter Siegenthaler)

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