Schweizer Energieriesen stehen vor Umwandlung
Als letzter grosser Schweizer Stromkonzern wird Axpo Anfang 2014 die neue Strategie Richtung Energiewende vorstellen. Wie bei BKW und Alpiq sollen Energiedienstleistungen und erneuerbare Energien Profit bringen. Deren Anteil ist aber noch verschwindend klein.
Investitionen in die umweltfreundlichen Energieformen will Axpo schwergewichtig im Ausland tätigen, erklärt Axpo-Sprecherin Monika Müller gegenüber swissinfo.ch.
«Aber aufgrund der hohen Unsicherheiten bezüglich der Entwicklung der Energiemärkte und der regulatorischen Rahmenbedingungen wird das Unternehmen in naher Zukunft Investitionen noch strikter überprüfen und mittelfristig noch deutlich zurückhaltender tätigen müssen», dämpft Müller die Erwartungen. Details über die angepasste Strategie gebe Axpo Anfang 2014 bekannt.
Damit die Energiewende gelinge, erachtet die Axpo einen offenen Markt und ein bilaterales Stromabkommen mit der EU für unabdingbar. Damit soll der Zugang zum europäischen Binnenmarkt gesichert werden.
nach Energieträgern (in GWh):
Wasserkraftwerke: 33’795 (55,9%)
Kernkraftwerke: 25’560
(42,3%)
Thermische Kraftwerke
und Diverse: 3526 (5,8%)
Verbrauch Speicherpumpen: – 2466 (- 4,1%)
Total: 60’415
Netzausbau beschleunigen
Als weitere Rahmenbedingungen nennt Müller eine «massvolle und effiziente» Förderung der neuen Energieträger, einen beschleunigten Netzausbau im In- und Ausland sowie unbeschränkte Laufzeiten der Kernkraftwerke.
Die Schweizer Regierung hat jedoch entschieden, bis 2034 aus der Atomkraft auszusteigen, das heisst, bis zum Ende der ursprünglich geplanten maximalen Betriebszeit der Schweizer AKW.
2012/13 steigerte die Axpo die Produktion im Bereich neue Energien von 285 GWh auf 399 GWh, das ist ein Plus von 40%. Gemessen am totalen Output von 87’526 GWh ist das aber ein Klacks. Dennoch sagt Monika Müller: «Axpo, heute schon die führende Produzentin von neuen Energien aus Kleinwasserkraft, Biomasse und Windkraft, ist gewillt, ihre Position als grösste Schweizer Produzentin von neuen Energien weiter auszubauen.»
Wasserkraft im Keller
Mitte Dezember hat Alpiq seine Neuausrichtung angekündigt. Auch die Nummer 1 der Schweizer Stromversorger, mit Mehrheitsanteilen von 40% resp. knapp 33% Besitzerin der Atomkraftwerke Leibstadt und Gösgen, will künftig vor allem Dienstleister sein. Mit Komplettlösungen zielt Alpiq auf Grosskunden wie etwa Supermarktketten mit hunderten von Filialen. Das lukrative Geschäft mit Endkunden soll vor allem mit Firmenkäufen und -beteiligungen gestärkt werden.
Im traditionellen Stromgeschäft setzt Alpiq künftig stärker auf die Wasserkraft. Im Prinzip. Denn erst wenn sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbesserten, werde die Wasserkraft – wie in der Energiestrategie 2050 der Schweizer Regierung vorgesehen – mittel- und langfristig einen zentralen Stellenwert einnehmen, sagt Alpiq-Sprecher Andreas Meier.
Laut Meier leidet die Rentabilität der Wasserkraft nicht nur unter den tiefen Strompreisen, sondern auch unter den öffentlichen Abgaben von bis zu 40%. Hinzu kämen Umweltauflagen, Anforderungen des Landschaftsschutzes sowie zunehmend Widerstand in der Bevölkerung gegen den Ausbau bestehender Anlagen sowie Neubauten. «Wir müssen bereits heute für die bestehenden Wasserkraftwerke eine gemeinsame Lösung finden», fordert Meier.
Am 25. Mai 2011 beschloss die Schweizer Regierung den schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie.
Die fünf Atomkraftwerke sollen zwischen 2020 und 2034, dem Ende ihrer Lebensdauer, stillgelegt werden.
Die Energiewende wurde vom Parlament gutgeheissen, das allerdings die Tür für mögliche Atom-Technologien offen liess.
Im Rahmen der Energie-Strategie 2050 will die Schweiz Massnahmen zur Einschränkung des Energiekonsums und Förderung erneuerbarer Quellen ergreifen.
Wichtigste Bereiche:
Energieeffizienz: Einschränkung des Verbrauchs bei elektrischen Haushaltsgeräten, Gebäuden, der Industrie, Dienstleistungen und Mobilität.
Erneuerbare Energien: Anpassung des Förderungssystems KEV und Vereinfachung der Bewilligungsverfahren. Priorität fällt den grossen Wasserkraft-, Solar- und Windanlagen zu.
Fossile Energien: Bau von Wärme-Kraft-Kopplungsanlagen (WKK-Anlagen) und Gaskombikraftwerken (GuD).
Netze: Ausbau und Erneuerung der Hochspannungs- und Verteilnetze. Förderung der intelligenten Verteilnetze (Smart Grids).
Zur Erreichung der Ziele der Energiestrategie 2050 hat die Regierung die Möglichkeit einer ökologischen Steuerreform angekündigt.
Das Projekt sieht eine höhere Besteuerung unerwünschter Aktivitäten (zum Beispiel Energiekonsum und Umweltverschmutzung) sowie eine Entlastung erwünschter Aktivitäten wie Arbeit und Investitionen vor.
Europäische Grossanlagen im Visier
Bei den neuen erneuerbaren Energien, zu denen der Branchenführer neben Kleinwasserkraft auch Wind- und Sonnenenergie zählt, will Alpiq in Europa zusammen mit Partnern in Parks und Photovoltaikanlagen investieren und diese bewirtschaften.
Detaillierte Zahlen dazu gibt Alpiq keine bekannt. Meier hebt aber hervor, dass der Konzern bisher über 700 Mio. Franken in den Ausbau neuer erneuerbarer Energien investierte.
Als erste hatte Anfang Jahr die BKW Energie (Bernische Kraftwerke AG), Betreiberin des Kernkraftwerks Mühleberg, auf die Kehrtwende der Regierung reagiert. Mit der Konzernstrategie «BKW 2030» zielt die BKW als Energiedienstleisterin auf Wachstumsmärkte, positioniert sich verstärkt als Netzbetreiberin und baut das Geschäft mit erneuerbarer Energie aus.
Das Unternehmen fokussiere auf den Bau neuer Anlagen zur Nutzung von Wasser- und Windkraft, sowohl im In- wie im Ausland, sagt BKW-Sprecher Antonio Sommavilla.
Bewilligungsverfahren straffen
Bis heute investierte die BKW rund 800 Mio. Franken in Windenergie. Dennoch ist auch ihr Anteil der «Erneuerbaren» minim. 2012 machten sie in der BKW-Stromproduktion mit 604 GWh (Gigawattstunden) lediglich 3% aus.
Das AKW Mühleberg (dessen Abschaltung die Betreiberin für 2019 vorsieht), die Beteiligung am Kernkraftwerk Leibstadt und der Bezug aus französischen Kernkraftwerken trugen mit 5769 GWh knapp einen Drittel (28.8%) zum BKW-Strommix bei.
Immerhin sollen 2016 Windenergie, neue erneuerbare Energien und Kernkraft auf gleicher Stufe fungieren, was das Investitionsvolumen betrifft. Dieses soll je rund 150 Mio. Franken betragen.
Als grösste Probleme auf dem Weg zur Energiewende sieht Sommavilla die regulatorischen Rahmenbedingungen sowie die gesellschaftliche Akzeptanz. «Energiepolitisch sinnvolle Projekte haben sehr lange Realisierungszeiten, weil Einsprachen die Verfahren verzögern, und das unabhängig vom Energieträger», so Sommavilla.
«Atomausstieg noch nicht gegessen»
Für Jürg Buri, Geschäftsleiter der atomkritischen Schweizerischen Energie-Stiftung (SES), sind die strategischen Neuausrichtungen vorerst nur Absichtserklärungen. «Die grossen Schweizer Stromversorger haben die Entwicklung in Europa total verschlafen. Sie geben dem deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) die Schuld, dass sie über Mittag keine Spitzenwasserkraft mehr nach Deutschland exportieren können», so Buri. Dabei sei das Gesetz seit mehr als 10 Jahren in Kraft.
«Sie kaufen bestehende ausländische Windparks und rühmen sich in Hochglanzprospekten als ‹Marktführer bei den erneuerbaren Energien›, wie dies die Axpo tut», fährt er fort. 2012 aber hätten die neuen erneuerbaren Energien im Strommix der Beznau-Betreiberin lediglich 0,76% ausgemacht.
Bei der BKW verweist Buri auf die 33%-Beteiligung am neuen Steinkohlekraftwerk Wilhelmshaven in Norddeutschland. «Das ist die Sprache der BKW. Sie verfügt über ein Megawatt-Portfolio; 100’000 Photovoltaik-Anlagen passen da nicht rein.»
Weil den Stromriesen das dezentrale Geschäft mit Endkunden meist verwehrt sei – dieses wird erfolgreich von kleinen und mittleren Elektrizitätswerken (EW) sowie von grösseren, teils sehr innovativen Stadtwerken betrieben –, würden sie versuchen, so viele Netze wie möglich zu ergattern. «Mit den Gebühren für deren Benützung wollen sie die wegbrechenden Gewinne bei der Produktion wettmachen», erklärt Buri.
Für ihn ist der Atomausstieg «noch lange nicht gegessen». Die ersten erntszunehmenden Störmanöver aus dem rechtsbürgerlichen Lager seien bereits sichtbar.
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