Schweizer Ermittler bemüht saudisches Recht im Fall Juan Carlos
Der Genfer Staatsanwalt Yves Bertossa hat einen aussichtslosen Kampf aufgenommen: Er will beweisen, dass der verstorbene saudische König öffentliche Gelder veruntreut hat – um im Fall Juan Carlos weiterzukommen.
Die Schweiz ermittelt wegen Geldwäscherei gegen Personen im Umfeld des emeritierten spanischen Königs Juan Carlos. Im Visier ist auch eine Genfer Privatbank.
Was ist der Verdacht? Juan Carlos soll 2008 vom damaligen König Saudi-Arabiens Abdullah bin Abdulaziz 100 Millionen Dollar aus der Staatskasse geschenkt bekommen haben. Es gibt Grund zur Annahme, dass es sich dabei um Schmiergelder im Zusammenhang mit dem Bau eines Hochgeschwindigkeitszugs von Medina nach Mekka handelt. Juan Carlos soll nämlich einen Deal mit einem spanischen Konsortium vermittelt und dabei einen Rabatt ausgehandelt haben.
Die 100 Millionen Dollar landeten auf einem Konto einer Stiftung in der Schweiz, die Juan Carlos zugeordnet wird. Weil das Geld über die Schweiz floss, trat Jahre später der Genfer Staatsanwalt Yves Bertossa auf den Plan.
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Was Juan Carlos von der Schweizer Justiz drohen könnte
Schwierige Ermittlungen
Der Haken an der Sache: Um in der Schweiz jemanden wegen Geldwäscherei anzuklagen, muss die so genannte Vortat im Ausland bewiesen werden.
Damit hat sich der Genfer Staatsanwalt Yves Bertossa einiges vorgenommen. «Ermittlungen wegen Geldwäscherei gehören zu den schwersten Aufgaben überhaupt», sagt Frank Meyer, Professor für internationales Strafrecht an der Universität Zürich. In allen Staaten Europas sei die Geldwäschereibekämpfung ziemlich erfolglos. «Dass Bertossa sich rantraut, ist bemerkens- und lobenswert.»
Immerhin: In diesem Fall weiss man, woher das Geld kommt. «Normalerweise ist das schwer nachzuverfolgen», so Meyer. Doch der Knackpunkt liegt in diesem Fall anderswo.
Ist die Vortat nach saudischem Recht strafbar?
Bertossa muss beweisen, dass die 100 Millionen auch nach saudischem Recht illegal zu Juan Carlos gelangten. Dass also eine Veruntreuung öffentlicher Gelder, eine Bestechung oder Vorteilsannahme vorlag – und zwar nicht nur nach schweizerischem, sondern auch gemäss saudischem Rechtsverständnis.
«Die Schweizer Behörden müssen auf die Bewertung des Herkunftslandes abstellen», so Meyer. «Natürlich ist es in der Schweiz undenkbar, dass ein Amtsträger einem ausländischen König grosse Summen überweist. Aber möglicherweise gibt es in Saudi-Arabien – wenn auch schwer vorstellbar – einen legitimen Grund dafür.»
Die Schweiz wäre angewiesen auf Rechtshilfe von Saudi-Arabien, um diese Details zu klären. «Von Saudi-Arabien kann man keine grosse Hilfe erwarten», meint allerdings Meyer. «Ein entsprechendes Rechtshilfegesuch würde wohl im Sande verlaufen.»
Das sieht Mustafa Nasar, der an der Universität Basel zu den Golfstaaten forscht, ähnlich: «Die Wahrscheinlichkeit, dass Saudi-Arabien der Schweiz Rechtshilfe leisten wird, erachte ich als gering.» Höchstens ein symbolischer Beitrag aus Imagegründen sei denkbar.
Im saudischen Kontext sei es nahezu unmöglich, ein Mitglied des Herrscherhauses zur Rechenschaft zu ziehen. «Da dieser Fall eng mit der Person Abdullahs verwoben ist, wird diese Angelegenheit in der saudischen Öffentlichkeit weder thematisiert noch ist die Eröffnung eines Strafverfahrens vorgesehen.»
Im Gegensatz zur spanischen Königsfamilie werde kein öffentlicher Druck auf Riad ausgeübt, die Zeitungen der Golfregion hätten nicht über das Thema berichtet. Nur bei einem erheblichen Imageschaden ist es laut Nasar allenfalls denkbar, dass der neue Kronprinz Muhammad bin Salman – der sich derzeit mit Reformen und einer Anti-Korruptionskampagne in Szene setzt – allenfalls einlenken würde.
Gegenüber SWI swissinfo.ch verweigerte die Genfer Staatsanwaltschaft jegliche Auskunft darüber, ob sie überhaupt ein Rechtshilfegesuch an Saudi-Arabien gestellt hat. Laut El PaísExterner Link soll Bertossa bei einer Einvernahme die Absicht geäussert haben, ein Rechtshilfegesuch an Saudi-Arabien stellen zu wollen. Eine Anfrage von SWI an die saudische Botschaft in Bern blieb unbeantwortet.
Schweizer Rechtsgutachten
Bertossa scheint nach anderen Möglichkeiten Ausschau zu halten. Gemäss einem Bericht von Bloomberg hat er vor einem Jahr ein Gutachten beim Schweizerischen Institut für Rechtsvergleichung in Auftrag gegeben, um die Frage der Strafbarkeit der Vortat in Saudi-Arabien zu klären.
Das Institut für Rechtsvergleichung bestätigt gegenüber SWI swissinfo.ch, dass es regelmässig Gutachten für Bund und Kantone über ausländisches Recht verfasst, darunter auch Gutachten zuhanden der Strafverfolgungsbehörden. Über einen allfälligen Auftrag von Yves Bertossa gab es keine Auskunft.
BloombergExterner Link allerdings hat den Inhalt des Rechtsgutachtens öffentlich gemacht: Das Schweizerische Rechtsvergleichsinstitut sei zum Schluss gekommen, dass die Veruntreuung der öffentlichen Gelder auch nach saudischem Recht ein Delikt wäre. Offenbar handelt es sich aber um eine recht allgemein gehaltene Rechtseinschätzung.
Ein Gutachten allgemeiner Art zum Korruptionsstrafrecht genügt laut Meyer vor Gericht nicht. «Etwas mehr müsste Bertossa schon vorweisen können, um die Illegalität der Zuwendung zu belegen.»
Saudischer König durfte Staatsgeld verschenken
Umso mehr als die anderen Parteien in dieser Untersuchung – etwa die Stiftungsverwalter, gegen die ermittelt wird – laut El PaísExterner Link ebenfalls Rechtsgutachten in Auftrag gegeben haben, unter anderem bei einem Madrider Institut.
Und siehe da, dieses kommt zum Schluss: Als absolutistischer König Saudi-Arabiens habe Abdullah bin Abdulaziz sehr wohl die Befugnis gehabt, aus der Staatskasse ein Geschenk in der Höhe von 100 Millionen Dollar an einen befreundeten ausländischen Monarchen auszurichten.
Es könnte also eng werden für den Genfer Strafverfolger Yves Bertossa. Laut El PaísExterner Link soll Bertossa dem Schweizerischen Rechtsvergleichsinstitut erneut einen Auftrag erteilt haben, um die Einschätzung des spanischen Instituts zu überprüfen.
Einen weiteren Hoffnungsschimmer gibt es aber: Auch schwere Steuerstraftaten gelten als Vortaten zur Geldwäscherei. Juan Carlos steht derzeit in Spanien unter Druck wegen diverser Steuerdelikte – auch die 100 Millionen Dollar aus Saudi-Arabien hat er mutmasslich nicht versteuert. Zudem haben die spanischen Firmen, welche die Aufträge vermittelt bekamen, sicherlich eine Buchhaltung geführt.
Vielleicht ist Bertossa also gar nicht auf die Saudis angewiesen, sondern auf die Spanier. Und die haben bisher gern geholfen – schliesslich sind sie umgekehrt ebenfalls auf die Hilfe der Schweiz angewiesen. Bertossa reiste mehrmals nach Spanien und teilte Informationen und Dokumente. Auch wenn Bertossa offiziell nicht gegen Juan Carlos ermittelt, hängt die Zukunft des emeritierten spanischen Monarchen auch von der Schweiz ab.
Die Beziehungen der Golfmonarchen zu Juan Carlos reichen bis in die Zeit vor seiner Ernennung zum spanischen König zurück. Während der Ölkrise 1973 bat Franco den damaligen Thronanwärter, sich beim saudischen Königshaus um die Sicherstellung der Erdöllieferungen nach Madrid starkzumachen – mit Erfolg. In den frühen Jahren seiner Monarchie bat Juan Carlos den persischen Schah um ein Millionendarlehen, um das spanische Königshaus zu sanieren.
Im August 2020 floh Juan Carlos unter dem öffentlichen Druck in die Vereinigten Arabischen Emirate, wo er noch heute lebt. «Die Entscheidung, sich in die Vereinigten Arabischen Emirate abzusetzen, fiel nicht zufällig», sagt Mustafa Nasar, der an der Universität Basel zu den Golfstaaten forscht. «Dort wurde er in der Vergangenheit mit Ferraris beschenkt und jährlich zum Formula 1 Grand Prix eingeladen.»
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