Heidi kämpft gegen Faschisten – und die Filmindustrie
Die Schweizer Ikone Heidi beim Ausweiden von Nazis – das sieht man nicht jeden Tag. Dabei ist die Handlung nicht der einzige unkonventionelle Aspekt von "Mad Heidi".
Die Reise von «Mad Heidi» begann 2017. Der Schweizer Regisseur Johannes Hartmann, ein langjähriger Fan von Splatter- und Exploitation-Filmen, wollte ein Projekt mit der Figur der jungen Waisen Heidi anreissen.
1880 von der Schriftstellering Johanna Spyri kreiert, geniesst Heidi heute nicht nur weltweite Sympathien, sondern auch eine starke Markenbekanntheit. Hartmann erläuterte seine Idee dem Schweizer Produzenten Valentin Greutert und dem finnischen Produzenten Tero Kaukomaa und stiess auf offene Ohren.
«Wenn man in Europa einen Film dreht, hängt die Finanzierung massgeblich von Subventionen an, etwa von Filmkommissionen», sagt Greutert, der seit 20 Jahren in der Filmproduktion tätig ist.
«Nicht selten sind 15 Organisationen an der Herstellung eines Produkts beteiligt. Einige legen Beschränkungen auf – wo ihr Geld ausgegeben werden soll und so weiter. Mehr Ressourcen bedeuten aber auch mehr Verwaltungsaufwand, was eine Belastung darstellt, vor allem für kleine Teams wie uns.» Das Geschäft der Branche sei immer innovationsfeindlich gewesen, so Greutert.
Er beklagt sich auch über Einmischungen von Vertriebsgesellschaften, Verleihern und Kinos, die alle ihren Teil des Kuchens beanspruchen. «Filmemacher verdienen in diesem System fast nichts – es sei denn, sie gehören zu einem riesigen Studio. Die Leute glauben, dass wir viel Geld verdienen, aber die Realität sieht ganz anders aus», so Greutert.
«Obwohl die Drehausrüstung immer moderner wird, hat sich das Geschäftsmodell seit 20 Jahren überhaupt nicht verändert. Jemand muss Innovation in diese altmodische Branche bringen. Wir müssen einen Weg finden, uns aus diesem Gefängnis zu befreien!»
«Eigentlich komplett daneben»
«Mad Heidi» hat deshalb einen neuen Ansatz gewählt und finanziert sich durch Crowdfunding und Merchandise wie Kleidung, Tassen, Plakate – ja, sogar «Heidi’s Absinth». Das Team hinter dem Film startete eine Crowdfunding-Kampagne mittels Blockchain. Damit sollen 1 bis 2 Millionen Franken für die Dreharbeiten und die Postproduktion zusammenkommen.
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Die Transaktionen werden in der Blockchain gespeichert und die Gewinne automatisch an die Aktionäre ausgezahlt, sobald der Film herauskommt. «Alle Verträge sind papierlos, was die Bürokratie ausschaltet. Es wird auch die Transparenz der Geldflüsse sichergestellt, da es schwierig ist, das System von aussen zu manipulieren», so das Produktionsteam.
Kaukomaas Science-Fiction-Komödie «Iron Sky» aus dem Jahr 2012 kam dank Crowdfunding zustande, so dass das nötige Know-how vorhanden war. Das Produktionsteam interagierte über Websites und soziale Medien mit den Fans: Rund 40’000 Fans aus 45 Ländern, hauptsächlich in Europa, verfolgen das Projekt.
«Mad Heidi» ist eine blutgetränkte Horror-Action-Komödie, in der sich eine Heidi Mitte 20 gemeinsam mit anderen Bauern erhebt, um ihre Heimat zu retten, die in die Hände von Faschisten gefallen ist. «Die Geschichte ist eigentlich komplett daneben und politisch inkorrekt», sagt Greutert. «Aber dieser frische Zugang ist genau das, worauf viele Filmfans gewartet haben.»
Ein Exploitation-Film wird üblicherweise als ein Low-Budget-Film definiert, der sensationalistische, schockierende oder tabuisierte Themen (Gewalt, Perversion, Drogen, Sex) behandelt.
Dabei ist kein Thema tabu, so dass zahllose Subgenres entstanden wie Ozploitation («Mad Max»), Carsploitation («Death Proof»), Sharksploitation («Jaws») und sogar Sexploitation oder Nonnensploitation. In den Vereinigten Staaten florierte in den 1970er Jahren die Blaxploitation, Filme, die mit schwarzen Schauspielern für ein schwarzes Publikum in einer schwarzen Umgebung gedreht wurden, wie beispielsweise «Shaft».
«Mad Heidi» soll der erste «Swissploitation»-Film werden.
Als der Filmtrailer erschien, wurde der Co-Drehbuchautor des Films, der für die Kantonspolizei Zürich arbeitete, prompt entlassen. Wer mit einem so brutalen und kontroversen Projekt zu tun habe, sei für eine Führungsposition nicht geeignet, sagte sein Arbeitgeber. Der Mann ging gegen den Entscheid gerichtlich vor – das Bundesgericht entschied letzte Woche, dass seine Entlassung rechtswidrig war.
Neues Produktionsmodell
Das Produktionsteam hat seit 2018 bereits zwei Crowdfunding-Projekte erfolgreich abgeschlossen, noch vor der Entwicklungs- und Vorproduktionsphase. Ihren Angaben zufolge ist es die bisher erfolgreichste Crowdfunding-Kampagne für einen einheimischen Film geworden. Bisher wurden 84’000 Franken aus der Crowdfunding-Kampagne und 150’000 Franken aus dem Verkauf von Merchandise-Artikeln gesammelt.
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«Es läuft alles rund. Wenn es so weitergeht, haben wir eine sehr gute Chance, den Film zu realisieren», sagt Greutert. Verläuft alles nach Plan, werden die Dreharbeiten nächstes Jahr beginnen und «Mad Heidi» wird 2022 auf der Website veröffentlicht.
Für Greutert ist es ein starkes Signal, die Fans von Anfang an einzubeziehen. Weil so die Produktionsprozesse demokratisiert würden. «Es wird ein Modell für die Zukunft sein.» Zudem würden so Zwischenhändler ausgeschaltet und die Unterstützer erhalten ein Maximum der Gewinne.
(Übertragung aus dem Englischen: Giannis Mavris)
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