«Der Schweizer Film hat mehr Sichtbarkeit verdient»
Nur selten schaffen es Schweizer Filme in deutsche und internationale Kinos. Zu Unrecht, findet die in Berlin lebende Oltenerin Teresa Vena. Sie hat in Eigenregie das erste Schweizer Filmfest in der Hauptstadt organisiert, auch um Schweizer Klischees etwas entgegenzusetzen.
Seit fünf Jahren schreibt die begeisterte Cineastin, die seit 2008 in Berlin lebt, für Filmportale im Internet. Sie hat in dieser Zeit zahlreiche Filmfestivals in der Stadt und im Ausland besucht sowie in Berlin eine Reihe mit niederländischen Filmen und ein Weihnachtsfilmfest organisiert. Doch warum, begann sich die Kunsthistorikerin zu fragen, gibt es eigentlich kein Filmfestival, welches allein Schweizer Produktionen gewidmet ist?
Berlin bildet mit dieser Leerstelle keine Ausnahme. «Der Schweizer Film wird international vernachlässigt», sagt Teresa Vena. Dabei hätten es eidgenössische Filme durchaus verdient, häufiger auch ausserhalb ihrer Heimat gezeigt zu werden. Künstlerisch stünden sie denen anderer, mehr beachteter Filmnationen, in nichts nach.
Der Schweizer Film
Seit die Schweiz 2014 wegen der Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative aus dem europäischen Filmförderprogramm Media ausgeschlossen, wurde, hat der Schweizer Film einen schweren Stand. Die Zahl der internationalen Kinostarts nahm 2017 im Vergleich zum Vorjahr von 62 auf rund 40 Filme ab. Die Zahl der Zuschauer von Filmen mit Schweizer Beteiligung sank international 2017 im Vergleich zu den letzten beiden Spitzenjahren von 3,7 auf rund 1 Million. Einen Lichtblick bildet die «Die göttliche Ordnung» von Petra Volpe. Der Film wurde weltweit von einer halben Million Kinobesuchern gesehen und war damit die international erfolgreichste Schweizer Produktion 2017.
Also wurde sie aktiv: Film: SchweizExterner Link, das erste Schweizer Filmfest in der deutschen Hauptstadt, das bis am 24. Januar dauert, stellte Teresa Vena fast im Alleingang auf die Beine: Über ein Jahr nahmen Programmgestaltung und Organisation, die Verhandlungen mit den Verleihfirmen und potentiellen Sponsoren und schliesslich das Markting in Anspruch. Das alles stemmte die 34-Jährige ehrenamtlich und neben ihrem Halbtagsjob.
Schwierige Suche nach Förderern
Vena stiess bei der Suche nach notwendigen Förderern jedoch auf einige Hindernisse. Schweizer Kantone und Institutionen, die sie mit der Bitte um finanzielle Unterstützung anschrieb, verwiesen sie auf die alleinige Zuständigkeit der Stiftung Swiss FilmsExterner Link, deren Aufgabe die Förderung des Schweizer Films im Ausland ist. Swiss Films wiederum erklärte, nur ihre Partner zu fördern. «Aber dann gab es keine Möglichkeit, Partner zu werden», sagt die Wahl-Berlinerin hörbar enttäuscht. Immerhin: Swiss Film habe zumindest angekündigt, sich das Festival anzuschauen und eine Meinung zu bilden. «Vielleicht gibt es bei der nächsten Ausgabe eine Chance auf Unterstützung», hofft Teresa Vena.
Mit im Boot sind aber bereits in diesem Jahr die Schweizer Botschaft sowie Schweizer Sponsoren aus Berlin und der Heimat. Einige Kantone fördern das Rahmenprogramm aus Lesungen und Diskussionen mit den Filmemachern und Autoren. Unter anderem wird Pedro Lenz, der die Romanvorlage für den «Goalie» geschrieben hat, in dem Festivalkino Brotfabrik lesen. Auch die Regisseure von Wintergast, Andy Herzog und Matthis Günter, sind als Gäste in Berlin dabei, ebenso Urs Odermatt, Regisseur des ebenfalls auf dem Programm stehenden Wachtmeister ZumbühlExterner Link (1994).
Aussenseiter-Geschichten
Das erste Schweizer Filmfest bietet eine Einführung in den eidgenössischen Film und spannt einen weiten Bogen, sowohl was die Entstehungsjahre betrifft – sie wurden von 1959 bis 2016 gedreht – als auch hinsichtlich der Thematik. Die in einem Berliner Programmkino gezeigten Werke reichen von Klassikern wie Hinter den sieben GleisenExterner Link bis zu modernen Produktionen junger eidgenössischer Regisseure, die es eher selten in deutsche Kinos schaffen.
Die Auswahl hat Teresa Vena selbst getroffen. Sie interessieren dabei weniger der Mainstream als Geschichten von Aussenseitern, Filme, die den Schweizer Klischees ländlicher Idylle, von Ordnung und geordneten Verhältnissen aber auch von finanzieller Sorglosigkeit und Karrieredenken etwas entgegensetzen.
«Der Anpassungsdruck in der Schweiz ist hoch», sagt sie. Wer nicht der gesellschaftlichen Norm entspreche, gerate rasch ins Abseits. So wie die Clochards, die in Kurt Frühs Geschichte Hinter den sieben GleisenExterner Link (1959) in einem Schuppen am Zürcher Bahnhof leben. Neueren Datums ist unter anderem Sabine Boss´ Erfolgsfilm Der Goalie bin IgExterner Link (2014), in dessen Mittelpunkt der aus dem Gefängnis in die Freiheit entlassene Protagonist steht. «Der Goalie widersetzt sich bewusst dem Schweizer Leistungsdenken», sagt Teresa Vena. Und auch der drogenabhängige Drogenfahnder Strähl in dem gleichnamigen FilmExterner Link (2004) von Manuel Flurin Hendry agiert am Rande der Legalität im Drogenhändlermilieu in der Zürcher Langstrasse.
Reisende auf der Suche
«Viele der Filme handeln von Reisenden, die auf der Suche sind», erzählt die Oltenerin. In WintergastExterner Link (2015) begibt sich der erfolglose Protagonist als Herbergstester auf einen Roadtrip durch die Schweiz, in Il NidoExterner Link (2016) von Klaudia Reynicke kehrt die 19-jährige Cora in ihr Tessiner Heimatdorf Bucco zurück, das ein Geheimnis hütet. Hans im Glück (2003) wiederum ist die halbdokumentarische Beschreibung eines Fussmarsches von Zürich nach St. Gallen, auf welcher der Filmemacher Peter Liechti unterschiedlichen Schweizer Charakteren begegnet.
Natürlich spielt in einem Einwanderungsland wie der Schweiz das Thema Immigration eine grosse Rolle. Insofern darf Rolf Lyssys Erfolgsfilm Die SchweizermacherExterner Link auf dem Berliner Filmfestival nicht fehlen, ein Film, zu dem Teresa Vena auch einen persönlichen Bezug besitzt. Ihre Eltern wanderten aus Süditalien in die Schweiz ein. «Ich kann mich gut daran erinnern, als ich mit meinem Vater gemeinsam ‹Die Schweizermache› angeschaut habe», sagt sie. Der habe sich ziemlich über die Darstellung der italienischen Migranten geärgert.
Die Immigrations- und Flüchtlingsthematik kann im Kino jedoch auch ihre ganz eigene Geschichte entwickeln, das ist die Macht der Fiktion. Nach ihren Favoriten gefragt, nennt Teresa Vena auch die Dystopie HeimatlandExterner Link (2015). Das Gemeinschaftswerk von zehn Regisseuren beschäftigt sich auf provokante Weise mit der Frage, was passiert, wenn Schweizer selbst zu Flüchtlingen werden. Im Film zieht eine bedrohliche Wolke über das Land, doch wer die Schweiz verlassen will, hat keine Chance. Die EU hat die Grenzen geschlossen.
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