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Schweizer Fussballer in Europas Top-Klubs angekommen

Valon Behrami (links) und Gökhan Inler sind bei der SSC Napoli in der italienischen Serie A nicht nur Teamstützen, sondern auch Publikumslieblinge. Keystone

Noch nie spielten so viele Schweizer Fussballer in den besten Ligen Europas wie diese Saison. Im internationalen Fussballgeschäft ist die Schweiz mittlerweile ein grosser Player, wie der Sportwissenschaftler Raffaele Poli von der Universität Neuenburg im Interview erklärt.

FC Bayern München, SSC Napoli, Juventus Turin, FC Fulham – Schweizer Fussballer sind inzwischen auch an den besten Klubadressen Europas gefragt. Dies sei das Resultat der gut organisierten Ausbildungsarbeit zwischen Verband, Liga und Klubs, sagt Raffaele Poli vom Internationalen Institut für Sportwissenschaften (CIES) an der Universität Neuenburg.

swissinfo.ch: Wie viele Schweizer Profis spielen aktuell in den besten Ligen Europas?

Raffaele Poli: 41, so viele wie noch nie, und das betrifft nur die fünf besten Ligen. Letzte Saison waren es 36. Innerhalb eines Jahrzehnts hat sich das Kontingent der Schweizer verdoppelt.

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Brasiliens Sonne strahlt über Fussballplatz Schweiz

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Xherdan Shaqiri, Diego Benaglio, Stephan Lichtsteiner, Gökhan Inler, Valentin Stocker, Granit Xhaka, Fabian Schär, Ricardo Rodriguez, Haris Seferovic, Steve von Bergen, Valon Behrami, Blerim Džemaili & Co. können die WM-Party steigen lassen. Die Spieler und der väterliche Nationalcoach Ottmar Hitzfeld an der Seitenlinie haben dafür gesorgt, dass die Schweiz im nächsten Sommer in Brasilien zum…

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swissinfo.ch: Ist das viel oder wenig?

R.P.: Die Schweiz liegt hinter Brasilien, Frankreich, Argentinien – den grossen drei ‹Exportländern› – sowie Portugal auf Platz 5, was die absoluten Zahlen der Transfers betrifft. Gemessen an der Quote Transfers im Vergleich zur Bevölkerungszahl ist die Schweiz hinter Uruguay gar die Nummer 2

swissinfo.ch: Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?

R.P.: Viele Spieler legen in den stärksten europäischen Ligen bemerkenswerte Karrieren hin. Und sie erzielen mit der Nationalmannschaft gute Resultate. Das hat auch zu einem gewissen Modeeffekt geführt, was das Engagement von Spielern aus der Schweiz angeht.

swissinfo.ch: Was hat sich in den letzten Jahren verändert?

R.P.: Im Gegensatz zu früher, wo die Schweizer Klubs Spieler aus Afrika oder Lateinamerika holten, wagen sie heute vermehrt, auf junge Einheimische zu setzen. Sie zeigen damit eine immer grössere Wertschätzung der talentierten Eigengewächse.

Dies zahlt sich auf lange Sicht aus. Für einen Klub, der den Schweizer Meistertitel anstrebt, ist es eine Illusion zu glauben, mit den grossen europäischen Klubs mithalten zu können, gerade auch, was die Einkäufe von Spielern angeht. Möglich sind höchstens gezielte Transfers, wie sie beispielsweise der FC Basel tätigt.

Die einzige Strategie, die auf lange Sicht nachhaltig ist, ist der Unterhalt einer eigenen, funktionierenden Nachwuchsabteilung. Eine solche ist für Schweizer Klubs quasi Pflicht.

Klubs wie Manchester United oder Chelsea operieren auf dem globalen Markt, losgelöst von jeglichem Territorium. Schweizer Klubs dagegen sind bezüglich Wirtschaft und Publikum stark in ihrer Region verankert. Das beste Mittel, diese Verbindung zu stärken, ist die Förderung junger Talente in der eigenen Ausbildungsabteilung.

swissinfo.ch: Aber auch das kostet!

R.P.: Es ist klar, dass eine solche Ausbildung Investitionen bedingt. Ein Geheimnis der jüngsten Erfolge des Schweizer Fussballs ist die hervorragende Zusammenarbeit von Verband, Liga und den Klubs.

Die Erfolge der Nationalmannschaften – vor allem die Qualifikationen für eine WM oder EM – gehen zu einem grossen Teil auf die Arbeit in den Klubs zurück. Denn sie sind es, die professionelle Trainer für die Ausbildung der Jungen engagieren. Das Resultat ist eine positive Dynamik.

cies.ch

swissinfo.ch: Für die Schweiz war es also gewissermassen Pflicht, sich für die WM 2014 in Brasilien zu qualifizieren?

R.P.: Absolut. Damit sie ihren aktuellen Standard finanzieren kann, muss sich die Schweiz mindestens jedes zweite Mal für eine WM- oder EM-Endrunde qualifizieren. Die Qualifikation für Brasilien 2014 ist deswegen umso wichtiger, weil die Schweiz die EM 2012 verpasst hatte.

swissinfo.ch: Abgesehen vom Erfolg der Nationalmannschaften: Welches sind die Früchte der Kooperation Verband, Liga und Klubs in der Schweiz? 

R.P.: Vor allem die nationalen Ausbildungszentren. Dort trainieren die jungen Talente unter der Woche,  verbleiben aber in ihren Klubs, für die sie an den Wochenenden spielen. So können alle profitieren.

Ein Problem dieser Zentren sind aber Talentspäher, welche die jungen Talente zum Schritt ins Ausland verführen. Weil die Mandate zur Wahrung der Interessen der Nachwuchstalente meist sehr schwach sind, können die Agenten finanziellen Profit daraus schlagen, nach dem Motto: Lieber jetzt einen kleineren Gewinn einfahren, als mir den Spieler in ein paar Jahren von einem anderen Agenten wegschnappen zu lassen. Es ist ein Geschäft ohne jedes Mitgefühl und ohne jeglichen Respekt.

Wenn es ein Junger wie Messi schafft und mit 18 Jahren in der ersten Mannschaft spielt, umso besser. Unsere Studien zeigen jedoch, dass der Wechsel eines jungen Spielers ins Ausland einer Lotterie gleichkommt. Viele kommen im hochkompetitiven Umfeld, in dem sie sich vorfinden, vom Weg ab.

Wir haben die Wege erfolgreicher Spieler studiert, und wir stellten fest, dass ein Schlüsselfaktor darin besteht, dass sie zwischen 18 und 21 Jahren sehr viele Spiele bestreiten konnten. Ein zu früher Wechsel ins Ausland schränkt diese Möglichkeit oft ein.

Die einzige Möglichkeit ist die Sensibilisierung im Rahmen einer Karriereplanung. Dies ist aber schwierig, weil der Druck durch Agenten und auch die Familie gross ist. Denn der Traum vom Vertrag bei einem ausländischen Grossklub ist Realität.

swissinfo.ch: Wo sehen Sie sonst noch Verbesserungspotenzial?

R.P.: Unsere Statistiken über Nationalspieler zeigen eine Übervertretung von Spielern, die im ersten Halbjahr geboren sind. Das Phänomen zeigt sich auch in anderen Ländern und anderen Sportarten. In der Schweiz ist es aber besonders ausgeprägt.

Es rührt daher, dass Selektionen gemäss Kalenderjahr vorgenommen werden. «Frühgeborene» sind im Vergleich mit Nachwuchsspielern aus der zweiten Jahreshälfte oft weiter entwickelt, was die Physis betrifft. Trainer in Klubs und Nachwuchs-Nationalmannschaften haben die Tendenz, eher auf solche Spieler zu setzen, auch wenn sie wissen, dass diese kaum das Zeug für eine Profi-Karriere mitbringen. Denn im Nachwuchsbereich macht oft die Physis den resultatmässigen Unterschied aus.

Es gilt also, Spätgeborenen mit grossem Zukunfts potenzial mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

swissinfo.ch: In den Klubs wie in den Nationalmannschaften spielen sehr viele Fussballer mit ausländischen Wurzeln. Wie erklären Sie sich das?

R.P.: Da spielt sicherlich ein sozialer Faktor mit. Fussball bleibt ein Volkssport, auch wenn die unteren Schichten auf den Tribünen immer weniger vertreten sind.

Im Nachwuchs sind Spieler mit Migrationshintergrund in der Mehrzahl. Es ist deshalb normal, dass sich dies später auch in den Klubs und den Nationalmannschaften fortsetzt. Es ist insofern auch ein gutes Zeichen, als es zeigt, dass es keine Diskriminierung gibt. In diesem Sinne kann man sagen, dass Fussball als Instrument der Integration funktioniert.

Jeder hat seine Chance. Oft haben Jugendliche mit ausländischen Wurzeln sogar die besseren Chancen, weil sie stark von ihren Eltern unterstützt werden. Im schulischen Bereich wäre dies eventuell weniger möglich, wenn Eltern Probleme mit der Sprache haben.

Auf dem fussballerischen Weg dagegen können solche Eltern ihre Kinder sehr gut unterstützen, wie man oft am Spielfeldrand sieht. Diese Begleitung ist entscheidend. Ein Jugendlicher benötigt einen Trainer, aber ebenso die emotionale Unterstützung und die Ratschläge der Eltern.

Die Schweiz ist natürlich nicht das einzige Land, das im Fussball einen starken Akzent auf die Nachwuchsarbeit setzt.

Frankreich kennt ein zentralisiertes System der Nachwuchsarbeit. Gleichzeitig sind die Klubs per Gesetz zur Ausbildung junger Spieler verpflichtet.

In Deutschland ist die Ausbildung zwischen Klubs und Liga subsidiär geregelt.

In Holland basiert die Nachwuchsarbeit auf dem Modell von Ajax Amsterdam. Das Fundament bilden Kompetenzzentren, die nicht mehr an Klubs gebunden sind.

Ähnliches passiert in der Schweiz, etwa im Tessin mit dem Team Ticino.

«Die Modelle in diesen Ländern ähneln sich insgesamt, auch wenn sich nationale Varianten herausgebildet haben», sagt Raffaele Poli.

Anders präsentiert sich die Lage in der Fussball-Grossmacht Spanien. Dort basiert der riesige Erfolg vor allem auf dem Modell eines einzigen Klubs, nämlich der Jugendakademie La Masia des FC Barcelona.

Grosse Probleme kennen Grossbritannien und Italien.

In Italien herrscht ein permanentes Chaos zwischen Klub, Liga und Verband mit dem Resultat, dass nichts entstehen kann. Es gibt weder eine gemeinsame Politik noch einen Dialog, ausgenommen in den Gerichtssälen. Nach dem frühen Aus der Squadra Azzurra an der WM 2010 in Südafrika wurde Roberto Baggio Technischer Direktor des italienischen Verbandes. Sein Projekt zur Reformierung der Nachwuchsarbeit blieb aber toter Buchstabe, und der ehemalige Starspieler trat enttäuscht zurück.

England verfügt über die Liga mit dem höchsten Anteil ausländischer Spieler. Wer über viel Geld verfügt, ist weniger darauf angewiesen, talentierten Eigengewächsen eine Chance zu geben. Das erste nationale Ausbildungszentrum wurde auf der Insel erst im letzten Jahr eröffnet – Grossbritannien ist hier im Vergleich zu anderen Ländern immer noch arg im Rückstand.

(Übertragung aus dem Französischen: Renat Kuenzi)

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