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Pascale Kramer schreibt von Menschen, die sie erschüttern

Pascale Kramer erhält den Schweizer Grand Prix Literatur 2017 für ihr Gesamtwerk. AFP

Die Genfer Romanautorin Pascale Kramer, die in Paris lebt, hat in Bern den Schweizer Grand Prix Literatur 2017 erhalten. In ihren bisher dreizehn Büchern befasst sich die 55-Jährige mit den Schicksalen einfacher Menschen. Sie sei glücklich über die Auszeichnung ihres Werks, sagt sie im Gespräch mit swissinfo.ch.

Wenn sie malen würde, wäre sie Manieristin. In allen ihren Romanen beschreibt Pascale Kramer minutiös die kleinsten Gesten, Bewegungen und Emotionen, aber ohne jemals pathetisch zu werden. «Die Autorin überzeugte die Jury durch ihren äusserst präzisen Schreibstil und ihren grossen Weitblick, mit denen sie die Menschlichkeit der einfachen Leute sowie deren unerfüllte Schicksale beschreibt.» Das teilt das Bundesamt für Kultur (BAK), das den Grand Prix Literatur verleiht, in seinem Communiqué mit.

Pascale Kramer macht in ihren Büchern die «einfachen» Menschen zum Thema. Ihnen gelten ihr Interesse und ihre Zuneigung. Ihre Personen haben ein unerfülltes Leben, existenzielle Probleme, an denen ihre Hoffnungen oft zerbrechen. Angesichts dessen könnte man meinen, die Schriftstellerin sei pessimistisch. Aber nein! Sie strotzt von Lebenskraft. «Manchmal sagt man mir, ich solle weniger schwarze Themen wählen. Dann antworte ich: Ich habe überhaupt kein Interesse, über Situationen oder Personen zu sprechen, die nicht komplex sind oder mich nicht bewegen», sagt sie gegenüber swissinfo.ch.

Enttäuschung und Freude

Die Romane sind in keiner Weise eine Therapie für sie. «Ich stecke viel von mir rein, weil man die anderen besser versteht, wenn man beobachtet, was man selber erlebt hat. Ich habe Enttäuschungen in meinem Leben erfahren. Ich habe oft geweint, aber ich habe mich immer ziemlich schnell gefangen. Dieser Grand Prix zum Beispiel kommt zur rechten Zeit, nämlich in einer Phase voller Zweifel, und gibt mir die Energie, die ich heute brauche. Ich glaubte, dass ich für meinen letzten Roman belohnt werde ‹Autopsie d’un père›. Nun werde ich für mein gesamtes Werk ausgezeichnet.»

In all ihren Büchern geht Pascale Kramer ihren eigenen Weg, aber jeweils unter einem anderen Winkel: der Bruch, der Unfalltod von Kindern, die Krankheit, die Arbeit…anhand dieser vielen Themen macht sie «den Lebenskampf des menschlichen Wesens mit dessen erbärmlichen Mitteln» zum Thema.

Grand Prix Literatur

Das Bundesamt für Kultur (BAK) verleiht jährlich den «Schweizer Grand Prix Literatur», der mit 40’000 Franken dotiert ist, sowie 5 bis 7 Schweizer Literaturpreise. Hinzu kommt ein ebenfalls mit 40’000 Franken dotierter Spezialpreis «Übersetzung» alternierend mit dem Spezialpreis «Vermittlung». Letzterer ging heuer an Charles Linsmayer, Literaturkritiker und Literaturhistoriker.

Einen Schweizer Literaturpreis erhalten in diesem Jahr: Laurence Boissier, Ernst Burren, Annette Hug, Michel Layaz, Jens Nielsen, Philippe Rahmy und Dieter Zwicky.  

Als ihr erster Roman («Variations sur une même scène») erschien, war sie gerade Mal 21 Jahre jung. «Ich habe mein aktives Leben mit Schreiben in Angriff genommen. Damit hat alles angefangen», erinnert sie sich. Seither sind zwölf Romane erschienen. Im Februar wurde ausserdem eine Erzählung unter dem Titel «Chronique d’un lieu en partage» veröffentlicht, die verschiedene Zeugenberichte vereint. «Aber seit meinen Anfängen als Romanautorin habe ich festgestellt, dass ich nicht allein vom Schreiben leben könnte, sondern, dass es zusätzliche Aktivitäten braucht.» In Zürich wurde Kramer vom berühmten französischen Werbefachmann Jacques Séguéla angestellt. Diese Zeit bleibt ihr nicht in leidenschaftlicher Erinnerung. «Meine Arbeit war sehr hektisch, und ich fühlte mich in Zürich nicht sehr wohl.

Hyperaktiv

Deshalb entschied sie sich, als Publizistin auf eigenen Füssen zu stehen, aber in Paris. Dort lebt sie seit dreissig Jahren. Die Schweiz behält aber ihren Platz in einer Ecke des Kopfs. In ihrem Geburtsland sei die politische Macht im Unterschied zum immer noch monarchischen Frankreich zum Glück entgöttert worden. In Paris hat sie jene Bücher geschrieben, die von politischen und gesellschaftlichen Ereignissen in Frankreich («Autopsie d’un père») aber auch von einem amerikanischen Lebensstil («L’implacable brutalité du réveil», dessen Handlung sich in Kalifornien abspielt) inspiriert waren. «Während der Zeit (2009), als der Roman geschrieben wurde, pendelte ich oft zwischen Paris und Los Angeles», erzählt sie. «Ich war als Verbindungsperson für französische Regisseure tätig. Vor sechs Jahren habe ich damit aufgehört.»

Pascale Kramer ist überaktiv. Dies sagt sie von sich jeweils in den Sprechstunden mit ihrem Arzt. Dieser hingegen diagnostiziert etwas anderes: «Du bist eher neurotisch veranlagt.» Die 55-Jährige lebte mehrere Existenzen von Grund auf. «Es ist wahr, ich habe oft alles auf eine Karte gesetzt. Ich habe einiges gesät. Und was ich gesät habe, ist nicht unbedingt dort gewachsen, wo ich es erwartet hatte. Aber es hat mir angenehme Überraschungen gebracht.»

Pascale Kramer

… wurde am 15. Dezember 1961 in Genf geboren. Seit ihrem dritten Lebensjahr lebt sie in Lausanne. Nach der Matura studiert sie an der Universität Lausanne Literaturwissenschaft, unterbricht das Studium aber, um als Journalistin zu arbeiten.

Nach sechsjähriger Tätigkeit als Werbefachfrau in Zürich lässt sie sich in Paris nieder, wo sie ihren Beruf weiterausübt und als Schriftstellerin arbeitet.

2011 stellt sie ihre Tätigkeit als Werbefachfrau ein und verfasst Artikel und Berichte für eine NGO. Ihr letztes Werk «Chronique d’un lieu en partage», das anfangs Februar erschien, ist laut der Autorin ein «Schritt auf die Seite». Es ist kein Roman, sondern eine Erzählung, die verschiedene Berichte von Zeitzeugen vereint, die vom Leben gezeichnet wurden.

Zu ihren Werken gehören u.a. «Les vivants», «Retour d’Uruguay», «L’adieu au nord», «Fracas», «Gloria»…

Publiziert wurden ihre Romane bei Mercure de France und Flammarion.

Übersetzt wurden sie ins Deutsche, Englische und Italienische.

Sie hat mehrere wichtige Schweizer Literaturpreise erhalten, darunter den Prix Dentan und den Schiller Preis.



(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)

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