Schweizer Handelsflotte wächst gegen den Trend
Das Binnenland Schweiz eine Hochsee-Nation? Ja! Unter Schweizer Flagge befahren 41 Schiffe die Weltmeere. Die Flotte hat nach wie vor die Aufgabe, in Zeiten globaler Krisen die Versorgung des Landes mit wichtigen Gütern sicherzustellen.
Es mutet wie ein Kuriosum an: Keines der Schweizer Handelsschiffe hat jemals seinen Heimathafen Basel gesehen. Hochseeschiffe können diesen nicht anlaufen, weil der Rhein für sie nicht schiffbar ist.
Die Schweizer Hochseeflotte wurde 1941 gegründet, als der Zweite Weltkrieg eskalierte. Weil wichtige Handelsadern blockiert waren, wurden Güter, die für die Wirtschaft und die Versorgung der Schweiz lebenswichtig waren, vermehrt auf dem Schiffsweg transportiert.
Der Anteil, den die Flotte heute ans Bruttoinlandprodukt (BIP) der Schweiz leistet, fällt kaum mehr ins Gewicht. Ganz im Gegensatz zum Beitrag, den die Flotten grosser internationaler Reedereien mit Sitz in Genf beisteuern. Der Grund, weshalb die Schiffe unter der roten Flagge mit dem weissen Kreuz nach wie vor auf hoher See unterwegs sind, ist immer noch derselbe wie damals.
Die Schweizer Flotte zählt Containerschiffe ebenso wie Tanker, die von sechs privaten Gesellschaften betrieben werden. Diese müssen der Schweizer Regierung zusichern, im Krisenfall ausschliesslich Fracht auf Anordnung von Bern an Bord zu nehmen.
«Wir verfügen über eine sehr vielseitige Flotte, so dass die Versorgung mit Gütern garantiert sein sollte, die in Krisenzeiten knapp werden könnten», sagt Reto Dürler gegenüber swissinfo.ch. Laut dem Direktor des Schweizerischen Seeschifffahrtsamts (SSA) in Basel werden die Schiffe in normalen Zeiten von ihren Betreibern kommerziell eingesetzt, ohne dass die Schweiz Routen und Fracht vorgebe.
Die Schweiz leistet keinen finanziellen Beitrag an die Flotte. Für die erforderliche Flexibilität aber gewährt Bern Kreditgarantien in Höhe von 1,1 Milliarden Franken, damit die Gesellschaften neue Schiffe kaufen können. «Die Kreditgarantie ist eine Kompensation für das kleine Risiko, dass die Eigner in einem Krisenfall ihre Schiffe der Schweizer Regierung zur Verfügung stellen müssten», erklärt Dürler.
Die Flotte, laut dem SSA-Direktor eine der modernsten der Welt, wächst. 2008 zählte sie 32 Schiffe, Ende dieses Jahres sollen es 43 sein. Dies ist deswegen bemerkenswert, als die Menge der auf dem Wasser transportierten Güter abnimmt.
Kein Sonderfall
Die Schweiz ist nicht das einzige Binnenland mit einer Hochseeflotte. Eine solche unterhalten auch Staaten wie die Slowakei, Kasachstan, Bolivien oder die Mongolei. Was die Flottenstärke angeht, belegt die Schweiz unter den 156 Ländern mit Handelsflotten Rang 76.
Seit Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 leide die Branche unter Überkapazitäten, sagt Ian Lewis, der seit 20 Jahren für die Branchenpublikation TradeWinds schreibt.
Hätten Eigner vor der Krise mit einem Frachter täglich 200’000 Dollar eingenommen, seien es seither noch 5000 Dollar. Deswegen hält der Branchenspezialist die Vergrösserung der Schweizer Handelsflotte für unnötig. «Es gibt zu viele Schiffe. Noch mehr zu bauen, hilft niemandem», sagt Lewis.
Ein grosses Plus der Schweizer Flotte ist ihre Modernität. Laut dem Experten setzen grosse Reedereien vermehrt auf ältere Schiffe. Lewis weist darauf hin, dass etwa die MSC Napoli, die 2007 im Ärmelkanal wegen der Gefahr des Auseinanderbrechens auf Grund gesetzt werden musste, 16 Jahre alt gewesen sei. Die Betreibergesellschaft, die italienische Mediterranean Shipping Company (MSC), hat ihren Sitz übrigens auch in Genf.
«Die grösste Sorge der Reeder ist das Alter eines Schiffs und dessen Zustand. Wenn ein Schiff wie die MSC Napoli havariert, hat man ein riesiges Problem», sagt Ian Lewis. Schiffe, die älter als 15 Jahre sind, seien schon daher mit Fragezeichen zu versehen.
Achtung Piraten!
Die Mannschaft auf Schiffen der Schweizer Handelsflotte stammt heute meist aus Asien oder Osteuropa. Unter den Matrosen machen die Schweizer laut Dürler nur noch weniger als ein Prozent aus. In den 1960er- und 1970er-Jahren seien es noch mehrere Hundert gewesen.
Zu ihnen gehörte Hans-Peter Schwab. Der pensionierte Ingenieur fuhr insgesamt 18 Jahre auf Schweizer Schiffen. 1965, als er erstmals auf einem solchen zur See fuhr, habe es noch nicht so viele Möglichkeiten gegeben, die Welt zu entdecken, sagt er.
«1972 wechselte ich auf ein Schiff unter Billigflagge, wo ich doppelt so viel verdiente», berichtet der ehemalige Schweizer Seemann.
Zu den grossen Herausforderungen für Schiffseigner gehöre die Rekrutierung von gut ausgebildeten Schiffsoffizieren, sagt Ian Lewis. Dazu kommt die Gefahr, im Golf von Aden von Piraten gekapert zu werden.
Trotz des neutralen Status der Schweiz hätten Schweizer Schiffe schon mehrere Angriffe von Piraten gemeldet, sagt SSA-Direktor Reto Dürler.
Schiffe anderer Nationen können ihre Marine zum Schutz anfordern. Die Schweiz aber unterhält bekanntlich keine Truppen zur See.
Schifffahrts-Journalist Lewis berichtet, dass Schiffskapitäne aller Flaggen um Erlaubnis gefragt hätten, an Bord bewaffnetes Wachpersonal mitführen zu dürfen.
Über das genaue Sicherheitsdispositiv auf Schweizer Schiffen schweigt sich der Flottenchef aus. Sie würden sich aber an die Empfehlungen der internationalen Schifffahrts-Organisation Bimco halten.
Reto Dürler verrät nur so viel: «Jeder Schiffsbesitzer hat seine eigene Taktik bei der Abschreckung der Piraten.»
Nach der Sperre des Rheins durch Deutschland und dem britischen Embargo der Schiffe unter griechischer Flagge, welche die Schweiz gechartert hatte, schuf die Schweizer Regierung 1941 die gesetzliche Grundlage für eine eigene Hochseeflotte.
Die ersten Frachten der Schweizer Hochseeschiffe waren Hilfsgüter des amerikanischen und britischen Roten Kreuzes sowie Pakete und Briefe für Kriegsgefangene.
Aufgrund der Seeblockaden mussten die Schweizer Schiffe beiden Kriegsparteien genaue Informationen über die Routen liefern. An festgelegten Checkpoints wurden die Schiffe gestoppt und kontrolliert.
Notizhefte, Tagebücher, Skizzen und persönliche Gegenstände waren nicht erlaubt und wurden konfisziert.
Die Rumpfe der Schiffe trugen die Aufschrift SWITZERLAND, die beidseits in grossen, weissen Buchstaben aufgemalt war. Wenn möglich war auch die Schweizer Flagge aufgemalt. Dazu fuhren die Schiffe des Nachts bei voller Beleuchtung.
(Quelle: swiss-ships.ch)
Für die Erneuerung und Vergrösserung der Schweizer Handelsflotte erhöhte das Schweizer Parlament 2008 die Kreditgarantien um 500 Mio. Franken auf 1,1 Mrd. Franken.
Kreditgarantien werden aber nur für Schiffe mit einer maximalen Breite von 32,3 Meter gewährt, damit sie noch den Panamakanal passieren können.
Die Nutzlast muss mindestens 10’000 sein und ist auf 80’000 Tonnen beschränkt. Tanker dürfen höchstens 40’000 transportieren und müssen über einen doppelten Rumpf verfügen.
Ferner müssen die Schiffe moderner Bauart sein; für Schiffe, die älter als acht Jahre sind, werden keine Kredite gewährt.
Kredite können bis zu 85% des Kaufpreises gewährt werden, bei neu gebauten Schiffen mit einer Laufzeit von bis 15 Jahren. Eigner müssen in der ersten Hälfte der Laufzeit die Hälfte des Kredites zurückzahlen. Sie profitieren auch von günstigen Zinsen.
(Quelle: Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung BWL)
(Übertragen aus dem Englischen: Renat Kuenzi)
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