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Schweizer Hilfe bei der Minenräumung in der Ukraine stösst auf Kritik

Minenräumer in einem Feld
Ein Team von Minenräumern der Schweizer Stiftung für Minenräumung inspiziert ein Feld in der Ukraine, das möglicherweise kontaminiert ist. FSD

Die Schweiz stellt 7,5 Millionen Franken für die Räumung von Minen in der Ukraine bereit. Doch die Summe reiche nicht aus, klagen Hilfsorganisationen. Zudem wurde eine Stiftung mit gutem Ruf nicht berücksichtigt. 

Der Ärger war gross bei Frédéric Guerne, als er den Bescheid erhielt. Noch heute ist er enttäuscht darüber, dass seine Organisation keine finanzielle Unterstützung seitens des Bundes erhält. 

Die humanitäre Stiftung Digger mit Sitz in Tavannes im Kanton Bern benötigt das Geld, um hochmoderne Minenräumgeräte herzustellen, die für den Einsatz in der Ukraine bestimmt sind. Doch die Gelder der Eidgenossenschaft werden an zwei andere Organisationen verteilt.

ferngesteuerte Minenräumungsmaschine
Die schweizerische humanitäre Stiftung Digger will ihre ferngesteuerten Minenräumungsmaschinen in der Ukraine produzieren. Christe Patrick, Gff Gmbh, Biel

Die fehlende Unterstützung ist erstaunlich, weil Digger auf internationaler Ebene einen hervorragenden Ruf geniesst. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) lobte 2013 den Einsatz einer Maschine der Berner Stiftung in den Feldern Mosambiks, wo die Minen zuvor jahrelang von Hand geräumt worden waren.

Laut UNDP leistete die Maschine einen «bedeutenden Beitrag» und befreite mehrere hunderttausend Quadratmeter von den gefährlichen Kriegsüberbleibseln. 

Im Jahr 2015 galt Mosambik als erstes «minenfreies» Land unter den ärmeren, von Verminung betroffenen Staaten.

Grosse Flächen sind vermint

Kürzlich stellte die Schweizer Regierung ihre Pläne im Bereich Humanitäre Minenräumung für die nächsten vier JahreExterner Link vor und kündigte an, dass 7,5 Millionen Franken für die Ukraine bereitgestellt werden sollen.

Die Gelder gehen einerseits an die Schweizerische Stiftung für Minenräumung (FSD) und andererseits an das Genfer Internationale Zentrum für Humanitäre Minenräumung (GICHD), das zur Entwicklung und Professionalisierung der Branche weltweit beiträgt.

Eine Minenräumerin von FSD
Eine FSD-Mitarbeiterin wird in Tschernihiw, Ukraine, in der Entschärfung von Sprengsätzen geschult. FSD

Die FSD, als einzige humanitäre Organisation in der Schweiz, die Minenräumer:innen direkt vor Ort beschäftigt, begrüsst die Unterstützung.

Allerdings seien 7,5 Millionen im Vergleich zu den rund 18 Millionen, die der Bund im letzten Jahr für solche Programme ausgegeben hat, nicht ausreichend, um den Bedarf in der Ukraine zu decken.

In der Ukraine hat die Schweizerische Stiftung für Minenräumung (FSD) derzeit sechs Maschinen und 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. «Es ist nicht schwierig, dort Personal zu finden, denn in der Minenbekämpfung zu arbeiten, ist gut bezahlt und wird sozial aufgewertet», erklärt der Geschäftsführer Hansjörg Eberle.

«Über 90 % unseres Personals (Minenräumer:innen, Ermittler:innen, Aufklärungsbeauftragte usw.) werden vor Ort aus der lokalen Bevölkerung rekrutiert und von unseren Expert:innen ausgebildet.»

Neben vier gepanzerten Baumaschinen, mit denen Schutt in potenziell mit Minen und Sprengstoffresten verseuchten Ruinen bewegt wird, setzt die FSD zwei speziell für die Minenräumung entwickelte Maschinen ein, die hauptsächlich zur Vorbereitung des Bodens dienen.

Diese kosten zwischen 350’000 und 825’000 Franken gebraucht, 500’000 und 2 Millionen Franken neu. Die kleinste (immerhin 5 Tonnen!) ist ferngesteuert. Die grösste (für landwirtschaftliche Flächen) wiegt 21 Tonnen.

Gleichzeitig, so Hansjörg Eberle, wurde die FSD, die über eine 25-jährige Erfahrung verfügt, beauftragt, den State Emergency Service of Ukraine (die wichtigste Minenräumungsbehörde in der Ukraine) im Umgang mit acht solchen Maschinen zu schulen und zu unterstützen. Die Maschinen wurden von einer amerikanischen Stiftung finanziert.

«Der Bund hat sich verpflichtet, 2,5 Millionen für eines unserer Projekte in Charkiw bereitzustellen», sagt FSD-Geschäftsführer Hansjoerg Eberle.

«Wir sind sehr dankbar dafür, aber angesichts des Ausmasses des Problems reicht das nicht. Ein Projekt in der Ukraine kostet zwischen 5 und 7 Millionen pro Jahr und erfordert kontinuierliche Anstrengungen über mehrere Jahre.»

Eine Bodenmine in der Ukraine
Diese Art von Minen, die PFM-1 (auch «Schmetterlingsminen» genannt), wurde in der Ukraine massenhaft gefunden. FSD

Frédéric Guerne stimmt ihm zu: «Der Bedarf ist enorm: Schätzungen zufolge ist das betroffene Gebiet rund viermal so gross wie die Schweiz. So schlimm war es noch nie.»

Die Entminung des Landes könnte gemäss dem ukrainischen Verteidigungsminister 30 Jahre dauern, die Weltbank schätzt die Kosten dafür auf 37 Milliarden Dollar.

Enormer Bedarf an Maschinen

Frédéric Guerne, Direktor von Digger
Frédéric Guerne, Direktor von Digger: «Wir sind die einzige humanitäre Organisation, die Minenräumungsmaschinen herstellen. Das bedeutet, dass wir alles, was wir verdienen, direkt in die Forschung und Entwicklung investieren.» Digger

Die ukrainische Regierung benötigt derzeit rund 60 Minenräumungsmaschinen, was doppelt so viel ist wie weltweit in einem einzigen Jahr produziert wird.

Frédéric Guerne möchte helfen und ist überzeugt, dass seine Stiftung das auch kann. «Wir bauen auf 20 Jahre Erfahrung und waren in 16 Ländern aktiv.»

In der Vergangenheit führte Digger drei Projekte durch, die vom Bund unterstützt wurden, letztmals 2013 in Mosambik, für das die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) Unterstützungsgelder sprach. Seitdem hat der Bund nichts mehr gegeben.

Pierre-Alain Eltschinger, Sprecher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA), erklärt, dass die Schweiz angesichts der enormen Herausforderungen in der Ukraine lieber auf Kontinuität setzte und deshalb die Organisationen FSD und GICHD unterstütze.

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Fehlende Kompetenzen vor Ort

Laut Eltschinger prüfen das EDA sowie das VBS (Verteidigungsdepartement) kontinuierlich weitere Möglichkeiten zur Finanzierung von Minenräumungsprojekten in der Ukraine und zur Zusammenarbeit mit anderen Gebern sowie der ukrainischen Selbstverwaltungen. Eine enge Abstimmung mit den Bedürfnissen vor Ort sei dabei von zentraler Bedeutung.

FSD-Direktor Eberle warnt aber vor einer Überflutung des Landes mit Maschinen, wenn die entsprechenden Kompetenzen vor Ort nicht vorhanden sind.

«Die ukrainischen Behörden haben bereits rund 20 Maschinen zur Minenräumung von verschiedenen Gebern erhalten oder werden diese in Kürze erhalten. Doch ihnen fehlen derzeit die notwendigen Kenntnisse, um sie effektiv und gemäss internationalen Standards einzusetzen.»

Hansjörg Eberle, Direktor von FSD
Für Hansjörg Eberle, Direktor der FSD, kommen zu viele Maschinen in die Ukraine, ohne dass die Kompetenzen folgen. FSD

Er betont zudem, dass Maschinen zwar eine wichtige Ergänzung für Minenräumungsorganisationen darstellen, aber die mühsame manuelle Arbeit mit Metalldetektoren nicht vollständig ersetzen könnten.

«Die Maschinen erleichtern die Vorbereitung des Bodens und die Abgrenzung kontaminierter Bereiche, damit sich die Minenräumer:innen auf das Auffinden, Ausgraben und Umplatzieren von Sprengkörpern konzentrieren können.»

Was die Maschinen von Digger betrifft, so bedauert Eberle, dass der Markt so hart umkämpft ist und die Berner Stiftung zu klein ist, um mit grossen Unternehmen zu konkurrieren. Die FSD entschied sich für einen kroatischen Anbieter, der bewährte Maschinen in Serie produziert und einen «guten Kundendienst anbietet».

Maschinen mit VR-Technologie

Frédéric Guerne betont, dass es in der Ukraine einen grossen Bedarf gibt. Seine Maschinen seien so konzipiert, dass Minenräumer:innen sie innerhalb weniger Stunden beherrschen könnten. «Wir sind regelmässig vor Ort und kennen ihre Bedürfnisse», sagt er.

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In Bezug auf die Kosten gibt der Ingenieur zu, dass die Produktion in der Schweiz ihren Preis hat. Eine seiner Maschinen kostet rund 500’000 Franken, was im Vergleich zu den Produkten seiner Konkurrent:innen, von denen es weltweit nur ein halbes Dutzend gibt, wohl höher ist.

«Doch das ist nicht unbedingt sicher», gibt er zu Bedenken. «Jüngst haben wir eine Ausschreibung gewonnen und dabei hat der Preis auch eine Rolle gespielt.»

Er findet, dass Digger einerseits über sehr viel Erfahrung verfügt, andererseits aber auch «humanitärer» ist als die Konkurrenz. «Das bedeutet, dass wir alles, was wir verdienen, direkt in die Forschung und Entwicklung investieren.»

Guerne verweist auch auf den Aktionsplan 2023-2026 des Bundes zum Thema MinenräumungExterner Link. Dort werde im Kapitel über die «Förderung des Einsatzes vielversprechender Technologien und Methoden» auch die Verminung städtischer Gebiete thematisiert.

In diesem Bereich verfüge seine Stiftung über besondere Kompetenzen. «Wir haben ein Fernsteuerungssystem entwickelt, bei dem wir die virtuelle Realität nutzen», erklärt er. «Das Arbeiten in Trümmern ist sehr gefährlich, da es nicht explodierte Bomben sowie Sprengfallen geben kann.»

Produktion in der Ukraine

Eine Minenräumungsmaschine in Aktion
Die Produktion von Digger-Maschinen in der Ukraine würde dem Land nicht nur Sicherheit bringen, sondern auch die Wirtschaft unterstützen. Digger

Trotz der Rückschläge lässt Guerne sich nicht entmutigen. «Unsere Möglichkeiten in der Schweiz sind begrenzt, sodass wir nur ein oder zwei Maschinen pro Jahr verkaufen können. Um den Bedarf in der Ukraine zu decken, wollen wir sie dort mit Hilfe eines ukrainischen Herstellers in grösserem Umfang produzieren», berichtet er. 

Diese Zusammenarbeit, die auch zur Wirtschaftsförderung vor Ort beiträgt, ist auf einen Vorschlag des Schweizer Botschafters in Kiew, Claude Wild, zurückzuführen. Dank Wilds Engagement konnte Digger einen lokalen Unternehmer als Partner gewinnen. «Eine neue Fabrik zu bauen ist nicht notwendig, da die Infrastruktur bereits vorhanden ist», sagt Guerne.

Normalerweise finanziert Digger seine Maschinen durch Spenden und verkauft sie dann an NGOs, welche dann die Wartungs- und Personalkosten übernehmen. Bei diesem Projekt ist jedoch das Volumen zu gross und das Spendernetzwerk zu klein. Guerne erklärt: «Wir benötigen 1 bis 1,5 Millionen Franken, um die Produktion in der Ukraine zu starten.»

Deshalb sei man dringend auf die Unterstützung des Bundes angewiesen. «Die Schweiz fördert unter anderem Projekte, die Kinder über die Gefahr von Minen aufklären, was ich sehr gut finde», sagt er. «Aber man sollte auch daran denken, die Minen selbst zu entfernen.»

Editiert von Samuel Jaberg, Übertragung aus dem Französischen: Christoph Kummer

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