Schweizer Initiative bringt Frischgemüse auf Georgiens Tische
Die Landwirtschaft in der georgischen Bergregion Swanetien leidet noch immer unter dem Strukturwandel nach dem Zerfall der Sowjetunion. Es fehlt an Maschinen, aber auch an Know-how. "Pro Mestia Georgien" aus der Schweiz unterstützt verschiedene Dörfer im Grossen Kaukasus auf dem Weg zu einer effizienteren und professionelleren Landwirtschaft.
Die Reise nach Swanetien dauert eine halbe Ewigkeit, stundenlang fährt man über gut 70 km auf einer kurvigen Strasse durch das Ingurital. Zuerst ist es eng mit tiefen Schluchten, dann öffnet sich das Tal, und man staunt ob der abwechslungsreichen Landschaft, wo Kühe, Schafe, Ziegen und Pferde weiden, Bäume in Blüte stehen und viele verschiedene Pflanzen und Kräuter wachsen.
Darüber die Gipfel des Grossen Kaukasus: Der Ushba, der etwas weniger elegante Bruder des Matterhorns, weiter oben der Tetnuldi, pyramidenförmig wie der Niesen im Berner Oberland, beide fast 5000 Meter hoch. Eine Bergwelt, die vieles zu bieten hat und zunehmend Gäste in die neuentstandenen Hotels und Guesthouses lockt, zum Skifahren, zum Wandern. Eine Attraktion sind auch die mittelalterlichen Wehrtürme, die seit 1996 teilweise zum Unesco-Weltkulturerbe gehören und die swanetischen Dörfer prägen.
Im Dorf Ipchi, das zur Gemeinde Latali in Oberswanetien gehört, steht Omar Nanskani zusammen mit seinem Nachbarn und seinem Sohn am Hang seines Grundstücks und hebt Löcher für Jungbäume aus, die er eben erhalten hat. Es sind Pfirsich-, Apfel- und Pflaumenbäume, neue Sorten, die winterresistent sind und mehr Früchte tragen sollen als die alten Bäume, die hier stehen.
Omar Nanskani und seine Frau Naira haben drei Kinder, der jüngste Sohn wohnt noch zu Hause und hilft auf dem Betrieb mit, die älteren sind in Tbilisi zur Ausbildung. Mit 35 Kühen, über 10 Tonnen Kartoffeln und einer Tonne Käse pro Jahr gehört die Familie zu den Grossbauern, eine Ausnahme in dieser Gegend.
In Swanetiens Landwirtschaft ist die Anpassung an den Strukturwandel (Privatisierung, Landzerstückelung) nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion noch nicht vollbracht. Den einzelnen Bauern, die früher als Sowchosenarbeiter auf eine einzelne Tätigkeit spezialisiert waren, fehlt oft das nötige Wissen, um einen Privatbetrieb mit diversen Sparten zu führen.
In den letzten 30 Jahren der Sowjetzeit produzierten die swanetischen Sowchosen (landwirtschaftliche Staatsbetriebe) vor allem Käse für den Export nach Moskau, das Getreide wurde von dort hergebracht. Als die Sowjetunion Ende 1991 auseinanderbrach, gab es in Swanetien fast nur Kartoffeln, Fleisch und Milchprodukte. Gemüse und Obst waren Mangelware, Vitaminmangel weit verbreitet.
Und hier setzt «Pro MestiaExterner Link Georgien» an, ein Schweizer Verein, der sich seit 1998 in Swanetien für eine Verbesserung der Lebensbedingungen der ansässigen Bevölkerung und eine leistungsfähigere Landwirtschaft einsetzt. Damit mehr und länger Frischgemüse auf den Tisch kommt, startete der Verein 2010 mit dem Bau von Gewächshäusern. Die Skepsis unter der swanetischen Bevölkerung war anfänglich gross – noch nie zuvor hatte es hier sowas gegeben.
Omar Nanskani und seine Frau Naira erhielten ihr Gewächshaus im letzten Jahr. Ab Sommer bis im November können sie Tomaten und Gurken ernten, im Winter bis Frühling gedeihen Salate, Knoblauch und Kräuter. Omar Nanskani strahlt übers ganze Gesicht. «Wir sind sehr glücklich und dankbar. Schon nach einer Saison haben wir viel mehr und länger frische Produkte.»
Wer ein Gewächshaus beantragt, muss das Holz dazu selber liefern und beim Aufbau mithelfen. Das übrige Material wie Plastik, Schrauben und Tropfenbewässerung übernimmt Pro Mestia. Die Materialkosten pro Norm-Treibhaus von 9×3 Meter belaufen sich auf knapp 250 Dollar.
Das Projekt ist ein Erfolg, die anfängliche Skepsis verflogen. Mittlerweile zählt man in Swanetien über 100 solcher Gewächshäuser, so etwa im Hauptort Mestia (1400 m), in Cholashi (1600 m) oder in Ushguli (2200 m). Zudem finanziert ein staatliches Programm im laufenden Jahr 10 Gewächshäuser für bedürftige Personen.
«Das Hauptproblem in Swanetien ist der Mangel an Technik und Know-how», sagt der Biologe und Agronom Zura Karbelashvili, der die Landwirtschaftsprojekte von Pro Mestia leitet. «Noch immer wird die Feldarbeit von Hand und mit Ochsen erledigt, und es fehlt an Maschinen.»
Um effizienter und produktiver zu werden, sollten sich die Bauern zusammentun, findet Karbelashvili. Das hat auch die georgische Regierung erkannt und will im Rahmen ihrer Landwirtschaftspolitik Genossenschaften fördern. Honoriert werden sie dafür mit einer Steuerbefreiung und einer «genossenschaftlichen» Mähmaschine, die ihnen die mühselige Arbeit beim Heuen erleichtern soll.
Das Misstrauen der Bauern gegenüber Genossenschaften ist jedoch gross – zu stark die Erinnerungen an frühere Zeiten, wo man in Sowchosen und Kolchosen arbeitete. Man sei froh, sagt Zura Karbelashvili, alleine und unabhängig wirtschaften zu können.
Bauer Omar Nanskani und seine Frau Naira haben einen kleinen Schritt in Richtung Kooperation bereits getan: Zusammen mit ihren Nachbarn pflanzen sie Kräuter im Gewächshaus, die sie zur Herstellung von Kräutersalz, einer swanetischen Spezialität, verwenden. Die Gründung einer Genossenschaft zusammen mit anderen Familien können sie sich vorstellen.
Unterstützung erhalten die Bauern im abgelegenen Tal auch in Sachen Käse: Um zu zeigen, wie man «Mutschli» herstellt, das sind 1-2 kg schwere Halbhartkäse-Laibe, kam eine Schweizer Sennerin nach Swanetien, und ein zwei der ständigen Pro-Mestia-Mitarbeiter reisten in die Schweiz, um sich im Berner Oberland und im Plantahof, der landwirtschaftlichen Schule im Kanton Graubünden, das nötige Wissen anzueignen.
Das macht Sinn, denn die Milchbauern produzieren zwar viel Käse, aber die Vielfalt ist gering und der Käse lässt sich schlecht lagern. Mutschli-Käse sei begehrt und finde reissenden Absatz, sagt Omar Nanskani. Zudem erhält er pro Kilo 25 Lari (10 CHF), für den gewöhnlichen nur 10 Lari.
Allerdings könnte noch viel mehr Käse produziert werden, wenn es den Kühen gut ginge. Die Expertise eines Veterinärs aus Wien hat nämlich jüngst ergeben, dass die Kühe in Swanetien mehrheitlich krank sind, weil sie monategelang in zu niedrigen und unbelüfteten Ställen untergebracht sind. «Die Bauern glauben, die Kühe würden sonst frieren», sagt Karbelashvili. Zudem erhalten die Kühe auf den Feldern kein Wasser zu trinken.
«Eine Kuh gibt hier maximal 5 Liter Milch pro Tag. Das ist angesichts des Aufwands sehr unproduktiv.» Das soll sich ändern: Pro Mestia will in Oberswanetien einen Musterhof für Kühe errichten – mit einem gut belüfteten und höheren Stall und Wassertränken für die Kühe. «Die Leute müssen verstehen lernen, was für ihre Kühe gut ist», so der Agronom.
Pro Mestia GeorgienExterner Link wurde 1998 von drei Bernern gegründet.
Der Verein hat zum Ziel, im wirtschaftlich wenig entwickelten Gebirgstal von Swanetien die Lebensbedingungen der Bevölkerung zu verbessern.
Die Gegend im Grossen Kaukasus ist geprägt von uralten Stammessitten, patriarchalischen Strukturen und hat eine eigene Sprache, die für die anderen Georgier unverständlich ist.
Ein Schwerpunkt des Schweizer Projekts ist die Landwirtschaft: Ziel ist eine reichhaltigere Ernährung für Mensch und Tier und die Schonung der Umwelt. Das Budget für das Landwirtschaftsprojekt 2015 beläuft sich auf 40’000 Franken. Die Projekte werden von Schweizerischen Lotteriefonds, Stiftungen und Privatpersonen getragen.
Pro Mestia unterstützt die medizinische Grundversorgung, zum Beispiel mit einer Zahnarztpraxis im Ambulatorium im Bergdorf Cholashi.
Im gleichen Dorf wurde eine Holzwerkstatt als Ort der Ausbildung errichtet, in Zusammenarbeit von Schweizer Fachkräften und Zivildienstleistenden mit Einheimischen.
Pro Mestia engagiert sich auch für Frauenprojekte, so etwa mit der Einrichtung einer Textilwerkstatt.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch