Schweizer Know-how gegen Pekinger Smog
Peking war anfangs 2013 der schlimmsten Luftverschmutzung seiner Geschichte ausgesetzt. Während ein helvetischer Hersteller von Luftreinigern seither ausgezeichnete Geschäfte macht, versucht die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit ihr Know-how an die Chinesen weiterzugeben.
«Die Regierung unternimmt nicht genug, um die Verschmutzung zu bekämpfen. Es hat zu viel schwarzen Rauch, zu viele Abgase», sagt Ma, ein Rentner aus Peking, der gemeinsam mit seiner Nichte eine kurze Aufhellung am Himmel dazu nutzt, tief durchzuatmen, um «die Lungen auszulüften».
«Ich habe Lungenkrebs und Mühe zu atmen», mischt sich Li ins Gespräch ein. Die Rentnerin verlässt ihr Zuhause nicht mehr, wenn die Luft zu stark verschmutzt ist.
Noch nie in der Geschichte der chinesischen Hauptstadt war die Luft so stark verschmutzt wie im Januar 2013. Der Smog hatte die Stadt während 25 Tagen heimgesucht. Die Messinstrumente registrierten Werte von fast 1000 Mikrogrammen Feinstaub (PM 2,5) pro Kubikmeter Luft. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) legt eine Luftreinhaltegrenze von 20 Mikrogramm fest.
Der Januar-Smog hat den Chinesen die Bronchien zugestopft, aber die Augen geöffnet. Im letzten Jahr hatten Ma und Li das Problem noch heruntergespielt. Heute ist ihnen die Gefahr bewusst, vor allem weil die Behörden und die Medien transparent informiert haben – eine Premiere.
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Saubere Luft stellen die chinesischen Behörden für das Jahr 2030 in Aussicht. «Das dauert viel zu lange», beklagt sich Zhou Rong, ein Ableger von Greenpeace in Peking. Die Umweltorganisation erinnert daran, dass die Hälfte der jährlichen Kohleförderung in China verbrannt werde.
Angesichts der in weiter Ferne liegenden Gesundung, werden Präventionsrufe laut. In diesem Bereich spielt die Schweiz eine sichtbare Rolle. Das Schweizer Kreuz war noch kaum je so präsent im chinesischen Internet wie derzeit, vor allem bei Werbeanzeigen mit dem Logo «IQAir».
Das Geschäft eines Schweizer Herstellers von Luftreinigungsgeräten mit Sitz in St. Gallen floriert. Die Geräte aus dem höheren Preissegment mit schlichtem Design haben einen ausgezeichneten Ruf. In Peking sind sie gefragt, wie warme Semmel. «Die Verkäufe haben sich seit dem Verschmutzungsrekord vom Januar um das 2,5- bis 3-fache erhöht», sagt Mike Murphy, der Chef von IQAir China. Die Warteliste sowohl der eingewanderten Kunden als auch der chinesischen Kundschaft werde immer länger.
Die starke Luftverschmutzung in Peking hat zu einer deutlichen Zunahme der Hospitalisierungen infolge von Atemproblemen geführt. In einem grossen Kinderspital haben diese Leiden 50% der Notfallaufnahmen ausgemacht, berichtete die offizielle Presse.
Laut einem Artikel von 2011 im «China Daily», eine staatliche Tageszeitung, hat sich die Anzahl Lungenkrebserkrankungen in den letzten 10 Jahren um 60% erhöht, obwohl der Tabakkonsum konstant geblieben ist.
Die Luftverschmutzung in Peking ist in erster Linie die Folge von Kohleverbrennungen in Wärmekraftwerken und zur Energiegewinnung für die Industrie sowie des kontinuierlich wachsenden Strassenverkehrs.
(Quelle AFP)
Atmen oder ausziehen
Übermässige Euphorie lässt Murphy allerdings nicht aufkommen. Viele ausländische, aber auch chinesische Unternehmen würden in Erwägung ziehen, ihr Personal ausserhalb von Peking unterzubringen. «Wenn sich der Himmel etwas beruhigt, dürften sich die Verkäufe auf dem normalen Niveau einpendeln», vermutet er.
Auch andere Schweizer Firmen, die im Klimabereich tätig sind, versuchen sich in China niederzulassen – viele durch Vermittlung von Cleantech –Switzerland, eine 2010 von der Osec (Kompetenzzentrum zur Förderung der Schweizer Aussenwirtschaft) gegründete Plattform. Deren jüngster Erfolg ist der Spatenstich für den «Sino-Swiss Zehnjiang Ecological Park», ein umweltfreundliches Industrieprojekt, dessen Verwaltungsgebäude von 60’000 m2 von der Schweizer Firma Keller Technologies gebaut wird.
Der Umweltschutz sei in den beiden letzten chinesischen 5-Jahresplänen erhöht worden. «Die Fortsetzung des Wachstums bleibt zwar prioritäres Ziel, aber die Bevölkerung Pekings akzeptiert die Luftverschmutzung nicht. Ich bin überzeugt, dass die Regierung ernsthaft beabsichtigt, die Dinge zu verbessern. Sonst werden alle wegziehen, wenn sie die Möglichkeit dazu haben.»
Folgen den Worten auch Taten?
Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) des Schweizer Aussendepartements wird in diesem Jahr 6 bis 7 Millionen Franken (70% seines Jahresbudgets für China) im Klima-Bereich ausgeben. Sie engagiert sich insbesondere für eine Revision der chinesischen Gesetzgebung zugunsten von wirksameren Luftreinhalte-Massnahmen. Philippe Zahner, Chef der DEZA-Sektion in China, verspricht konkrete Resultate «noch in diesem, oder spätestens im nächsten Jahr».
Haben die chinesischen Behörden tatsächlich die Absicht, sich den Umweltproblemen anzunehmen, mit dem Risiko, das Wachstum zu bremsen? «Ja», glaubt Zahner angesichts der Transparenz, die im Zusammenhang mit dem Pekinger Smog hergestellt wurde: «Meines Erachtens ist das ein Zeichen dafür, dass man die Dinge anpacken will.»
Weniger optimistisch ist der Soziologe Li Dun, Spezialist für Umweltfragen an der Universität Tsinghua. Seiner Ansicht nach haben die Behörden andere Prioritäten als den Umweltschutz. «Sie sprechen viel, aber handeln wenig. Solange die Meinungsfreiheit – obwohl sie in Artikel 35 der Verfassung garantiert wird – toter Buchstabe bleibt, können die Bewohner nicht genügend Druck auf die Luftverschmutzer ausüben und die Regierung anhalten, die Umweltprobleme zu lösen.»
(Übertragung aus dem Französischen)
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