Schweizer Komponenten trotz Sanktionen weiterhin in russischen Killerdrohnen
Ukrainische Regierungsdokumente zeigen, dass russische Drohnen Schweizer Bauteile enthalten, und zwar auch solche, die 2023 hergestellt wurden. Wie dies trotz internationaler Sanktionen möglich ist, zeigen Exklusivinterviews mit offiziellen russischen und ukrainischen Quellen.
Das am 16. August auf Facebook veröffentlichte Foto zeigt den ukrainischen Soldaten Andriy StarukhExterner Link. Er liegt auf einem Krankenhausbett, seine Arme sind an zahlreiche Infusionen angeschlossen.
Verbände auf Starukhs Rücken verdecken die Stellen, an denen er von Granatsplittern getroffen wurde. Er lächelt und streckt drei Finger in die Kamera. Sie stehen für die drei Meter, um die ihn eine russische Kamikaze-Drohne am Vortag knapp verfehlt hat.
«Gestern war mein zweiter Geburtstag», schreibt er in diesem Facebook-Post, nachdem er nur knapp dem Tod entronnen ist. «Die russische Lancet (Drohne) hat mich um drei Meter verfehlt, was uns vielleicht gerettet hat.»
Der Einmarsch Russlands in der Ukraine führte zu einer Reihe von Sanktionen der Europäischen Union, der Vereinigten Staaten und der G7-Staaten. Ziel derselben sind russische Personen und Unternehmen. Die Schweiz hat sich an der EU orientiert und mehrere Sanktionspakete umgesetzt.
Das hat die internationale Gemeinschaft – darunter Nichtregierungsorganisationen und seit kurzem auch die G7 – nicht davon abgehalten, die Schweiz dafür zu kritisieren, dass sie nicht genug tut. Sie bemängeln vor allem den geringen Umfang der in der Schweiz eingefrorenen russischen Vermögenswerte und argumentieren, dass sie die Sanktionen besser durchsetzen könnte.
In dieser Serie untersuchen wir, welche Schritte die Schweiz unternommen hat, um den internationalen Standards zu entsprechen, und wo sie hinterherhinkt. Wir hinterfragen die Gründe für Sanktionen und deren Folgen für in der Schweiz ansässige Rohstoffhändler. Ausserdem analysieren wir russische Vermögenswerte in der Schweiz und erfahren, wie einige Oligarchen, aber auch russische Waffenlieferer die Sanktionen umgehen.
Für die Herstellung einer solchen Drohne, die Starukh verletzt hat, werden westliche Komponenten verwendet – auch aus der Schweiz. Sowohl in den ukrainischen sozialen Medien als auch in der russischen Presse kursieren zahlreiche Berichte über erfolgreiche russische Angriffe mit Lancet-Drohnen.
Kiew übt Druck auf seine Verbündeten aus, mehr zu tun, um Russland den Zugang zu den Komponenten zu verwehren, die es für den Bau der tödlichen Waffe benötigt. Doch Moskau ist entschlossen, die Produktion hochzufahren und weiss die Sanktionen zu umgehen.
Die Lancet ist eine kleine Drohne, die in relativ grosser Höhe fliegt. Sie ist kompakt, unauffällig, wendig und schwer abzuschiessen. Ihre Hauptfunktion besteht darin, Ziele zu erfassen und zu zerstören. Lancets werden in der Regel paarweise eingesetzt.
Eine erste Aufklärungsdrohne lokalisiert das Ziel. Dann wird die Lancet gestartet, um ebendieses zu zerstören. Mit einem Preis von 35’000 Dollar (31’600 Franken gelten Lancets als kostengünstig, effizient und einfach zu handhaben.
Im August ordnete der russische Präsident Wladimir Putin an, dass Rostec, ein staatliches Unternehmen, das zur Unterstützung der Entwicklung und Herstellung von zivilen und militärischen Produkten gegründet wurde, die Produktion von Drohnen ankurbeln soll. Putin wurde vom Kreml mit den Worten zitiertExterner Link, diese Drohnen hätten sich im Kampf als besonders effektiv erwiesen.
«Die Explosion ist gewaltig, jede Anlage, auch die aus ausländischer Produktion, brennt nicht nur, sondern explodiert auch», soll Putin bei dem Treffen mit Rostec-Chef Sergej Tschemesow gesagt haben.
Schweizer Komponenten
SWI swissinfo.ch hat verifizierte Dokumente mit neuen Informationen eingesehen, die zeigen, dass die Lancet-Drohnen, die im Juni in der Ukraine gelandet sind, Komponenten aus westlicher Produktion enthalten, darunter auch Komponenten aus der Schweiz und aus dem laufenden Jahr.
Russische Mittelsmänner, sogenannte «Fixer», sowie russische und ukrainische Beamt:innen haben swissinfo.ch detailliert preisgegeben, wie Russland die internationalen Sanktionen umgeht und sicherstellt, dass russische Drohnen laufend mit ausländischen Komponenten ausgerüstet werden.
Die im August aus ukrainischen Quellen übermittelten Daten wurden exklusiv von SWI ausgewertet. In verschiedenen Medienberichten wurde bereits auf die Nutzung von Chips aus der Schweiz in russischen Drohnen hingewiesen, insbesondere in der Lancet und den ähnlichen Orlan- oder Shahed-Drohnen.
Neu ist, dass einige dieser Chips den Daten zufolge im Jahr 2023 hergestellt wurden. Dies läuft den Bemühungen zuwider, die sowohl die Unternehmen als auch die Schweizer Regierung unternommen haben, um alle Exporte dieser Chips nach Russland oder in Drittländer, die sie reexportieren, zu verhindern.
Bei der Analyse der Dokumente fand swissinfo.ch mindestens 19 im Ausland hergestellte elektronische Komponenten in Lancet-Drohnen. Die beiden im Dokument genannten Schweizer Firmen sind STMicroelectronics und u-blox. Sie wurden bereits in anderen Berichten ukrainischer und britischer Think Tanks erwähnt.
Die Dokumente zeigen weiter, dass ein russisches Unternehmen namens VMK einer der führenden Lieferanten verschiedener elektronischer Komponenten in Russland ist. Von Januar bis März 2023 importierte VMK Produkte von STMicroelectronics im Gesamtwert von 53’500 Dollar (48’100 Franken) nach Russland. Als Herkunftsländer dieser Produkte werden China, Malaysia und die Philippinen angegeben. Verschifft wurden die Waren via Hongkong.
Im August 2023 verhängte die Schweiz gegen VMK Sanktionen; die USA folgten im September 2023.
Aus den von SWI Swissinfo.ch überprüften Informationen geht nicht hervor, ob die spezifischen Komponenten, die VMK nach Russland importierte, auch in den Lancet-Drohnen verwendet wurden.
«Bei der Analyse der Informationen über die elektronischen Komponenten, die in den unbemannten Luftfahrzeugen (UAV) der Lancet-Drohnen gefundenen wurden, konnten mindestens 19 im Ausland hergestellte elektronische Komponenten identifiziert werden. Zudem wurde die Verwendung von in der Schweiz hergestellten u-blox-Satellitennavigationsmodulen festgestellt», bestätigt Oleksandr Novikov, Leiter der ukrainischen Anti-Korruptionsbehörde (NACP)Externer Link, gegenüber swissinfo.ch.
Seit Beginn des Krieges ist die ukrainische Behörde auch für die Erstellung einer Sanktionsliste mit russischen Personen und Vermögenswerten zuständig.
Um die Firmen zu identifizieren, die diese elektronischen Komponenten liefern, analysierte das NACP Informationen aus verschiedenen ukrainischen Regierungsquellen. Laut Quellen von swissinfo.ch haben die Russ:innen Beweise über die Herkunft der Chips vernichtet.
Die Quellen sagen auch, dass sie dank spezieller Ausrüstung in der Lage waren, die Firma zu identifizieren, die die Komponenten herstellt. Die Analyse von Handelsdaten habe zudem gezeigt, wie die Chips nach Russland gelangt seien.
Dies wirft die Frage auf, wie und von welchen Unternehmen die Sanktionen umgangen werden, um im Ausland hergestellte Komponenten nach Russland zu verkaufen. Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten haben nach Ausbruch des Krieges rasch Sanktionen gegen russische Vermögenswerte und Personen verhängt. Die Schweiz ist diesem Beispiel gefolgt.
Um zu verhindern, dass Russland die Sanktionen umgeht, schloss sich die Schweiz der von der Europäischen Union im August 2023 lancierten 11. Runde der Sanktionen an.
Diese beinhaltet ein Exportverbot für Dual-Use-Güter und Produkte, die zur militärtechnischen Aufrüstung Russlands beitragen. Die Beschränkungen gelten für 87 Unternehmen, darunter auch solche, die diese Güter aus Drittstaaten nach Russland geliefert haben.
«Es besteht eine enge Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden in der Ukraine, insbesondere bei der Identifizierung der gefundenen Komponenten», sagt Jürgen Boehler-Marcano vom Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) gegenüber SWI.
Frühere Untersuchungen hatten ergeben, dass die gefundenen Komponenten vor Februar 2022 in Russland oder im Iran gekauft worden waren. Das SECO bestätigte jedoch, dass die Schweizer Komponenten wahrscheinlich noch in diesem Jahr nach Russland gelangt sind. «Das ist nicht überraschend, wenn man den hohen Bedarf Russlands für die Produktion neuer Waffen betrachtet», erklärt Boehler-Marcano.
Der Drohnenkrieg
Im August legte die Ukraine den G7-Staaten ein 47-seitiges Dokument vor, aus dem hervorgeht, dass in den vergangenen drei Monaten mehr als 600 Angriffe auf ukrainische Städte mit Drohnen durchgeführt wurden, die westliche Komponenten enthielten. Zu den Herstellern der Komponenten gehörten Länder der Sanktionskoalition, darunter die Schweiz, die USA, die Niederlande, Polen, Kanada und Japan.
Ein im August veröffentlichter BerichtExterner Link der Denkfabrik Kyiv School of Economics zeigt, dass das Handelsvolumen ausländischer Komponenten, die in russischen Drohnen verwendet werden, von Januar bis Mai 2023 im Vergleich zum selben Zeitraum im Jahr 2022 um 19 Prozent gestiegen ist.
«Es ist notwendig, die Ausfuhr der identifizierten Komponenten nicht nur nach Russland, sondern auch in Länder mit hohem Risiko vollständig zu stoppen.
Die Hersteller:innen sollten zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie weiterhin selbst Waren nach Russland liefern, und es sollten Sanktionen gegen jene Unternehmen verhängt werden, die dabei helfen, diese Elemente unter Umgehung der Sanktionen zu liefern», sagt Novikov, der Leiter der ukrainischen NACP.
Beide Schweizer Unternehmen, die von ukrainischen Regierungsquellen genannt wurden, verurteilen die Verwendung ihrer Produkte in der russischen Kriegsführung. SWI hat keine eindeutigen Beweise für Sanktionsverletzungen durch diese Unternehmen gefunden.
«Seit Ende Februar 2022 haben wir Massnahmen ergriffen, um die spezifischen Anforderungen mehrerer Sanktionspakete und Exportkontrollmassnahmen zu erfüllen, die von der Europäischen Union, den Vereinigten Staaten und Partnerländern gegen Russland und Weissrussland eingeführt wurden», teilt STMicroelectronics per E-Mail mit.
«Unmittelbar nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 hat u-blox alle Verkäufe nach Russland, Weissrussland und in die von der russischen Armee besetzten Gebiete in der Ukraine gestoppt, ungeachtet des Verwendungszwecks.
Kürzlich hat u-blox zudem entschieden, nicht an Mitglieder der Eurasischen Wirtschaftsunion (einer Freihandelszone mit Russland) zu verkaufen», teilt das Unternehmen in einer allgemeinen Erklärung mit.
«Wir haben folgende Vermutungen respektive Erklärungen dafür, wie es dazu kommt, dass Komponenten von u-blox in Drohnen gefunden werden, die von den russischen Streitkräften eingesetzt werden: Entweder wurden diese Komponenten gekauft, bevor die Sanktionen in Kraft traten; oder überschüssige Lagerbestände wurden von Kund:innen an Zwischenhändler:innen in Ländern, die keine Sanktionen gegen Russland verhängt haben, verkauft und dann nach Russland verschifft; oder sie wurden nach Russland geschmuggelt; oder sie wurden aus einem Endprodukt ausgebaut und wieder in russische Drohnen eingebaut», so die Firma weiter.
Die Chips, die in den Lancet-Drohnen verwendet werden, finden sich in alltäglichen Konsumgütern wie E-Scootern, E-Bikes, Autos, Spielzeug oder in Baumaschinen. Sie lassen sich leicht aus diesen Produkten ausbauen und auf dem Sekundärmarkt weiterverkaufen. Diese Chips sind nicht als Rüstungsgüter klassifiziert, und ihre Ausfuhr war vor dem Krieg in keiner Weise reglementiert. In eine Drohne eingebaut, ermöglichen sie deren Navigation.
Die Einfachheit der Anwendung und die schiere Menge an Chips, die bereits auf dem Markt sind, bedeuten, dass es für die Unternehmen fast unmöglich ist, nachzuverfolgen, was mit ihren Chips geschieht, sobald sie an Dritte verkauft werden.
«Es gibt nicht viel, was man tun kann. Die Technologie, die in diesen Drohnen verwendet wird, ist ausserhalb der militärischen Kontrolle weit verbreitet. Man kann zwar Systeme einrichten, aber eine Kontrolle ist nur für den Vertrieb wirklich komplexer und teurer Systeme machbar.
Der Chip [ST Microelectronics], über den in den ukrainischen Medien berichtet wird, ist jedoch problemlos auf dem Markt erhältlich. Ich habe gestern auf der chinesischen E-Commerce-Website Alibaba nachgeschaut. Dort kann er für 250 Dollar bestellt werden», so Valery Shiryayev, Militärexperte der unabhängigen russischen Zeitung Novaya GazetaExterner Link. «Für die Herstellung von Lancets sind keine Präzisionsmaschinen erforderlich.»
Es ist die Einfachheit der Technologie, die diese Drohnen so effizient macht. Die Drohnen können Ziele identifizieren und präzise treffen. Sie sind leicht (12 kg) und erreichen eine Geschwindigkeit von 110-120 km/h.
Im Gegensatz zu ähnlichen Drohnen aus den USA oder der Ukraine, wie z.B. der Switchblade 600 ist die Lancet laut Hersteller nicht auf eine Satellitensteuerung angewiesen, da Satellitensignale in Kriegszeiten leicht gestört werden können. Das bedeutet, dass die Drohne nicht fehlgeleitet und daran gehindert werden kann, ihre Ziele zu treffen. Karte und Richtung werden vor dem Flug direkt in die Drohne hochgeladen.
Für die ukrainische Armee ist die Effizienz der Lancet zu einem ernsthaften Problem geworden. So ist die Switchblade 600 schwerer und langsamer als die Lancet. Ausserdem kann sie im Gegensatz zu ihrer russischen Konkurrentin keine feindlichen Drohnen abschiessen.
«Unser grösstes Problem ist, dass die Russen uns bei den unbemannten Systemen der operativ-taktischen Klasse weit voraus sind. (…) Ich spreche in erster Linie von der Orlan, weil sie für uns ein signifikantes Problem darstellt», sagte Andriy Biletsky, Kommandeur der dritten Sturmbrigade, Gründer des Asow-Regiments und ehemaliger Parlamentsabgeordneter, im Oktober in einem Interview mit der ukrainischen Zeitung Ukrainska PravdaExterner Link.
«Das zweite Problem ist die Lancet, die sie aktiv einsetzen, und bis jetzt haben wir noch keine wirksamen Gegenmassnahmen gefunden», fügt er hinzu. «Die überwiegende Mehrheit der Artilleriesysteme ist anfällig auf die Lancet.»
Parallele Systeme
In Russland haben sich ganze Industriezweige, Regierungsstellen und kriminelle Kreise der Umgehung von Verboten und Sanktionen verschrieben, um eine kontinuierliche Versorgung des Landes mit diesen Komponenten sicherzustellen. Sie arbeiten mit einem Netzwerk von Exporteur:innen und Händler:innen zusammen, das eigens zur Deckung der russischen Nachfrage eingerichtet wurde.
«Russland ergreift ständig Massnahmen, um die Sanktionen zu umgehen», erklärt eine russische Quelle. «Die Situation ist durch die Entstehung neuer Unternehmen, die sich auf die Lieferung elektronischer Komponenten spezialisiert haben, und durch die Ausweitung der Aktivitäten von Unternehmen, die bisher nicht an der Lieferung dieser Komponenten beteiligt waren, noch komplexer geworden».
Der Bericht der Kyiv School of Economics bestätigt dies und weist auf ein Geflecht von illegalen Netzwerken, gefälschten Zolldaten, Ein-Tages-Mantelgesellschaften, zwischengeschalteten Unternehmen und Lieferant:innen hin, die allesamt gefälschte Transitvorgänge orchestrieren.
«Diese Strategien sind ein Beispiel für Russlands anpassungsfähige Reaktion auf die Sanktionen, indem es eine Vielzahl von Kanälen und Akteuren nutzt, um die Sanktionsregelungen zu umgehen», heisst es in dem Bericht.
Die Einfuhr von Chips nach Russland ist keine Einbahnstrasse. In den meisten Fällen arbeiten russische Vermittler:innen mit Emigrant:innen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken zusammen, die in westlichen Unternehmen tätig sind.
Aus den von SWI geprüften Dokumenten geht hervor, dass die sanktionierten Waren über Handelsfirmen importiert werden, die zumeist in der Türkei oder in China registriert sind.
Anschliessend werden sie entweder direkt nach Russland verschifft oder an Vermittler:innen in Ländern wie Kasachstan oder Kirgisistan weiterverkauft, die enge Beziehungen zu Russland unterhalten, sagen ukrainische Quellen, die der Regierung nahe stehen.
In der russischen Umgangssprache werden diese Mittelsmänner und -frauen als «Löser» oder «Fixer» bezeichnet. Ihre Aufgabe ist es, sanktionsbedingte Einfuhrbeschränkungen zu umgehen und mit dem russischen Inlandsgeheimdienst (FSB) und der Staatsanwaltschaft in Kontakt zu treten.
Der Preis für die Lösung eines solche Sanktionsfalles – ob für Bundesbeamte oder Geschäftsleute – hängt vom Wert der eingeführten Ware ab. In der Regel beträgt er jedoch das Anderthalbfache. Ein Drittel davon geht üblicherweise an den «Löser».
«Westlich sanktionierte Waren über die Türkei nach Russland zu bringen, kostet nichts. Früher konnte man das über Kasachstan machen, aber diese Route ist jetzt geschlossen», sagt ein Fixer, der mit swissinfo.ch unter dem Vorbehalt der Anonymität gesprochen hat. Er beschafft Waren direkt für russische Ministerien.
Als Beispiel nennt er den Import von Lastwagen aus ausländischer Produktion über die Vereinigten Arabischen Emirate, der von mit Russland verbundenen Unternehmen betrieben wird: «Die Lastwagen werden zunächst in den Emiraten ohne Heizung gekauft. Sonst wäre sofort klar, dass dieses Produkt in ein kaltes Land geht», sagt er.
» Von den Emiraten wird die Ausrüstung nach Iran geschickt, wo Heizungen installiert werden, und dann wird sie nach Russland verschifft. Jeder in dieser Kette macht Gewinn und alle sind zufrieden. So funktioniert das!»
Diejenigen, die davon am meisten profitieren, sind in der Regel eng mit dem Kreml verbunden. Meist gehören die Kund:innen zu Putins innerem Kreis oder zu den in Russland verbliebenen Oligarch:innen.
«Sie sind unantastbar – sie machen, was sie wollen», sagt ein in Russland ansässige Fixer in einem via den Nachrichtendienst Signal geführten Interview.
Die in diesem Interview enthüllten Fakten werden von einem hochrangigen Beamten eines russischen Ministeriums bestätigt, der ebenfalls anonym bleiben möchte. Gegenüber swissinfo.ch erklärt er, dass die engen Verbindungen zwischen Russland und den ehemaligen Sowjetrepubliken den Handel mit Rubel ermöglichen, obwohl der Handel mit der russischen Währung international verboten ist.
«Unternehmen, die mit dem Kreis um [den russischen Verteidigungsminister Sergej] Schoigu verbunden sind, transportieren alles über Kirgisistan und Kasachstan», sagte er. «In Kirgisistan gibt es ein Gesetz, nach dem jeder, der vor 1991 in der Sowjetunion geboren wurde, die Staatsbürgerschaft erhalten kann.
Inzwischen gibt es viele Russen mit kirgisischem Pass, die dort Geschäfte machen: Sie eröffnen lokale Konten in Rubel. RosfinmonitoringExterner Link (die russische Finanzaufsichtsbehörde) kontrolliert dies überhaupt nicht; es gibt keine Vorschriften.»
Sobald die Rubel nach Kirgisistan gelangen, werden sie in die lokale Währung umgetauscht und in die Emirate überwiesen, um die Waren zu bezahlen. «Absolut jeder in der Kette weiss, was passiert, und alle profitieren davon, weil der russische Staat bereit ist, den doppelten Preis zu bezahlen», so dieselbe Quelle.
«Ein Bestechungsgeld für den Transport eines Lastwagens für das russische Verteidigungsministerium durch Kasachstan kostet lediglich 3000 Dollar. Man zahlt einfach ein Schmiergeld, und das war’s.»
Lücken schliessen?
Die Ukraine argumentiert, dass viel mehr getan werden könnte, um den stetigen Zustrom sanktionierter Waren nach Russland zu stoppen. Sie wirft westlichen Firmen und Regierungen vor, zu nachsichtig zu sein.
Das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO sagt, es habe bereits eine Reihe von Massnahmen ergriffen, um zu verhindern, dass noch mehr Schweizer Komponenten nach Russland gelangen. Das SECO hat Unternehmen über verdächtige ausländische Empfänger:innen und Drittländer informiert, über die die Lieferungen vermutlich abgewickelt werden.
Lieferungen in diese Länder wurden ebenfalls gestoppt. Die Schweiz verstärkt zudem die Kontrollen an ihren Grenzen, und diskutiert «mögliche technische Massnahmen, um die technischen Möglichkeiten von Waren aus Russland einzuschränken», sagt das SECO, ohne weitere Details zu nennen.
Das russische Unternehmen, das seit Mitte der 2000er-Jahre für die Herstellung der Lancet-Drohnen verantwortlich ist, heisst Zala Aero Group. Seine wichtigste juristische Einheit ist die LLC CST.
Haupteigentümer des Unternehmens ist Alexander Zakharov, die übrigen Anteile gehören dem Kalashnikov-Konzern, der fast die gesamte Kleinwaffenproduktion in Russland kontrolliert. Zakharov soll Berichten zufolge zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn eine 2 Millionen Dollar teure Wohnung in der Nähe des Buckingham Palace in London besitzen.
Die ukrainischen Behörden halten ihn für «verantwortlich für die Unterstützung von Handlungen, welche die Ukraine untergraben oder bedrohen». Anfang November wurde er auf die US-SanktionslisteExterner Link gesetzt.
Das SECO hat zudem seine Zusammenarbeit mit dem ukrainischen Nachrichtendienst intensiviert.
Laut Novikov, dem Leiter der ukrainischen Nationalen Agentur für Korruptionsprävention (NACP), reicht das nicht aus. Er fordert mehr Exportkontrollmassnahmen für gewisse Schweizer Komponenten, die in den Lancet-Drohnen landen könnten.
So könnte die Schweiz nur noch Exporte zulassen, für die eine Genehmigung vorliegt, und von den Exporteur:innen Endverbleibsbescheinigungen verlangen. Solche Zertifikate werden üblicherweise beim internationalen Kauf oder Transfer von verbotenen Produkten wie Sprengstoffen, Feuerwaffen und Munition verwendet.
Das SECO räumt ein, dass es keine hundertprozentige Garantie dafür gibt, dass dieser Sektor jemals unter Kontrolle gebracht wird und dass Schweizer Komponenten nicht in russischen Waffen landen werden. Laut SECO wurden auf der Grundlage der «Verordnung über die Ukraine und Belarus» bisher «sechs endgültige und unanfechtbare Strafbefehle» und eine «endgültige und unanfechtbare Strafverfügung» erlassen.
«Die Sanktionen zeigen Wirkung und erschweren dem russischen Militär den Zugang zu ausländischen Komponenten. Aber es kommen immer noch Chips nach Russland. Das reicht aus, um Zivilisten zu töten und die Infrastruktur zu zerstören», so ukrainische Regierungsquellen gegenüber swissinfo.ch.
Hier können Sie unser Interview mit einem russischen Experten lesen:
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Russischer Experte: Wenn die Drohnen-Chips nicht aus der Schweiz kommen, dann von woanders
Editiert von Virginie Mangin. Übertragung aus dem Englischen: Michael Heger.
Die russischen Quellen, die in diesem Artikel zitiert werden, wurden über das Dossier Center for Investigative Journalism kontaktiert, eine Organisation, die hauptsächlich über Russland recherchiert. Die Quellen wurden von SWI swissinfo.ch anonymisiert, um sie zu schützen. Das Dossier Center for Investigative Journalism und die Reporterin garantieren für ihre Authentizität. Die Interviews wurden von der Organisation per Telefon über Signal geführt.
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