«China versucht Technologie-Lücken zu schliessen»
Schweizer Unternehmen sollen vor der Übernahme durch ausländische Investoren besser geschützt werden. Das Schweizer Parlament beauftragt die Landesregierung, eine Genehmigungsbehörde zu schaffen. Im Visier hat es vor allem chinesische Investitionen. Diese folgten häufig einer staatlichen Logik, sagt ein China-Experte.
Genehmigungsbehörde
Das Parlament will die Schweizer Wirtschaft mit besseren Kontrollen vor schädlichen internationalen Übernahmen schützen. Nach der kleinen Kammer (Ständerat), sagte am Mittwoch auch die grosse Kammer (Nationalrat) Ja zu einer Motion von Beat RiederExterner Link, Ständerat der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP). Dessen Vorstoss verlangt, dass die Regierung (Bundesrat) ein Gesetz für eine Genehmigungsbehörde ausarbeitet, die problematische ausländische Investitionen – im Visier stehen vor allem chinesische – prüfen soll.
Laut dem Motionär soll die Behörde eingreifen, wenn erstens die Sicherheit oder öffentliche Ordnung der Schweiz gefährdet sei, und wenn es zweitens keine Reziprozität gebe – also, wenn das Land, in dem sich der ausländische Investor befindet, der Schweiz nicht die gleichen Bedingungen für Investitionen bietet.
Das Schweizer Parlament verlangt bessere Kontrollen problematischer Direktinvestitionen aus dem Ausland, namentlich aus China. Ausgelöst wurde die politische Diskussion nach der Übernahme von Schweizer Unternehmen wie Syngenta, Gategroup oder Swissmetal durch chinesische Investoren.
Laut dem Motionär Beat RiederExterner Link, Ständerat der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP), haben chinesische Investoren im Jahr 2016 in der Schweiz Unternehmen für rund 45 Milliarden Dollar übernommen. Dies sei ein noch grösseres Volumen als das Total der chinesischen Firmenübernahmen in der ganzen EU von rund 40 Milliarden Dollar.
Und die Handelszeitung schreibt, dass mehr als 80 Firmen in der Schweiz einen direkten chinesischen Eigentümer hätten. «Rote Investoren» hätten seit 2005 rund 60 Milliarden Dollar in Schweizer Firmen gepumpt. Gemessen am Total der Direktinvestitionen von 1300 Milliarden machen die chinesischen allerdings nur knapp 5% aus.
Der chinesischen Industriepolitik gehe es unter anderem darum, Wertschöpfung nach China zu verlagern, sagt China-Experte Markus Herrmann vom Schweizer Think Tank «Foraus».
swissinfo.ch: Tut die Schweiz gut daran, sich vor chinesischen Investitionen in Acht zu nehmen?
Markus Herrmann: Die Einführung einer Investitionskontrolle erweitert das aussenwirtschaftspolitische Instrumentarium und kann insbesondere mit Blick auf staatlich gelenkte oder staatlich finanzierte Investitionen eine strategische Handhabung bieten, um bei Marktverzerrungen Schweizer Interessen gezielter zu schützen.
Die Investitionskontrolle richtet sich formal nicht gegen chinesische Investitionen, aber Investitionen aus dem chinesischen Wirtschaftssystem folgen häufiger einer staatlichen Logik und sollten entsprechend anders betrachtet werden können.
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Schweizer Traditionsunternehmen in chinesischer Hand
swissinfo.ch: Die Schweizer Regierung hat sich gegen dieses Kontrollinstrument ausgesprochen mit dem Hinweis, dass diese Investitionen bisher keine Probleme verursacht, sondern im Gegenteil den Wirtschaftsstandort Schweiz gestärkt hätten. Ausserdem habe die Schweiz heute schon genügend rechtliche Grundlagen, um kritische Infrastrukturen zu schützen.
M.H.: Ausländische Investitionen sind grundsätzlich sehr willkommen. Chinesische Investitionen machen derzeit noch weniger als 5% des ausländischen Investitionsbestands in der Schweiz aus. Eine Übernahme oder Beteiligung durch eine chinesische Firma kann einem Schweizer Unternehmen auch starke Vorteile im Marktzugang in China bringen.
swissinfo.ch: Sie sind also auch der Meinung, dass das Kontrollinstrument überflüssig ist?
M.H.: Die Schwäche des Bundesrats-Berichts ist meines Erachtens, dass dieser die kritische Infrastruktur sehr eng definiert und nur jene beurteilt, die ohnehin fast ausschliesslich im Besitz öffentlicher Körperschaften ist. Hier müsste vielmehr eine Diskussion darüber geführt werden, ob nicht auch aufstrebende neue Technologien, strategische Sektoren oder Aspekte der nationalen Sicherheit in einer Investitionsprüfung berücksichtigt werden sollten.
Überdies kommentiert der Bericht die potenzielle Marktverzerrung, die von staatlich finanzierten oder gelenkten Investitionen ausgehen kann, lediglich mit einem simplen Hinweis auf OECD-Richtlinien für StaatsunternehmenExterner Link. Dies ist umso erstaunlicher, als dass sich ein Bericht des Staatssekretariats für Wirtschaft aus dem Jahr 2017 bereits intensiv mit dem Problem von Marktverzerrungen durch inländische staatsnahe Unternehmen befasst hatte.
Sowohl Deutschland als auch die EU definieren die zu prüfenden Aspekte breiter.
swissinfo.ch: Welche Strategie verfolgt China mit seinen Investitionen in der Schweiz?
M.H.: Wir stehen erst am Anfang dieser Investitionstätigkeit. Diese ist vielfältig. Einerseits geht es um gewöhnliche betriebswirtschaftliche Ziele – Internationalisierung der eigenen Firmen, Wachstum in den Überseemärkten, höhere Marktanteile, Zugang zu Partnerschaften oder Erwerb von «Brands».
Andererseits dienen die Investitionen – vor allem jene der Staatsunternehmen – der Verfolgung von strategischen und industriepolitischen Zielsetzungen der chinesischen Regierung. Die Industriepolitik ist beispielsweise das Instrument, um gezielt Technologielücken zu schliessen oder andere Zielsetzungen wie Zugang zu wichtigen Ressourcen im Ausland sicherzustellen.
Dadurch soll die Abhängigkeit von ausländischen Technologien und Ressourcen reduziert und gleichzeitig die Transformation hin zu einer produktiveren und innovativen Volkswirtschaft vorangetrieben werden.
swissinfo.ch: Und das kann ja nicht im Interesse der Schweiz sein, oder?
M.H.: Das Vorgehen Chinas ist – vorausgesetzt, dass die WTO-Regeln und die Reziprozität in den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen eingehalten werden – legitim und kann auch beidseitigen Nutzen bringen. Aber potenziell marktverzerrendes Wirtschaften soll keine Schweizer Interessen unterminieren.
Vor diesem Hintergrund ist für mich die Frage nach der heute praktizierten Schweizer Innovationspolitik entscheidender als die doch primär «erhaltend» wirkende Investitionskontrolle.
swissinfo.ch: Die Wirtschaftslobby hat gar keine Freude an der Schaffung einer Genehmigungsbehörde. Die wirtschaftsnahe Freisinnig-Demokratische Partei (FDP.Die Liberalen) sieht absolut keinen Handlungsbedarf, ein solches «Bürokratiemonster» zu schaffen, im Gegenteil: Ausländische Direktinvestitionen – auch chinesische – würden die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts stärken, schreibt sie. Ist das blauäugig?
M.H.: Die Schweiz ist eine offene Marktwirtschaft, Direktinvestitionen sind hier willkommen. Aber es obliegt der Legislative [Parlament, N.d.R.], einen Rahmen zu schaffen, der sich nicht zu stark an Partikularinteressen orientiert. Und dieser Rahmen muss auch so gestaltet sein, dass Marktverzerrungen, die mit unserem Wirtschaftsmodell nicht kompatibel sind, nicht begünstigt werden. Der Rahmen muss also den langfristigen Interessen der Schweizer Volkswirtschaft dienen.
Der OECD-IndexExterner Link über regulatorische Einschränkungen zeigt, dass die Schweiz diesbezüglich bereits jetzt klar nicht zu den offensten Volkswirtschaften gehört.
«Dass der wirtschaftliche Austausch mit China differenzierter abgewickelt werden soll, ist gerechtfertigt.» Markus Herrmann
swissinfo.ch: Auch der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse ist gegen Investitionskontrollen mit der Begründung, dass diese ein negatives Signal gegenüber ausländischen Investoren senden und den Wirtschaftsstandort Schweiz unnötig schwächen würden. Teilen Sie diese Einschätzung?
M.H.: Das erste Signal, das bei chinesischen Behörden ankommt, ist, dass es in der Schweiz einen politischen Willen gibt, die Rahmenbedingungen der Schweizer Wirtschaft zukunftsgerichtet und strategisch zu gestalten. Und das anerkennen chinesische Wirtschaftspolitiker mit Sicherheit, weil sie dasselbe für ihre eigene Volkswirtschaft tun.
Dass der wirtschaftliche Austausch mit China künftig in Bezug auf grenzüberschreitende Investitionen situativ differenzierter abgewickelt werden soll, ist meines Erachtens durch die gewonnene Gestaltungsmöglichkeit im Schweizer Interesse gerechtfertigt.
swissinfo.ch: Alle Nachbarländer der Schweiz haben Kontrollen für ausländische Investitionen. Ist das der Grund dafür, dass chinesische Investitionen in der Schweiz verhältnismässig viel grösser sind als in diesen Ländern?
M.H.: Regulatorische Hürden sind nur eines von vielen Kriterien, die bei Investitionen in Erwägung gezogen werden. Das wichtigste Kriterium ist wohl die Verfügbarkeit von attraktiven Investitionsobjekten. Die Schweiz ist international bekannt dafür, dass sich hier viele Technologie-Unternehmen befinden.
Und sie bietet auch weitere, international wettbewerbsfähige Standort-Vorteile. Meines Erachtens ist das primäre Kriterium also nicht die Frage, ob es eine Investitionskontrolle gibt oder nicht.
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