Wie viel sollen oder dürfen Stadträte verdienen?
In Bellinzona wird am Wochenende über die Löhne der Stadträte abgestimmt. Sowohl die Rechte wie auch die Sozialisten bekämpfen die angeblich zu hohen Bezüge. Die Abstimmung in Bellinzona spiegelt einen landesweiten Trend. Die politische Arbeit in den Gemeinden professionalisiert sich zusehends. Die Bezüge steigen, aber die Bevölkerung ist damit nicht unbedingt einverstanden.
120‘000 Franken im Jahr für den Stadtpräsidenten von Bellinzona, 95‘000 Franken für den Vize-Stapi, je 80‘000 Franken für die fünf Stadträte – zuzüglich Spesen. Um diese Bezüge für die Exekutivmitglieder tobt in der Tessiner Kantonshauptstadt Bellinzona eine hitzige Debatte. Sind diese Löhne übertrieben? Oder sind sie gerechtfertigt angesichts der Tatsache, dass es immer komplexer wird, selbst eine Stadt von mittlerer Grösse zu regieren?
Am Wochenende werden die Einwohner eine Antwort geben. Es handelt sich um eine Referendumsabstimmung, die von zwei entgegengesetzten politischen Lagern – SVP/Lega und Sozialisten – durch die Sammlung von fast 4000 Unterschriften erzwungen wurde. «Ein Bezug von 12‘000 Franken pro Monat ist doppelt so hoch wie der Medianlohn im Tessin – ein Unding», sagt Angelica Lepori von der «Bewegung für Sozialismus» (MPS). «Diese Bezüge sind ein Freipass, nicht einmal die Aufgaben für die Stadträte sind im Reglement festgehalten», meint Tuto Rossi von der SVP.
Stadtpräsident Mario Branda (SP) kämpft höchstpersönlich für die neuen Ansätze. Sein Arbeitsaufwand wird mit 70 Prozent veranschlagt, bei seinem Stellvertreter auf 60 Prozent. Er verweist auf die vielen und komplizierten Aufgaben sowie Repräsentationspflichten – häufig am Abend. Die Stadt Bellinzona ist vor kurzem auf mehr als 43‘000 Einwohner gewachsen, nachdem 13 Gemeinden im Bellinzonese einer Fusion zugestimmt hatten. Die Einkommen lägen im Vergleich zu anderen Städten eher unter dem Mittel.
Reizthema Löhne
Zudem: Wer in eine Exekutive gewählt wird und diese Aufgabe übernimmt, kann seinen angestammten Beruf nicht mehr oder nur noch teilweise ausüben. «Von aussen betrachtet, kann man sich gar nicht vorstellen, wie viel Aufwand hinter diesen Ämtern steckt», sagt FDP-Fraktionschef Fabio Käppeli, der die neue Verordnung in Bellinzona vollumfänglich unterstützt.
Doch im Volk rumort es. Die Bezüge von Stadträten sind ein Reizthema, nicht nur in Bellinzona. So haben beispielsweise die Stimmbürger der Stadt Luzern im März 2015 entschieden, die Löhne der Stadtregierung – wie damals von der SVP gefordert – um rund 20% zu senken. Das Volk stimmte der Initiative «200’000 Franken sind genug!» mit einem Ja-Stimmen-Anteil von 62,5% zu.
Die Löhne sind seither gedeckelt. Zuvor verdiente ein Luzerner Stadtrat rund 247’000 Franken, der Stadtpräsident sogar 264’000 Franken. Damit bewegten sich die Luzerner Stadtratslöhne im oberen Bereich der Schweizer Städte. In Zürich verpasste das Stimmvolk im Jahr 2000 den Stadträten einen Lohndeckel von 220’000 Franken.
Grosse Unterschiede
Die Unterschiede bei den Bezügen für Exekutivmitglieder in Schweizer Städten und Gemeinden sind auf alle Fälle gewaltig. In grossen Städten wie Zürich oder Lausanne erreichen die Bezüge der Stadtpräsidenten fast 300‘000 Franken. Allerdings üben diese den Job auch hauptberuflich aus.
Auch einige kleinere Städte zeigen viel Herz für ihre Stadtpräsidenten, beispielsweise die Walliser Hauptstadt Sitten mit 34‘000 Einwohnern. Dort erhält der Stadtpräsident 275‘000 Franken im Jahr.
Vernier, eine Gemeinde gleicher Grössenordnung im Kanton Genf, überweist ihrem Stadtoberhaupt nur knapp 100‘000 Franken. Der Unterschied für zwei Gemeinden gleicher Grösse beträgt in diesem Fall mehr als 170‘000 Franken, wie eine umfangreiche Recherche des Radios und Fernsehens der französischen Schweiz (RTS)Externer Link aufgezeigt hat.
Ein Flickenteppich
«Die Situation in der Schweiz gleicht einem Flickenteppich», sagt der Politologe Oscar Mazzoleni, Direktor des Observatoriums für Regionalpolitik an der Universität LausanneExterner Link. Allerdings seien durchaus gewisse Trends zu verzeichnen, beispielsweise zu einer immer stärkeren Professionalisierung der Politik und einer Anhebung der Löhne.
Anders gesagt: Entgegen der vielbeschworenen Miliztradition werden die Ämter in den Gemeinden zusehends nicht mehr nebenamtlich und unentgeltlich ausgeübt, sondern hauptamtlich und gegen Bezahlung. Politik wird zum Beruf. In der Ostschweiz werden politische Gemeindeämter sogar als Stelle ausgeschrieben.
Das Volk hat in mehreren Abstimmungen aufgezeigt, dass es keine Auswüchse in der Lohnpolitik will. Wortführerin bei diesen Abstimmungen in Gemeinden oder Städten ist in der Regel die Schweizerische Volkspartei. In Bellinzona hat nun aber auch die äussere Linke ihre Bedenken angemeldet.
Auf dem Weg zum Berufsparlament
Ein gewisses Misstrauen der Schweizer Bevölkerung gegen Berufspolitiker lässt sich auf nationaler Ebene auch im Bereich der Legislative ausmachen. So bodigte das Stimmvolk am 27. September 1992 eine Parlamentsreform, die neben höheren Entschädigungen einen Kredit von 24‘000 Franken für die Anstellung von persönlichen Mitarbeitern der Parlamentarier vorsah.
Den Mitgliedern der eidgenössischen Räte gelang es allerdings schrittweise, die eigenen Arbeitsbedingungen zu verbessern. Eine im Mai 2017 publizierte Studie der Universität GenfExterner Link – Auftraggeber war die Bundesversammlung – kam zum Schluss, dass die Nationalräte im Schnitt 87 Prozent, Ständeräte 71 Prozent ihrer Arbeitszeit für die parlamentarische Tätigkeit aufwenden.
Diese Entwicklung wird immer wieder kritisch kommentiert. «Auf Gemeindeebene ist das Milizparlament ein Segen, auf kantonaler Ebene ein Vorteil, aber auf Bundesebene eine FiktionExterner Link«, sagt etwa der Politikwissenschaftler Claude Longchamp.
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