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Schweizer Pharma kämpft gegen tiefere US-Medipreise

Pillen (Nahaufnahme)
Für die Pharmakonzerne ist der lukrative US-Markt ein paar Millionen Dollar an Lobbying-Ausgaben wert. Umso schlimmer, wenn Patientinnen und Patienten Dosen auslassen oder ihre Pillen halbieren, weil die Medikamente zu teuer sind. (Symbolbild) Copyright 2017 The Associated Press. All Rights Reserved.

Im US-Kongress wird ein Gesetzentwurf diskutiert, der zu reden gibt. Er zielt darauf ab, die Preise für Medikamente zu senken. Pharmariesen, darunter Roche und Novartis, betreiben intensive Lobbyarbeit, um die Massnahme zu stoppen.

Es ist ein Thema, das regelmässig die Gemüter jenseits des Atlantiks erregt: Die Vereinigten Staaten gehören zu den Ländern der Welt mit den höchsten Preisen für rezeptpflichtige Medikamente. Viele Amerikanerinnen und Amerikaner müssen solche regelmässig aus der eigenen Tasche bezahlen.

Ein Gesetzesentwurf für tiefere Medikamentenpreise, der im Jahr 2019 entworfen und im vergangenen April aus den Schubladen gezogen wurde, wird derzeit im Kongress diskutiert. Doch die Pharmariesen – auch die Schweizer – versuchen im Stillen, die Massnahme zu bremsen.

Der Gesetzesentwurf, genannt «Lower Drug Costs Now Act» (oder H.R.3), würde es der staatlichen Krankenversicherung Medicare ermöglichen, die Medikamentenpreise direkt mit den Pharmafirmen auszuhandeln. Einigen Schätzungen zufolge könnte so zum Beispiel der Preis für Insulin in einem Land, in dem Diabetes weit verbreitet ist, um bis zu 75% gesenkt werden.

Letzte Woche hat eine Koalition von 16 Bürgerinnen- und Bürgerorganisationen einen offenen Brief veröffentlichtExterner Link, in dem sie den Kongress auffordern, das Gesetz so schnell wie möglich zu verabschieden.

In den Vereinigten Staaten «verzögern einige Patientinnen und Patienten die Behandlung oder verzichten wegen der Arzneimittelkosten darauf. Die Leute lassen Dosen aus oder halbieren ihre Pillen», sagt Matt McConnell, ein Forscher für Human Rights Watch (HRW).

«Der Kongress hat jetzt die Chance, Millionen von Menschen in den Vereinigten Staaten, die sich lebensrettende Medikamente nicht leisten können, Erleichterung zu verschaffen», so McConnell. HRW ist eine der Organisationen, die den offenen Brief unterzeichnet haben.

Roche und Novartis investieren Millionen

Die Idee begeistert jedoch nicht alle in Washington. Seit dem ersten Versuch, das Gesetz Ende 2019 zu verabschieden, war der H.R.3 Gegenstand intensiver Lobbyarbeit der Pharmabranche bei den gewählten Vertreterinnen und Vertretern im Kongress. Eine Offensive, an der sich auch die amerikanischen Töchter der Schweizer Pharmariesen beteiligen, darunter Roche und Novartis.

Nach Angaben des Center for Responsive PoliticsExterner Link gaben die beiden Schweizer Giganten im ersten Quartal 2021 für Lobbying-Arbeit in Washington 3,13 Millionen Dollar respektive 2,17 Millionen Dollar aus.

Obwohl das Geld für eine Reihe von verschiedenen Themen ausgegeben wurde, stand der H.R.3 ganz oben auf der Liste der obligatorischen Deklarationen für Unternehmen. Ebenfalls enthalten war der «Lower Costs, More Cures Act», der Gegenvorschlag der Republikanischen Partei.

Es sind nicht die ersten Einflussnahmen der beiden Unternehmen vom Rheinknie in den USA: Zwischen 2019 und 2020 hat Roche 44 Lobbying-Deklarationen im Zusammenhang mit dem «Lower Drug Costs Now Act» angesammelt, Novartis deren 13.

Schweizer Medikamente: Bestseller in den USA

Wenn die Pharmaindustrie ihre Schatullen so weit aufmacht, liegt das wohl daran, dass es sich bei ihren Umsätzen um kolossale Summen handelt: Im Jahr 2020 erwirtschafteten die Pharmasparten von Roche und Novartis einen Umsatz von 23,6 Mrd. respektive 14,3 Mrd. (d.h. 53% bzw. 36% ihres Gesamtumsatzes) auf dem US-Markt.

Nach Schätzungen des Congressional Budget OfficeExterner Link könnte die Erlaubnis für das Medicare-Programm, die Arzneimittelpreise mit den Herstellern auszuhandeln, der US-Regierung über einen Zeitraum von zehn Jahren bis zu 456 Milliarden Dollar einsparen. Für die Schweizer Pharmaindustrie wäre das ein empfindlicher Einschnitt in ihren Geldsegen.

So war beispielsweise Rituximab von Roche (ein Medikament zur Behandlung von Lymphomen und Polyarthritis) im Jahr 2019 das zwölft-umsatzstärkste Medikament in den USAExterner Link und das am zweithäufigsten vermarktete des in Basel ansässigen Pharmariesen. Das Medikament war auch der viertgrösste externe Kostentreiber für die B-Liste von MedicareExterner Link in den Vereinigten Staaten: mit 1,73 Milliarden Dollar, die von der Regierung dafür ausgegeben wurden.

Der Verkaufsschlager Avastin von Roche (ein Medikament zur Behandlung bestimmter Krebsarten) kostete das US-Finanzministerium im selben Jahr 1,03 Milliarden Dollar.

Gut platzierte Wahlkampfspenden

Bei ihrem Kreuzzug gegen niedrigere Medikamentenpreise ist das Lobbying aber nicht die einzige Möglichkeit der Pharmaunternehmen: Der Sektor gehört auch zu den grössten Geldquellen politischer Spenden in den Vereinigten Staaten.

«Die Pharmaindustrie hat mehr als 500 Millionen Dollar an Kandidierende für die Wahl 2020 gespendet», schrieb Max Richtman, Vorsitzender des «National Committee to Preserve Social Security and Medicare», in einem aktuellen MeinungsbeitragExterner Link. «Zu viele Gesetzgeber lassen sich von diesen Spenden beeinflussen und zögern, die Industrie herauszufordern.»

Tatsächlich überraschten letzte Woche zehn demokratische Mitglieder des Repräsentantenhauses, weil sie ihre Ablehnung des «Lower Drug Costs Now Act» signalisierten und damit eine Position entgegen jener ihrer eigenen Partei einnahmen.

Es überrascht nicht, dass die meisten von ihnen mehrere grosse Pharmaunternehmen auf ihrer Spenderliste haben, von Merck über Pfizer bis Johnson & Johnson.

Auch die Schweizer Giganten sind laut Daten des Center for Responsive Politics gut darauf vertreten: Scott Peters aus Kalifornien, der Anführer der Gruppe, erhielt 7500 Dollar an Spenden von Novartis und 7000 Dollar von Roche für seine Wiederwahlkampagne 2020. Kurt Schrader und Tony Cardenas, zwei weitere Parteiuntreue in dieser Frage, die Oregon und Kalifornien repräsentieren, erhielten letztes Jahr 8500 und 5000 Dollar von Roche.

Diese Summen waren offensichtlich gut investiertes Geld, denn die Zukunft des H.R.3-Gesetzesprojekts ist nun sehr ungewiss: Die zehn Abweichler entsprechen genau der knappen Mehrheit der Demokraten im Repräsentantenhaus. Amerikanische Patientinnen und Patienten müssen daher möglicherweise noch länger auf ein Mittel gegen die steigenden Arzneimittelpreise warten.

(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

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