Als Schweizer am Mittelmeer kämpften
Vor zweihundert Jahren strömten Männer nach Griechenland, um den Kampf gegen das Osmanische Reich zu unterstützen – auch aus der Schweiz. Viele starben in den Kämpfen, manche wurden unsterbliche Heldenfiguren im nationalen Befreiungsmythos.
Am 25. März 1821 begann der griechische Aufstand gegen die osmanische Herrschaft, der 1830 zur Anerkennung des modernen griechischen Staates führte. Zu dieser Zeit beherrschten die Osmanen ein Gebiet von Tunesien bis zum Irak, vom Balkan bis zum Horn von Afrika. Die so genannte Griechische Revolution war die erste Nationalbewegung in den europäischen Gebieten des osmanischen Reichs, die die volle Unabhängigkeit erkämpfte.
Der Aufstand genoss vornehmlich in Westeuropa grosse Unterstützung, vor allem dank den Philhellenen, den «Freunden Griechenlands». Die griechische Antike wurde im späten 18. Jahrhundert insbesondere in Kunst und Literatur als ästhetisches Vorbild betrachtet. Man sah Griechenland als Wiege der europäischen Zivilisation, es war deshalb eine Frage der Ehre, es aus dem osmanischen Joch zu befreien.
Es gab aber auch handfeste politische Gründe: Insbesondere Frankreich, Grossbritannien und Russland hatten ein Interesse daran, das osmanische Reich zu schwächen. Die materielle und politische Unterstützung separatistischer Bewegungen, die mit Waffengewalt einen eigenen Staat errichten wollten, war ein Mittel dazu.
Hilfe erhielten die Griechen jedoch auch von Freiwilligen: Hunderte Philhellenen aus Europa und den USA strömten in die unabhängigen Gebiete, um die griechischen Christen in ihrem Kampf gegen die muslimischen Unterdrücker zu unterstützen. Darunter auch prominente Figuren wie der englische Dichter Lord Byron, der als Kriegsheld gefeiert wurde. Andere wiederum sammelten Geld oder setzten sich auf politischer Ebene für die griechische Sache ein.
Diese Freiwilligen sind noch heute prominent im nationalen Befreiungsmythos präsent, ihren Namen säumen Plätze und Strassen, ihrem Andenken wird jährlich am Nationalfeiertag des 25. März gedacht. Darunter sind zahlreiche Schweizer, die ihre Spuren nicht nur in den Schlachtfeldern hinterliessen, sondern auch in den Institutionen des jungen Staates. Eine kleine Auswahl.
Der Banker
Ohne Geld lässt sich kein Krieg gewinnen. Wichtig waren deshalb die Unterstützungsvereine, die durch Spenden und Sammelaktionen finanzielle Mittel für den bewaffneten Kampf aufbrachten, aber auch die Reisen der freiwilligen Kämpfer koordinierten. Der erste «Griechenverein» entstand bereits im August 1821 in Bern, danach auch in weiteren Schweizer Städten und europäischen Ländern. Die Mitglieder waren Intellektuelle, Geistliche und Militärs, oft aber auch Arbeiter, die sich für eine noble Sache engagieren wollten.
Ein wichtiges Zentrum der philhellenischen Tätigkeit in der Schweiz war Genf. Dort lebte der schwerreiche Financier Jean-Gabriel Eynard, der aus seinem Privatvermögen grosse finanzielle Mittel nach Griechenland schickte. Eynard, dessen Familie dem Genfer Adel angehörte, lernte auf dem Wiener Kongress den späteren ersten Präsidenten Griechenlands kennen, Ioannis Kapodistrias. Diese Freundschaft begründete Eynards Interesse für die griechische Sache, die er in den Jahrzehnten danach auch auf dem diplomatischen Parkett aktiv vorantrieb.
Als Fürsprecher der griechischen Revolutionäre unterstütze er sie nicht nur auf Ebene der Politik, sondern war sich auch der Bedeutung staatlicher Institutionen für den jungen Staat bewusst. Eynard war 1828 einer der Mitgründer des ersten staatlichen Finanzinstituts in Griechenland, das jedoch nur wenige Jahre Bestand hatte. Später war er massgeblich am Aufbau der Griechischen Nationalbank beteiligt, die noch heute existiert und die grösste Bank im Land ist.
Der Draufgänger
Aussergewöhnliche Zeiten bringen aussergewöhnliche Biografien hervor. Zweifellos eine der bemerkenswertesten Schweizer Persönlichkeiten in den Reihen der griechischen Aufständler war der Zürcher Johann Jakob Meyer, dem der Autor Alex Capus in seinem Buch «Himmelsstürmer» ein literarisches Denkmal setzte.
Mayers Motivation bleibt – wie bei vielen Philhellenen – bis heute nicht restlos nachvollziehbar. Er wurde oft verdächtigt, dass seine Reise nach Griechenland letztlich eine Flucht aus der Schweiz war. Von Geldproblemen war die Rede, einem unsteten Leben und unerwiderten Liebschaften. Wie seine Bindung zur griechischen Sache zustande kam, ist nicht belegt. Auf jeden Fall gelange es ihm, sich beim Berner Philhellenen-Verein als Arzt vorzustellen (der er nicht war) und sich die Reise nach Griechenland bezahlen zu lassen.
Meyer landete 1821 in Mesolongi, wo er rasch Griechisch lernte, zur Orthodoxie übertrat und eine Griechin heiratete. Als das Städtchen kurz darauf unter Belagerung der osmanischen Streitkräfte kam, übernahm Meyer die Leitung des örtlichen Lazaretts. In den nächsten Jahren wurde Mesolongi immer wieder belagert und wurde zu einem zentralen Erinnerungsort der Griechischen Revolution. Meyer gründete zu dieser Zeit die Griechischen Chroniken, die erste gedruckte Zeitung des Landes, die im Ausland zu einer wichtigen Informationsquelle und damit wichtig für das Bild Griechenlands in Europa wurde.
Meyer starb auch in Mesolongi, die den Titel der Heiligen Stadt trägt. Gemäss der Legende wagte ein Teil der Bewohner den Ausbruch aus der Belagerung, während der Rest sich nach blutigen Kämpfen selbst in die Luft sprengte, um nicht dem Feind in die Hände zu fallen. Von Meyer soll das folgende Zitat stammen, das das Selbstverständnis der schweizerischen Philhellenen auf den Punkt brachte: «Mich macht der Gedanke stolz, dass das Blut eines Schweizers, eines Enkels von Wilhelm Tell, sich mit dem Blute der Helden Griechenlands mischen soll.»
Der Krieger
Der Aufstand wurde äusserst brutal bekämpft. Im Verlauf kam es zu ethnischen Säuberungen, Versklavungen und Gräueltaten. Der Grossteil der Kämpfe erfolgte auf dem Peloponnes, der griechischen Kernland. Später weitete sich das in Gebieten aus, die ethnisch durchmischter waren – und damit nahmen auch die Übergriffe auf die zivile Bevölkerung zu.
Der Berner Emanuel Amenäus Hahn reist 1824 nach Griechenland und schliesst sich dem Philhellenen-Corps an, wo weitere ausländische Freiwillige wie er angegliedert sind. In diesem revolutionären Jahrzehnt ist er an mehreren bedeutenden Schlachten beteiligt – darunter an einer sechsmonatigen Belagerung der Athener Akropolis, wo er mit anderen eingeschlossen wurde – und gewinnt militärische Anerkennung. Das ganze 19. Jahrhundert hindurch ist der griechische Staat durch politische Instabilität, finanzielle Misere und militärischer Gefahr geprägt. Hahn bleibt jedoch weiterhin in Griechenland und steigt in der Hierarchie weiter auf, bis er zuletzt zum Generalleutnant der griechischen Armee ernannt wird.
Nicht allen war jedoch solcher Ruhm gewiss. Von vielen einfachen Soldaten ist nur der Vorname bekannt, sie verendeten an Krankheiten, wurden verrückt oder landeten zusammen mit ihren griechischen Waffenbrüdern in Massengräbern fern ihrer Heimat.
Schweizer Philhellenen gab es auch in zahlreichen anderen Bereichen. So etwa in der Fotografie: Die Bilder des Genfers Fred Boissonnas waren zentral für das Selbstverständnis des griechischen Staates zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Lesen Sie hier mehr dazu:
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