Schweizer Startup tüftelt an biologischer Erdöl-Alternative
Holz, Stroh, Kirschkerne oder Nussschalen zur Herstellung von Bio-Kunststoffen, Textilien, Kosmetika und Parfüms: Das Schweizer Start-up Bloom Biorenewables hat eine Technologie entwickelt, die es möglich macht, für die Herstellung von Materialien Biomasse statt Erdöl zu nutzen.
«Als ich mein Chemiestudium begann, drehten sich die Kurse hauptsächlich um Petrochemie, d.h. um die Verarbeitung von Erdöl. Aber heute wird immer mehr grüne Chemie unterrichtet. Wir hoffen, dass die Chemiker der Zukunft kein Erdöl mehr verwenden werden, denn wir können darauf verzichten.» Das sagt Florent Héroguel, Mitgründer und Geschäftsleiter von Bloom BiorenewablesExterner Link.
Das junge Unternehmen, das als Spin-off der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) begann, will nicht nur in der chemischen Forschung auf Erdöl verzichten, sondern dieses aus dem Alltag verbannen. Der umweltschädliche Stoff findet sich heute so ziemlich überall – er steckt in unserer Kleidung, unseren Schuhen, in Smartphones, Computern, Möbeln, Verpackungen und Flaschen.
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Erdölderivate finden sich aber auch in unseren Speisen in Form von Aromen wie Vanillin, in Parfüms, Kosmetika und Waschmitteln und sogar in Medikamenten.
«Im Energiebereich wurden schon grosse Fortschritte bei der Entwicklung alternativer Quellen zum Erdöl erzielt», sagt Héroguel. «Aber bei den Materialien stehen wir erst am Anfang, und es ist wahrscheinlich noch schwieriger. Wir brauchen eine andere Quelle für Kohlenstoff. Eine Quelle ist das CO2 in der Atmosphäre, aber die Extraktion ist schwierig.
Eine andere Quelle ist Biomasse. Wir suchen nach Kohlenstoff in Biomasse, weil wir daraus nachhaltige Produkte für eine Kreislaufwirtschaft machen können.»
Nicht nur Bioethanol und Papier
Die Biomasse, die im Labor für nachhaltige und katalytische Prozesse (LPDCExterner Link) der EPFL verwendet wird – einem Partner des Startups – besteht aus Holz, Baumrinde, Blättern, Kirsch- und Pfirsichkernen, Nussschalen sowie anderen Lignozellulose-Materialien. Diese stammen aus verschiedenen Ländern, einschliesslich der Schweiz.
Lignozellulose, der Rohstoff, der auf unserem Planeten am häufigsten vorkommt, enthält drei Hauptelemente: Zellulose, Hemizellulose und Lignin.
Biomasse wird immer mehr zur Herstellung von Bioethanol verwendet, hat aber Eigenschaften, die Erdöl noch in vielen anderen Anwendungen ersetzen könnten. «Industriell genutzt wird Biomasse bisher vor allem in der Papierherstellung.
Dabei werden nur etwa 40% der Holzbestandteile extrahiert, der Rest wird verbrannt oder weggeworfen. Wir wollen hingegen mindestens 75 % der Lignozellulose-Biomasse umwandeln, um eine Alternative zum Erdöl zu bieten», sagt Florent Héroguel aus.
Für ihre Tests an der EPFL verwenden die Forscher von Bloom Biorenewables einen 10-Liter-Reaktor, in dem die Biomasse erhitzt und mit Lösungsmitteln behandelt wird, um mehrere Bestandteile herauszulösen. Die erste Fraktion, die Zellulose, wird mit Hilfe eines Filters ausgeschieden.
Anschliessend werden eine ligninhaltige und eine hemizellulosehaltige Flüssigkeit abgetrennt. Diese Elemente werden dann in weiteren Schritten isoliert, gereinigt und mit einer breiten Palette von Geräten getestet, die in den Labors der EPFL zur Verfügung stehen: Inkubatoren, Zentrifugen, Chromatographen usw..
Textilien und Biokunststoffe
«Mit Zellulose könnten wir auch Papier herstellen. Aber unser Ziel ist es, so viel wie möglich zu extrahieren, zum Beispiel für die Herstellung von Textilien. Heute gibt es nicht genug Baumwolle, um die Nachfrage zu decken, so dass die meisten Textilien aus Erdöl hergestellt werden, wie z.B. Polyester oder Acryl.
Die Textilindustrie sucht aber zunehmend nach Alternativen, um umweltfreundlichere Produkte herzustellen, da Polyester umweltschädlich ist», sagt der Mitgründer von Bloom Biorenewables.
Es gibt heute schon Textilien, die aus Biomasse hergestellt werden. Marktführer in diesem Sektor ist ein österreichisches Unternehmen. In der Schweiz sind Projekte im Aufbaustadium.
«Es gibt aber noch eine Reihe offener Fragen über die Durchführbarkeit und das Potenzial der derzeit angewandten Verfahren. Deshalb arbeiten wir mit Partnern an der Entwicklung alternativer Verfahren, die weniger umweltbelastend und effizienter sind und nicht nur Pflanzenabfälle aus Wäldern verwenden», sagt Héroguel.
Erste Resultate sind transparente Garne aus Bioplastik, die aus im Labor gewonnener Zellulose hergestellt werden.
Das Startup hat zusammen mit Partnern damit begonnen, auch die Eigenschaften der Hemizellulose zu nutzen. Sie eignet sich besonders zur Herstellung von Biokunststoffen als Ersatz für Polypropylen-Verpackungen, die als Plastikmüll die Umwelt belasten. Und das auf Jahre hinaus.
Deshalb ist die EU aktiv geworden. Mit ihrem neuen Aktionsplan zur Kreislaufwirtschaft will Brüssel der bisherigen Verschwendung nicht erneuerbarer Ressourcen ein Ende setzen, Abfall verringern, Verpackungen und andere Produkte aus abbaubarem, nachhaltig produziertem Kunststoff fördern und die Verantwortung der Hersteller stärken.
Grosse Nahrungsmittelkonzerne wie Nestlé und Danone haben angekündigt, dass sie im Verlauf der nächsten Jahre kohlenstoffneutral werden wollen, indem sie die heutigen Verpackungen durch Produkte mit Materialien auf pflanzlicher Basis ersetzen.
Aromen und Parfüms
Der Bestandteil von Biomasse, in den das Startup die grössten Hoffnungen setzt, ist jedoch Lignin. «Das Lignin, das man bisher auf dem Markt findet, kondensiert bei seiner Gewinnung, es zersetzt sich und wird sehr dunkel. Unser Prozess hingegen stabilisiert das Lignin, indem er seine Kondensation und Zersetzung verhindert.
So sind wir in der Lage, ein sehr reines, helles Lignin zu extrahieren, das zum Beispiel für die Herstellung von Kosmetika verwendet werden kann. Es kann unter relativ milden Bedingungen auch in polymere Stoffe zerlegt werden, um aromatische Moleküle für die Lebensmittel- und Parfümindustrie zu extrahieren», erklärt der Gründer.
Auch die Nahrungsmittel- und Parfümindustrie suchen nach neuen Materialien auf Pflanzenbasis, um das Erdöl zu ersetzen. Die Forscher von Bloom Biorenewables erproben seit mehreren Jahren mit Unternehmen in diesen Sektoren verschiedene mögliche Anwendungen und verfügen über etliche Erfahrungen bei der Herstellung von Molekülen für Vanillin, Eugenol (Nelkenriechstoff) und Räucheraromen.
«Wir haben unsere Forschung 2015 an der EPFL im Labor von Professor Jeremy Luterbacher begonnen, um Lösungen für eine bessere Nutzung der Biomasse zu finden. Wir erkannten bald, dass das grösste Potenzial und der grösste Markt beim Lignin liegen. Heute kann niemand Lignin in einer solchen Qualität herstellen, das für Produkte mit hohem Mehrwert wie Parfüms verwendet werden kann».
Vom Labor auf den Markt
2017 meldeten die jungen Forscher der EPFL ein erstes Patent für die Produktion von Lignin an. Angesichts der positiven Reaktionen aus der Wissenschafts-Community gründeten Florent Héroguel, Jeremy Luterbacher und Remy Buser zwei Jahre später Bloom Biorenewables, mit dem Ziel, diese Labortechnologie für die Industrie nutzbar zu machen.
Das Startup, das bereits mehrere Auszeichnungen erhalten hat, darunter den Förderpreis der Vigier-Stiftung für Jungunternehmen, überzeugte Investoren schnell. Im August erhielt das Unternehmen zudem einen Beitrag von mehr als drei Millionen Schweizer Franken, der teilweise von der japanischen Firma Yokogawa kam, die hauptsächlich im Chemie- und Energiesektor aktiv ist.
Diese Mittel sollen insbesondere zur Finanzierung des neuen Hauptsitzes des Unternehmens in Marly bei Freiburg verwendet werden. Dank der Zusammenarbeit mit der Hochschule für Technik und Architektur (HEIA) in Freiburg können die Forschenden heute viel grössere Reaktoren (600 Liter) nutzen, um Lignin und andere aus Biomasse gewonnene Stoffe herzustellen.
Dieses Labor soll ihnen ermöglichen, ihre Experimente mit Partnern fortzusetzen, um neue Patente anzumelden und in die Phase der Kommerzialisierung einzutreten. Im Jahr 2022 will das junge Unternehmen für 30 bis 50 Millionen Schweizer Franken ein Werk bauen, um die industrielle Produktion zu starten.
«Wir hoffen, aus einer Tonne Biomasse 750 bis 900 Kilo Material für die Produktion von Textilien, Biokunststoffen und Lignin gewinnen zu können. Das ist eine sehr hohe Rate», betont Florent Héroguel. Der Jungunternehmer ist überzeugt, dass die neue Technologie nicht nur zum Schutz der Umwelt beitragen, sondern auch der Chemie ein neues Image geben wird.
«Wenn wir sagen, dass wir uns mit Chemie befassen, schauen uns noch heute viele Leute schräg an und denken, dies sei nicht sauber. In Wirklichkeit können wir jedoch mit Chemie einen grossen Beitrag zum Schutz unseres Planeten leisten.»
(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)
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