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Schweizer Steuerverbündete bleiben auf der Strecke

Flugzeuge kaufen, um den Fiskus zu umgehen? Keystone

Der Entscheid Luxemburgs und Österreichs, den automatischen Informationsaustausch (AIA) mit den anderen EU-Staaten zu übernehmen, isoliere die Schweiz im globalen Kreuzzug gegen das Bankgeheimnis, erklärt ein Experte des Tax Justice Network (TJN) gegenüber swissinfo.ch.

Die beiden EU-Staaten gaben im Februar dem Druck nach und stimmten der revidierten EU-Direktive zur Zinsbesteuerung zu, mit der viele Schlupflöcher im bisher gültigen Quellensteuermodell gestopft werden.

Im vergangenen Jahr hatte die Schweiz einer Neuverhandlung ihres Zinsbesteuerungsabkommens mit der Europäischen Union zugestimmt, ein Steuerinformationsabkommen mit den USA unterzeichnet (FATCA) und sich im Rahmen der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) an der Entwicklung internationaler Standards zum automatischen Informationsaustausch (AIA) beteiligt.

Dennoch ist der in Deutschland ansässige TJN-Experte Markus Meinzer der Ansicht, die Schweiz kämpfe noch immer darum, einige Aspekte des Bankgeheimnisses bewahren zu können.

Die OECD zielte mit dem automatischen Informationsaustausch (AIA) auf ein multilaterales Abkommen ab, doch nun dürfte es im Wesentlichen um ein Musterabkommen gehen, das den Staaten als Grundlage dienen wird. Länder, die den AIA übernehmen, werden mit anderen Staaten bilaterale Abkommen schliessen, wie es beim Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) hiess.

SIF-Sprecher Mario Tuor erklärte, die Position der Schweiz unterscheide sich in dieser Beziehung nicht von der anderer OECD-Staaten.

Die Schweiz sei nicht das einzige Land, das sich besorgt zeigte, dass andere Länder übermittelte Daten potentiell missbrauchen könnten, sagte Tuor. Der Wunsch, dass Steuerdaten nur von den Steuerbehörden eines anderen Landes genutzt werden dürften und nicht an andere behördliche Stellen weitergegeben dürften, sei ein universelles Anliegen.

Hinter dem Wunsch der Schweiz, dass der Informationsaustausch im Rahmen des geplanten OECD-Abkommens auf Gegenseitigkeit beruhen sollte, verberge sich keine düstere Absicht, sagte Tuor. Diese Standardprozedur sei im Entwurf für das OECD-Abkommen so vorgesehen.

swissinfo.ch: Luxemburg und Österreich haben der erweiterten EU-Richtlinie zur Zinsbesteuerung zugestimmt, die auch den automatischen Informationsaustausch umfasst. Von welcher Bedeutung ist dies für den weltweiten Kampf gegen Steuerflucht?

Markus Meinzer: Dass sie jüngst der revidierten EU-Richtlinie zur Zinsbesteuerung zugestimmt haben, ist ein Wendepunkt im Kampf der EU gegen Offshore-Steuerflucht. Während mehr als 20 Jahren hatten Luxemburg und Österreich die Bemühungen vereitelt, das Bankgeheimnis im ganzen EU-Raum an die Kandare zu nehmen.

Viel zu viele Jahre lang konnten die Offshore-Finanzbranchen dieser Staaten das Tempo des Fortschritts im Kampf gegen die Offshore-Steuerflucht diktieren.

Doch noch ist Vorsicht geboten. Wird etwa Luxemburg die neuen Regeln konform umsetzen? Das Land hat in dieser Hinsicht, zusammen mit verschiedenen anderen Staaten, eine schlechte Bilanz vorzuweisen.

swissinfo.ch: Was bedeutet dies alles nun für die Schweiz?

M.M: Luxemburg und Österreich waren die logischen Verbündeten der Schweiz, mehrmals brachten sie die Bemühungen der EU zu mehr Offenheit im Umgang mit Daten von Steuerhinterziehern zum Entgleisen.

Bei ihrem gemeinsamen Kampf, die Forderungen nach einem automatischen Informationsaustausch (AIA) abzuwenden, nutzten sie das Argument der «fairen Rahmenbedingungen». Luxemburg und Österreich erklärten: ‹Wir öffnen uns nicht, solange es die Schweiz nicht tut›, und die Schweiz sagte: Solange Luxemburg, Singapur, Hongkong und der Rest der Welt ihre Regeln nicht ändern, werden auch wir es nicht tun›.

Es war ein Spiel, ein Vorwand und ein Rezept für einen geheimnistuerischen Status quo. Doch die jüngsten Schritte von Luxemburg und Österreich untergraben die Position der Schweiz ernsthaft.

Im letzten Jahr hat die Schweiz einige wichtige Schritte in Richtung globale Steuerkonformität getan.

Im August stimmte die Schweiz einem Abkommen mit den USA zu, das Schweizer Banken ermöglicht, einer Strafverfolgung zu entgehen, indem sie Daten über US-Steuersünder offenlegen, die in der Vergangenheit bei ihnen Zuflucht gefunden hatten.

Im September stimmte das Parlament dem FATCA-Abkommen (Foreign Account Tax Compliance Act) mit den USA zu, das die Schweizer Banken verpflichtet, in Zukunft automatisch Daten zu ihren US-Kunden übermitteln zu müssen.

Im Oktober unterzeichnete die Schweiz eine OECD-Konvention, die darauf abzielt, einen globalen Entwurf für den automatischen Informationsaustausch zu entwickeln. Die neuen Standards sollen noch 2014 verabschiedet werden.

Im Dezember verabschiedete die Schweiz ein Mandat für Verhandlungen mit der Europäischen Union über eine Revision des Zinsbesteuerungsabkommens. Die Schweiz fordert, dass parallel auch über einen besseren Zugang für Schweizer Banken auf den EU-Markt verhandelt werde.

swissinfo.ch: Die Schweiz hat Verhandlungen über ein neues Zinsbesteuerungsabkommen mit der EU zugestimmt, aber nur, wenn die Gespräche auch einen besseren Zugang für Schweizer Banken auf dem EU-Markt beinhalten. Ist dies für die EU ein gefährlicher Weg?

M.M: Auf diese Forderung der Schweiz wird wahrscheinlich nicht eingegangen werden. Einerseits, weil alle in Europa aus langer und bitterer Erfahrung wissen, dass es erhebliche Risiken gibt, wenn man Schweizer Banken in Europa Amok laufen lässt.

Geschichte, Kultur und Geschäftsmodell der Schweizer Privatbankbranche fussten lange auf der Begünstigung von Steuerflucht – und eine Katze lässt das Mausen nicht.

Zudem wissen die EU-Verhandlungsführer, dass der globale politische Druck auf die Schweiz steigt, ihren Widerstand gegen AIA so oder so aufzugeben, unabhängig davon, ob sie weiteren Zugang für ihre Banken auf dem EU-Markt erhält oder nicht.

swissinfo.ch: Die Schweiz hat das FATCA-Abkommen mit den USA unterzeichnet und nimmt an den OECD-Gesprächen zur Erarbeitung von internationalen AIA-Standards teil. Hat sie damit eine neue Seite aufgeschlagen?

M.M: Leider nicht. Die Schweiz hat sich nicht festgelegt, zur Gruppe der Erstanwender der einheitlichen Meldestandards (Common Reporting Standards, CRS) der OECD zu gehören, und es gibt auch keine Beweise, dass sie diese wirklich unterstützt.

Die Tatsache, dass die Schweiz an der Entwicklung beteiligt war, reflektiert nur ihre OECD-Mitgliedschaft, sagt aber nichts darüber, ob ihre offiziellen Vertreter eine konstruktive Rolle spielen oder ob sie in der Tat gar Verzögerungstaktiken nutzen.

Ich sehe Anzeichen dafür, dass letzteres der Fall ist.

swissinfo.ch: Was sind diese Anzeichen?

M.M: Die Schweiz scheint zu versuchen, zwei Regelwerke zu schaffen: So würde man sich gegenüber reichen und mächtigen Staaten deutlich öffnen, gegenüber verletzlicheren Staaten aber schwächere Standards anwenden.

Das Beharren auf bilateralen statt multilateralen Abkommen ermöglicht Schweizer Verhandlungsführern, Entwicklungsländern schmerzhafte Konzessionen abzuringen (oft steuerbezogen).

Die Schweiz hält Fortschritte auch auf, indem sie in Frage stellt, ob Entwicklungsländer vertrauliche Daten richtig handhaben können. Dieser veraltete, kolonialistische und paternalistische Reflex ignoriert die Tatsache, dass die meisten Entwicklungsländer dies aufgrund anderer Verträge bereits tun.

Eine weitere Taktik ist, auf umfassender Gegenseitigkeit mit jedem Land zu beharren, das versucht, Informationen erhalten. Für viele Entwicklungsländer wäre dies eine enorme Verschwendung von Ressourcen.

swissinfo.ch: Wenn die erweiterte EU-Zinsbesteuerung, FATCA und die AIA-Standards der OECD einmal in Kraft sind und umgesetzt, bedeutet dies den endgültigen Todesstoss für das Bankgeheimnis?

M.M: Die einheitlichen Meldestandards der OECD haben das Potential, viel beizutragen zum Ende des Bankgeheimnisses weltweit. Aber viel wird davon abhängen, wie einige der noch offenen Fragen und Unklarheiten angegangen werden.

Der Meldesockelbetrag von 250’000 Dollar sollte fallen gelassen werden. Und viel hängt davon ab, ob die USA sich den Standards anschliessen und der vollumfängliche Reziprozität zustimmen.

Und natürlich werden wir aufmerksam bleiben müssen gegenüber Tricks, von denen Bankiers und Anwälte sicher schon träumen.

Die OECD-Standards decken bankfähige Vermögenswerte ab, nicht aber Vermögenswerte, die in Safes oder Kunstlagerhäusern aufbewahrt werden, ebenso wenig wie Immobilien, grosse Schiffe oder Flugzeuge.

Eines Tages müssten auch solche Vermögenswerte Gegenstand des gegenseitigen Informationsaustausches sein.

swissinfo.ch: Und wie sieht es mit den Milliarden von nicht deklarierten Vermögen aus, die bereits heute in Steueroasen parkiert sind?

M.M: Im Moment wird der Austausch von Daten aus der Vergangenheit nur mit dem Abkommen zwischen den USA und Schweizer Banken abgedeckt, die damit einer Strafverfolgung entgehen wollen.

Es wäre eine gute Minimalforderungen für die AIA-Standards, darauf zu beharren, dass auch die Daten aus dem Jahr, bevor die neuen Standards in Kraft treten, ausgetauscht werden müssten.

Dies würde viele Bemühungen untergraben, Portfolios neu zu strukturieren, so dass sie ausserhalb der AIA-Reichweite liegen – wie Vermögenswerte in Gold umzutauschen, Bargeld in Safes zu lagern oder Konten in kleinere Einheiten aufzuteilen, die unterhalb der Meldeschwelle liegen würden.

(Übersetzung aus dem Englischen: Rita Emch)

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