Schweizer Uhren sollen wieder von innen strahlen
In der Uhrenwerbung stehen die Zeiger fast immer auf 10 nach 10 – das Zifferblatt soll so ein "lächelndes Gesicht" ergeben. Richtig Lachen kann die Schweizer Uhrenindustrie, die an der Branchenmesse Baselworld sehr gute Geschäfte erwartet.
Stotternder Weltwirtschaft und immer noch hohem Franken zum Trotz: Schweizer Luxusuhren sind gefragter denn je. 2012 verkauften die Schweizer Hersteller im Ausland Uhren für 21,4 Mrd. Franken, was ein Plus von 11% gegenüber dem Vorjahr bedeutet.
Allein die Swatch-Gruppe, die nicht nur trendige und günstigere Quarz-Uhren produziert, sondern auch die Luxusmarken Breguet und Blancpain im Portfolio führt, machte einen Absatzsprung von 26%. Erfreulich für die Gesamtwirtschaft: Die starke Nachfrage bedingt den Bau neuer Produktionsbetriebe und die Schaffung neuer Stellen.
Mitverantwortlich für die Überwindung der Rezession ist das rasche Heranwachsen einer immer potenteren Mittelschicht in China. 2011 hatten sich die Uhren-Exporte dorthin fast verdoppelt und machten das Reich der Mitte zum drittgrössten Absatzmarkt nach Hongkong und den USA.
Dem Boom trauen aber nicht alle Branchenkenner über den Weg. Gregory Pons, Betreiber des Online-Fachmagazins Business Montres & Joaillerie, bezeichnet es als Illusion, China als Retter des Marktes zu feiern. Dies, weil die Exportstatistiken weniger auf Verkaufs- denn auf Vertriebszahlen abstellten.
Zudem warnt Pons, dass Luxusuhren in China als Währung der Korruption gelten würden. «Heute wird der Besitz einer teuren Uhr missbilligt. Deshalb wird die Uhrenindustrie ihren Glanz rasch einbüssen», ist er überzeugt.
Exportrückgänge nach China im Dezember 2012 und im Februar 2013 scheinen dem Brancheninsider Pons Recht zu geben.
Kühle Köpfe
Jean-Daniel Pasche, Präsident des Verbandes der Schweizerischen Uhrenindustrie FH, bleibt aber gelassen. «Es macht keinen Sinn, sich auf Statistiken abzustützen. Die Zahlen sind einfach ein wenig schwächer als letztes Jahr», sagt Pasche gegenüber swissinfo.ch.
Auch Jean-Claude Biver, ehemaliger Chef der Luxusmarke Hublot, glaubt an die neue, kaufkräftige Konsumenten-Klasse aus Fernost. «In fünf Jahren wird China der grösste Markt für Luxusgüter sein, also auch für die Uhrenindustrie.»
Dafür spricht, dass China schon heute offiziell 1,1 Mio. Millionäre und rund 120 Milliardäre zählt.
Gegen trübe Aussichten spricht ferner, dass auch andere Märkte wachsen, namentlich die Golfstaaten und die USA. Dazu kommt ein robuster Binnenkonsum, wurden doch in der Schweiz im letzten Jahr Uhren für rund eine Mrd. Franken abgesetzt, wobei Touristen aus China und anderen Ländern eine grosse Rolle spielten. Als Folge hat sich die Zahl der Uhrengeschäfte in den Haupteinkaufsstrassen in Genf, Basel, Luzern und Zürich weiter erhöht.
«Wir liegen über den Vergleichszahlen von 2012, aber wir müssen wachsam bleiben und nicht in Euphorie verfallen», sagt Pasche in Anspielung auf den überhitzten Markt vor Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09.
Elizabeth Doerr, Journalistin mit Spezialgebiet Uhren, verweist auf die wachsende Zahl von opulenten Events und Reisen für Medienschaffende und die Wiedergeburt der «Monsteruhren». So nennt die Amerikanerin die «ultra-grossen» und «ultra-komplizierten» Uhren, die nie jemand am Handgelenk tragen werde. «Sie dienen als reines Statement ’schaut her, zu was wir fähig sind›.»
Hersteller entdecken die Langsamkeit
Die meisten Marken aber stellen Konsolidierung über Extravaganz. Bewusst tat genau dies François Bennahmias, CEO von Audemars Piguet. «Wir lassen die Produktionsmaschinen langsamer laufen, um unserer Marke eine weltweit stimmigere Präsenz zu verleihen. Künden wir ein neues Modell an, sagen wir für April, wollen wir es auch im April des genannten Jahres liefern können», so Bennahmias.
Patrik Hoffmann, Chef der unabhängigen Luxusmarke Ulysse Nardin, glaubt, dass beide Seiten, also Hersteller und Kunden, die Lektion aus der Krise gelernt hätten. «Der Wettbewerb um die Herstellung der kompliziertesten Uhr ist Vergangenheit, heute ist weniger mehr», sagt er zu swissinfo.ch. «Es gibt wieder mehr Markenbewusstsein. Für eine unbekannte Marke ist es heute schwieriger, den Markt mit einer verrückten Uhr erobern zu wollen.»
Integrierte Produktion als Schlüssel
Der Entscheid des verstorbenen Swatch-Bosses Nicolas Hayek, die Lieferung von mechanischen Uhrwerken des konzerneigenen Betriebs ETA auf Swatch-eigene Marken und ausgewählte Hersteller zu beschränken, hat die Lage insbesondere für kleinere Hersteller erschwert. Sie mussten sich nach anderen Lieferanten umsehen, deren Werke teurer sind. Das führte zu einem Anstieg der Preise im mittleren Segment, was wiederum einem Wettbewerbsnachteil gleichkommt.
Für einige aber lautet die strategische Devise Unabhängigkeit um jeden Preis. «Jene Marken, die auf eine Investition in ihre Produktionsanlagen vorbereitet waren, werden viel mehr Substanz haben. Und Substanz ist für jede Marke eine Garantie für eine erfolgreiche Zukunft», glaubt ex-Hublot-Chef Biver.
Biver hatte insofern vorgesorgt, als er die Produktion von hochwertigen Uhrwerken ins Hublot-Portfolio integrierte. Zum gleichen Zweck investierte Ulysse Nardin in den letzten zehn Jahren 80 Mio. Franken. Das Unternehmen wird an der Baselworld nicht einen Schwall neuer Uhrmodelle, sondern fünf neue Werke präsentieren.
Dabei geht es nicht nur darum, mit Ingenieurskunst zu beeindrucken. Vielmehr soll Kunden vor Augen geführt werden, dass eine Uhr ein Werk der Schönheit und mechanischen Faszination ist.
Laut Elizabeth Doerr wird die hohe technische Fertigkeit, welche den Ruf der Schweizer Uhrenhersteller seit Jahrhunderten ausmacht, auch der Schlüssel dazu sein, wie die Branche die Zukunft meistern wird. «Sie muss die Geschichte und die Romantik lebendig erhalten», lautet das Rezept der deutschen Branchenkennerin.
Sie stiegen 2012 auf 21,4 Mrd. Franken (+11% gegenüber 2011).
Das Wachstum 2011 war laut Branchenverband FH derart gross, dass es langfristig als «nicht nachhaltig» taxiert wurde.
Die Abflachung im Sommer 2012 wurde deshalb als «willkommene Verlangsamung» des Wachstums bezeichnet.
Im Februar 2013 sprach der Verband von einem starken Fundament für Wachstum und ermutigenden Entwicklungs-Aussichten.
Die Investitionen der Branche sind in der Schweiz sehr hoch, um mit der Produktion die steigende Nachfrage in den wachsenden Märkten zu decken.
Die Uhrenexporte umfassen mehrheitlich Armbanduhren, die im letzten Jahr 20,2 Mrd. Franken ausmachten. Die Stückzahl sank leicht auf 29,1 Mio. Einheiten oder -2,2%.
Der Preis pro Uhr stieg im Schnitt auf 693 Franken. Uhren unter 200 Franken (Exportpreis) machten 68% des Gesamtvolumens aus.
2012 verflachte sich das Wachstum des führenden Absatzmarktes Hongkong von über 30% auf 6,8%. China, nach den USA Exportmarkt Nr. 3, verzeichnete einen Wachstumsrückgang von 50% auf virtuell null Ende des Jahres.
(Quelle: Verband der Schweizerischen Uhrenindustrie FH)
(Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)
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