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Schweizer Wirtschaft und der Preis der Kontingente

Gut ausgebildete Fachkräfte sind in mehreren Branchen der Schweizer Wirtschaft Mangelware. Keystone

Wer soll die Lücken füllen, wenn Schweizer Unternehmer ab 2017 nur noch beschränkt Fachkräfte aus dem Ausland rekrutieren können? "Kein Regime ist gratis, sondern immer mit Kosten verbunden", warnt Urs Meister von der Denkfabrik Avenir Suisse. Unternehmer der SVP, welche die Kontingente an der Urne durchgebracht hatte, bleiben indes gelassen.


Mitglieder der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP), die eigene Unternehmen führen und dem Schweizer Parlament angehören oder angehört hatten, zieren sich gegenüber swissinfo.ch oder den Medien allgemein, sich zu möglichen Auswirkungen der Kontingentierung auf die eigenen Betriebe zu äussern. Peter Spuhler, CEO von Stadler Rail, Walter Frey, Chef der Emil Frey Gruppe (Auto-Importeurin), Logistikunternehmer Ulrich Giezendanner oder Hansjörg Knecht von der Knechtmühle AG: Allesamt wollen sie die Fragen des Journalisten nicht beantworten.

Auskunft gibt aber Jean-François Rime. Der Freiburger SVP-NationalratExterner Link und Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbandes (SGV) leitet in Bulle das Familienunternehmen SagerimeExterner Link, das eine Sägerei, eine Gartenbau- und eine Strassensicherheitsfirma vereint. Von den 100 Mitarbeitern stammten 35 aus dem Ausland, sagt Rime. «Aber ich habe nie Personal im Ausland geholt, sie sind von selbst in die Schweiz gekommen.» Trotz 35% Ausländeranteil rechnet Rime für seinen Betrieb nicht mit grösseren Nachteilen.

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Als Mann an der Spitze des SGV ist er bestens mit der Situation der Kleinen und Mittleren Unternehmen und deren wirtschaftlichem Umfeld vertraut. Die KMU machen laut dem KMU-Portal des Bundes über 99% der Schweizer Betriebe aus und beschäftigen 67% aller Arbeitenden. Um dem Fachkräftemangel besser beizukommen, appelliert Rime ans Gewissen der Patrons. «Besonders in Kantonen mit hoher Arbeitslosenquote haben die Unternehmen schon eine gewisse Verantwortung, Arbeitskräfte aus der Schweiz einzustellen.» Er nennt Neuenburg und Genf, die über 5% Stellenlose aufweisen, was auch höhere Sozialkosten bedeute. «Mit der Einführung der Kontingente werden sie dann dazu gezwungen sein», sagt Rime.

Klar ist für ihn auch: «Die Vergabe wird zu  Interessenskonflikten führen, denn Branchen wie Landwirtschaft, Bau, Gastronomie oder Pharma haben unterschiedliche Bedürfnisse.» Da müssten dann die Behörden entscheiden. Der SGV-Präsident bedauert, dass der Bundesrat in seinem Vorschlag vom Juni die Kontingentierung bereits bei Kurzaufenthaltern mit Arbeitseinsätzen ab 90 Tagen ansetzten will.

Den Einwand, keine der bisherigen in der Schweiz lancierten Fachkräfteinitiativen hätten je eine Wirkung gezeigt, kontert er. «Die Schweiz weist die höchste Erwerbsquote Europas auf, wie auch die höchste Quote an Erwerbstätigen über 60 Jahre.» Dennoch müsse die Wirtschaft innovative Lösungen finden. «Ältere Beschäftigte sind mit flexibleren Rentenmodellen länger im Arbeitsprozess zu behalten, Frauen müssen bessere Bedingungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie haben», ist für Jean-François Rime klar.

Nach dem Motto «Hilf dir selbst!»

Etwas anders präsentiert sich die Lage bei SVP-Nationalrat Hansruedi WandfluhExterner Link. Er führt in Frutigen im Berner Oberland in zweiter Generation das FamilienunternehmenExterner Link, das Teile und Geräte im Bereich Hydraulik und Elektronik herstellt. Von seinen 325 in der Schweiz Beschäftigten stammen weniger als 10% aus dem Ausland. «Wir rekrutieren unser Personal primär in der Region», erklärt Wandlfuh.

Fachkräftemangel macht aber auch ihm zu schaffen. «Dieser ist für uns ein stetes Problem, weil in der Schweiz keine Hydraulikfachleute ausgebildet werden. Wir bilden sie deshalb selbst aus.» Aktuell zählt sein Betrieb rund 30 Lehrlinge, sieben davon sind weiblich.

«In die Ausbildung investieren», lautet denn auch Wandfluhs Rezept gegen den Fachkräftemangel. «Viele Betriebe bilden keine Lehrlinge aus. Sie müssten motiviert werden, Ausbildungsplätze anzubieten. Dies aber nicht mit steuerlichen Anreizen, sondern mit Aufklärungsarbeit.» Mit einer solchen sollte insbesondere der Anteil an Frauen in technischen Berufen gesteigert werden. «Technik sollte den Mädchen bereits im Unterricht auf Stufe Sekundarschule schmackhaft gemacht werden», fordert der SVP-Politiker.

Probleme infolge der Beschränkungen beim freien Personenverkehr ab 2017 will er nicht ausschliessen. Doch sei es am Bundesrat, entsprechende Lösungen zu präsentieren, sagt Wandfluh.

«Gottvertrauen»

Gemäss Urs Meister von Avenir SuisseExterner Link, dem liberalen Think Tank der Schweizer Wirtschaft, dürften die Auswirkungen der Kontingente doch etwas schwerwiegender sein als von Rime und Wandfluh antizipiert. Im Hinblick auf 2017 nimmt er eine verbreitete «Overconfidence» wahr. «Man hofft allgemein auf eine wirtschaftsfreundliche Umsetzung der Zuwanderungsbeschränkung. Womöglich geht man in einigen Branchen auch davon aus, dass der politische Einfluss gross genug ist, um darüber hinaus von Ausnahmen oder Spezialkontingenten zu profitieren».

Entscheidend werde die absolute Höhe der Kontingente sein, denn diese bestimme den Schmerz. «Wird die Latte sehr hoch angesetzt, tut es niemandem weh. Bei Knappheit kommt es dagegen zum Verteilkampf.»

Einfache Rezepte wie etwa das Modell «First Come, First Serve» hält Meister für wenig effizient, «da sie keine sinnvolle Lenkungswirkung entfalten». Auch die Reservation von Kontingenten für Personen, die für kürzere Arbeitseinsätze ins Land kommen, oder deren Befreiung von der Einschränkung hält er für nachteilig, jedenfalls wenn dadurch die Restkontingente reduziert werden.

Die effizienteste Lösung besteht für ihn in einer Versteigerung der Kontingente mittels Auktion, wie er sie im Positionspapier «Gelenkte Zuwanderung»Externer Link vorschlägt, das er für Avenir Suisse mitverfasst hat.

«Eine administrative Verteilung der Kontingente bedeutet einen Gewinn für jene, die Arbeitskräfte erhalten und einen Verlust für jene, die leer ausgehen», resümiert Meister. «Bei der Auktion wird die Zuwanderung mit einem Preisschild versehen, wodurch diese automatisch in wertschöpfungsstarke Branchen gelenkt wird. Auch wäre damit ein automatischer Inländervorrang verbunden.»

Meister räumt ein, dass eine Auktion Branchen mit tieferer Wertschöpfung stärker belasten würden. «Doch könnten die Erträge so aufgeteilt werden, dass von den Nachteilen besonders stark betroffene Kantone einen grösseren Anteil aus dem Auktionstopf erhalten», schlägt er vor.

Für ihn ist aber sonnenklar: «Welches Modell der Bundesrat auch umsetzen wird: Jemand muss bei der Kontingentierung den Preis bezahlen. Kein Regime ist gratis, sondern immer mit Kosten verbunden.»

Blochers EMS Chemie rekrutiert im Ausland

Die Personenfreizügigkeit werde die Schweiz ruinieren, warnte Christoph Blocher vor der Abstimmung über die SVP-Initiative zur Einführung von Zuwandererkontingenten, die das Schweizer Stimmvolk am 9. Februar 2014 annahm.

Bei der Besetzung offener Stellen müsse wieder der Inländervorrang gelten, forderte der Chefstratege der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP).

Ausgerechnet sein Familienunternehmen Ems Group, das heute von seiner Tochter Magdalena Martullo-Blocher geführt wird, rekrutiert auch Personal im Ausland. Dies ergab eine Recherche der Schweizer Boulevardzeitung Blick.

Auf Online-Portalen wie kunststoffe.de und jobvector.de hat der Blocher-Konzern laut Blick kostenpflichtige Stelleninserate publiziert. Gesucht werden Ingenieure, aber auch Chemiker und Verkäufer.

Eine Überprüfung der digitalen Jobbörsen ergibt, dass der Sachverhalt zutrifft.

Auf die Frage, wie ernst ist es der Blocher-Familie wirklich mit dem Prinzip «Inländer zuerst» sei, antwortete Martullo-Blocher im Blick, dass für Ems der Inländervorrang gelte. Die in Deutschland publizierten Stelleninserate habe man zuerst in der Schweiz veröffentlicht. Man sei bestrebt, alle offenen Stellen in Domat/Ems mit Personen aus der Schweiz zu besetzen.

«Gelingt dies nicht, werden auch Bewerbungen aus dem Ausland berücksichtigt», ist sie zitiert.

Im Juni waren laut dem Staatssekretariat für Wirtschaft des Bundes (Seco) 1889 Schweizer Ingenieure, 588 Chemie- und Kunststoff-Fachkräfte und 15’262 Personen aus Handel und Verkauf ohne Stelle.

Fachkräftemangel

 Mehrere Branchen der Schweizer Wirtschaft leiden an einem Mangel an Fachkräften.

Beschäftigte aus dem Ausland haben wesentlich Anteil an der Produktivität und der Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft.

Fachkräftemangel ist auch eine Folge der Überalterung der Gesellschaft (wachsender Anteil von Älteren in der Bevölkerung).

Ohne Beschäftigte aus dem Ausland müsse ein Teil der Arbeit ins Ausland verlagert werden, warnte etwa Hans Hess, Präsident des Industrieverbandes Swissmem.

Sämtliche bisherigen Kampagnen von Wirtschaft und Politik, den Fachkräftemangel mittels Aktivierung des inländischen Arbeitskräftepotenzials zu kompensieren, brachten keine Besserung.

Zuletzt haben im Mai 2013 Bund, Kantone und Sozialpartner eine Fachkräfteinitiative lanciert. Das Potenzial wird darin auf knapp 1,75 Millionen neue Schweizer Fachkräfte geschätzt (1,5 Millionen durch Höherqualifizierung, 143’000 Frauen durch verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie 93’000 Personen über 55 Jahre durch flexiblere Rentenregelung).

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