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Coronavirus: Schweizer Börse im Sturzflug, Geldpolitik auf Steroiden

Die Wertvernichtung tangiert Pensionskassenguthaben: Passanten an der Zürcher Bahnhofstrasse diskutierten das Börsengeschehen. Keystone

Die Börsenkurse implodieren weltweit. Zur Rettung haben die Notenbanken ihre Geldschleusen geöffnet wie nie zuvor. Was ist geschehen? Und was macht jetzt die Schweizerische Nationalbank? Ein erklärender Blick auf turbulente Tage am Finanzmarkt. 

Der schweizerische Aktienmarkt stürzt ab. In vier Wochen verlor der Swiss Market Index SMI atemberaubende 27% an Wert. Die Finanzbranche traf es am härtesten: Die Credit Suisse wird noch zur Hälfte ihres Wertes von Mitte Februar gehandelt. Die Zürich Versicherungen und die UBS stehen ähnlich gebeutelt da.

Das betrifft auch die Schweizer Bevölkerung, weil ihre Pensionskassen- und Sparguthaben zu grossen Teilen in diesen Titeln investiert sind.

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Zur Rettung gesprungen sind bisher fast nur die Notenbanken. Es ist, als ob man nicht zwei Stunden auf den Balkon sitzen könnte, ohne eine neue Ankündigung einer Zentralbank zu verpassen.

Aber puh! – jetzt erst einmal tief durchatmen. Wir bieten einen Überblick über die wichtigsten Massnahmen der grossen Notenbanken und wagen einen Ausblick auf die Entscheide der Schweizerischen Nationalbank. Sie trifft sich am Donnerstag zu ihrer Lagebeurteilung. Zuerst aber ein Blick in die USA.

Federal Reserve Bank (Fed), Washington DC. Die amerikanische Notenbank Fed war die erste grosse Zentralbank, die auf die Bedrohung durch das Virus reagierte. Bereits am 3. März senkte sie die Zinsen ausserterminlich um 0.50 Prozentpunkte. Sie reagierte damit auf den Corona-Befall der US-Börsen. Innert nur sieben Handelstagen waren die Kurse dort um über 13 Prozent gefallen. Die Anleger verkauften ihre Aktien, weil sie die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Realwirtschaft bereits vorwegnahmen.

Nach der Zinssenkung stabilisierten sich die Kurse. Nach wenigen Tagen ging es aber wieder steil bergab. Donald Trumps Krisenmanagement hatte die Märkte nicht beruhigt. Es folgte nochmals ein Minus von 15 Prozent.

Das unglaubliche Angebot

Als Reaktion darauf entschied sich das Fed am 13. März zu einem Angebot von unglaublichem Ausmass: Die US-Notenbank offerierte dem Finanzsystem für eine gewisse Zeit über 5000 Milliarden Dollar, damit die Banken flüssig blieben. 5000 Milliarden ist dramatisch viel Geld, ungefähr so viel, wie in der Schweiz in zehn Jahren für den Konsum ausgegeben wird. 

Das Problem war: Die Banken haben das Geld nur in sehr geringem Masse nachgefragt. Ein Kamel kann man zum Wasser führen, trinken muss es selber. Die Banken haben nicht getrunken.

Börsensturz trotz geldpolitischer Bazooka

Es folgten zwei arbeitsintensive Tage und zwei unruhige Nächte für Jay Powell, den Präsidenten der US-Notenbank. Wie 2008 mussten er und sein Team über das Wochenende eine Lösung finden. Andernfalls drohte der Totalabsturz an den Börsen.

Am Sonntagabend, 22 Uhr Schweizer Zeit, feuerte das Fed die geldpolitische Bazooka ab: Nochmals eine Zinssenkung von einem ganzen Prozentpunkt. Dazu mehrere Liquiditätsmassnahmen und die Versicherung, in den nächsten Monaten 700 Milliarden Dollar in Form einer quantitativen Lockerung zur Verfügung zu stellen. Durch diese kann eine Notenbank dem Finanzwesen jede erdenkliche Geldmenge initiieren. Es kauft dabei den Banken Staatsanleihen für eine unbegrenzte Zeit ab. Die Banken machen mit, weil sie festlegen können, wieviel Liquidität (= Dollar) sie für eine Staatsanleihe bekommen wollen.

Gleichzeitig versprach das Fed, allen grossen Zentralbanken Dollar für den Heimmarkt zur Verfügung zu stellen. Damit wurde sichergestellt, dass auch ausländische Banken immer genügend Zugang zu Dollar-Liquidität hatten.

Trotz all dieser Massnahmen fielen die Kurse bei der Wiedereröffnung der Börsen am Montagmorgen um weitere 8%. 

Seit Mitte Februar hat die Wall Street über einen Viertel der amerikanischen Vermögenswerte vernichtet.

Alles zeigt nach unten: Händler am New York Stock Exchange Anfang März 2020. Copyright 2019 The Associated Press. All Rights Reserved


Europäische Zentralbank (EZB), Frankfurt. Während die US-Notenbank Fed früh handelte, hielt sich die Europäische Zentralbank lange zurück. Sie liess einzig verlauten, die Situation genau zu verfolgen.

Bis am letzten Donnerstag. Vornehmliches Problem sei die Liquidität im Bankensektor, sagte Christine Lagarde, die Vorsitzende der EZB. Deshalb sei die Notenbank bereit, weitere 120 Milliarden Euro zu drucken, um Staatsanleihen zu kaufen. Das erhöht die Eurobestände der Banken und reduziert die Liquiditätsprobleme im Finanzsektor.

Entgegen der Markterwartungen gab es jedoch keine Leitzinssenkungen.

Helikoptergeld für die Banken

Stattdessen eine Reduktion der TLTRO-III-Zinsen. Das tönt technisch, ist aber einfach: Über dieses Instrument leiht die EZB Gelder an die Banken aus. Die Banken können nun Geld zu -0.75% bei der EZB aufnehmen und sie dort zu -0.50% parkieren. Es ist faktisch ein Geldgeschenk der EZB an die Banken und hat grosse Ähnlichkeiten mit Helikoptergeld. Im Gegensatz zum idealen Helikoptergeld werden die Euros aber nicht über den Kulturbetrieben und Restaurants abgeworfen, sondern ausschliesslich über den Finanzhäusern.

Schweizerische Nationalbank (SNB), Zürich und Bern. Was macht die Schweizerische Nationalbank? Sie trifft sich am Donnerstag zu ihrer ordentlichen Lagebeurteilung. Grosse Zinsschritte sind kaum zu erwarten. Auch SNB-intern geht man dem Vernehmen nach davon aus, dass die Zinsuntergrenze bei -1.00% erreicht wäre.

Ökonomisch betrachtet sind weit tiefere Negativzinsen aufgrund des ausgeklügelten Freibetragregimes der Nationalbank denkbar. Politisch scheint das aber zunehmend schwierig. Mitunter wehren sich die Banken gegen die Negativzinsen, weil diese ihnen das Geldmachen erschweren.

Die Grenze der Währungsmarktinterventionen

Nichts tun ist aber keine Option. Die Nationalbank ist nämlich besorgt über den Wert des Frankens. Er hat sich in Jahresfrist um rund 7% auf fast 1.05 pro Euro aufgewertet. Das verteuert die Exporte der Schweiz.

Die Nationalbank kann eine Aufwertung des Schweizer Frankens verhindern, indem sie am Währungsmarkt interveniert. Das tut sie bereits in beachtlichem Ausmass. Alleine in der letzten Woche erhöhte sich dadurch der Bestand an ausländische Staatsanleihen in den Tresoren der Nationalbank um 4.4 Milliarden Franken. Das ist das Jahresbudget der schweizerischen Armee. Finanziert werden die Währungskäufe durch neues gedrucktes Geld.

Die gute Nachricht ist: Die Nationalbank kann so viel Geld drucken, wie sie möchte. Damit kann sie theoretisch jedem Aufwertungsdruck widerstehen. Allerdings stösst auch dieses Instrument an politische Grenzen. Die Bilanzsumme der SNB beläuft sich bereits auf 845 Milliarden Franken. In Relation zur Wirtschaftsleistung verwaltet sie damit die grösste Notenbankbilanz der Welt. Das weckt Begehrlichkeiten und ist ein Risiko.

  • Im Inland weckt es Begehrlichkeiten: Es mehren sich die Stimmen, die die Vermögen der Nationalbank für andere Zwecke verwenden möchten, beispielsweise für die AHV. Oder – damit ist zu rechnen – zur Bewältigung des kostspieligen Corona-Shutdowns, den die Schweiz nun auszustehen hat.
  • Aus den USA droht Ungemach. Länder, die ihre Währungen aktiv beeinflussen, droht dort die Aufnahme auf eine schwarze Liste.

Was also tun?

Die Geldschleusen sind offen und neue geldpolitische Massnahmen werden im Stundentakt verkündet.

Draussen ist es sonnig. Ich nehme mein Buch und setze mich wieder auf den Balkon. Ich hoffe, in den nächsten zwei Stunden nichts zu verpassen.

Der Autor Fabio CanetgExterner Link kommentiert das derzeitige Geschehen an den Finanzmärkten auch auf TwitterExterner Link.

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