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Sechs Gründe, warum die Schweiz weltweit zu den globalisiertesten Ländern gehört

Illustration zur globalisierten Schweiz
Helen James / SWI swissinfo.ch

Die Schweiz erreicht im Globalisierungsindex regelmässig die höchste Punktzahl. Ein datengestützter Blick auf die Gründe.

Die Konjunkturforschungsstelle KOF der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH Zürich) hat Anfang Dezember ihren «GlobalisierungsindexExterner Link» 2023 vorgestellt, der sich auf das Jahr 2021 bezieht.

Und auch in diesem Jahr steht die Schweiz mit einem Gesamtwert von 91 von 100 möglichen Punkten (100 entspricht einer «vollständigen» Globalisierung) an der Spitze als das am stärksten globalisierte Land der Welt, gefolgt von Belgien und den Niederlanden, die jeweils 90/100 erreichen.

In den letzten zehn Jahren haben diese drei Länder stets das Siegertreppchen gestellt.

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Die Schweiz schneidet auch bei anderen Messungen der globalen Vernetzung gut ab, wie dem DHL Global Connectedness IndexExterner Link, dessen neueste Version im Februar 2023 veröffentlicht wurde und in dem die Schweiz hinter den Niederlanden, Singapur und Belgien an vierter Stelle steht.

Wie aber kann ein Land, das keinen Zugang zum Meer hat und dessen bevölkerungsreichste Stadt nicht einmal 500’000 Einwohner:innen zählt, das am stärksten vernetzte Land der Welt sein?

Kann man die Globalisierung wirklich messen?

Es gibt verschiedene Definitionen der Globalisierung und somit auch verschiedene Möglichkeiten, sie zu messen. Einige Indikatoren versuchen, den Grad der Integration von Ländern in die globalen Warenströme zu quantifizieren, andere konzentrieren sich auf einige wenige wirtschaftliche und finanzielle Kriterien.

Der vom Forschungszentrum der ETH Zürich erstellte Index ist einer der am häufigsten zitierten, da er internationale Vergleiche und die Beobachtung von Entwicklungen seit 1970 ermöglicht.

Er aggregiert rund 40 Variablen, die nicht nur die wirtschaftliche Dimension der Globalisierung (insbesondere Handels- und Finanzströme), sondern auch die soziale (Migration, Tourismus, kulturelle Ausstrahlung usw.) und politische Dimension (z. B. Anzahl der internationalen Organisationen oder Botschaften) berücksichtigen.

«Globalisierung ist der Prozess der zunehmenden Verbindungen und gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen Ländern», stellt KOF-Experte Tim Reinicke fest. «Dies beschränkt sich nicht auf die wirtschaftliche Komponente, weshalb es wichtig ist, eine breitere Perspektive zu haben.» So haben alle drei Komponenten im Endergebnis das gleiche Gewicht.

Für jede dieser Dimensionen unterscheidet der Index zwischen dem Grad der tatsächlichen Globalisierung («de facto») und den Rahmenbedingungen («de jure»), die mehr oder weniger günstig sind (z. B. Zölle, Visaregeln oder die Teilhabe an internationalen Verträgen).

Wie jeder Index hat auch dieser seine Grenzen. So hängt die Auswahl der Variablen stark von den verfügbaren Daten ab. 

Während sich die wirtschaftliche Globalisierung mithilfe zahlreicher Statistiken quantifizieren lässt, ist der kulturelle Einfluss von Ländern auf andere Länder naturgemäss abstrakter. 

In diesem Punkt kann die Wahl bestimmter Indikatoren diskutiert werden, räumt Tim Reinicke ein. «Wir nehmen die Anzahl der McDonalds-Restaurants und IKEA-Geschäfte in den Index auf, was nicht unumstritten ist.»

Die KOF wurde für die Idee, eine Rangliste der Globalisierung zu erstellen, auch schon kritisiert, da einige darin ein Werturteil oder die Förderung des westlichen Lebensstils gesehen haben.

Die detaillierte Methodik, die Auswahl der Autor:innen und die vollständige Liste der Indikatoren können auf der KOFExterner Link-Website eingesehen werden.

1. Die Schweiz ist durch und durch globalisiert

Die Schweiz steht in keiner Dimension des Index an erster Stelle, erreicht aber in allen hohe Werte: 86,5/100 (8. Platz) für die wirtschaftliche, 90/100 (2. Platz) für die soziale und 96/100 (8. Platz) für die politische Dimension.

Andere Länder weisen ein gemischteres Profil auf, werden in einer Dimension sehr hoch, in einer anderen niedriger eingestuft werden. Dies gilt z. B. für Singapur, das wirtschaftlich am stärksten globalisiert ist, aber auf Platz 22 liegt, wenn man die soziale Globalisierung, und auf Platz 98, wenn man die politische Komponente betrachtet.

Die USA sind wirtschaftlich weniger (66/100), aber politisch sehr stark globalisiert (92/100).

2. Die Schweiz betreibt ausgeprägt starken Handel mit dem Ausland

Die KOF nennt den Aussenhandel der Schweiz, der Niederlande und Belgiens als einen der Hauptfaktoren für ihre hohe Platzierung in der wirtschaftlichen Globalisierung.

Laut der Weltbank Externer Linkmachen die Exporte von Waren und Dienstleistungen beispielsweise im Jahr 2021 über 70% des helvetischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus, was im internationalen Vergleich eine hohe Quote darstellt. Der Durchschnitt der Europäischen Union (EU) lag bei 50%, der weltweite Durchschnitt unter 30%.

Die Schweizer Exportwirtschaft basiert hauptsächlich auf Produkten mit hoher Wertschöpfung: Pharmazeutika und Chemikalien, Uhren und Maschinen.

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Auch der Anteil der Importe am BIP der Schweiz liegt mit 60% über dem Durchschnitt der Nachbarländer (31% in Frankreich, 42% in Deutschland, 47% im EU-Durchschnitt) und 28% weltweit.

Obwohl die Schweiz eine Art selektiven Protektionismus betreibt, insbesondere bei Agrarprodukten, gehört sie zu den offensten VolkswirtschaftenExterner Link, die den Aussenhandel Externer Linkkaum besteuern.

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Die Handelsintensität des Landes verdankt sich seiner geografischen Lage im Herzen Europas. Alle Länder der Top 10 sind europäische Länder und grösstenteils Mitglieder der EU, wodurch sie wirtschaftlich, sozial und politisch miteinander verbunden sind.

Auch die skandinavischen Länder, Deutschland, Österreich, das Vereinigte Königreich und Frankreich sind hier zu finden.

«Es handelt sich mehrheitlich um spezialisierte, industrielle und reiche Länder», sagt KOF-Experte Tim Reinicke. Die starke Verflechtung der europäischen Länder erklärt die Dynamik ihres Aussenhandels.

«Die Schweiz lässt viele ihrer pharmazeutischen Produkte in Slowenien herstellen, verkauft Maschinen an Deutschland, das wiederum Autos in die Schweiz verkauft.»

3. Die Schweiz zieht Geld aus aller Welt an

Ein weiterer wichtiger Pfeiler des hohen Globalisierungsgrades der Schweiz ist die internationale Attraktivität ihres Finanzplatzes und die Stabilität ihrer Währung, die laut KOF der Grund dafür sind, dass viel ausländisches Geld in der Schweiz ausgegeben oder angelegt wird.

«Die Schweiz spielt eine wichtige Rolle im globalen Finanzsektor», stellt Tim Reinicke fest. Sie ist eine der wichtigsten Plattformen für den Handel mit Rohstoffen, viel Geld wird über sie abgewickelt.» Auf regulatorischer Ebene ist die Schweiz Vertragspartei von 150 internationalen InvestitionsabkommenExterner Link, eine der höchsten Zahlen weltweit.

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Ein günstiger Nährboden für das Ökosystem multinationaler Unternehmen, von denen es in der Schweiz sehr viele gibt.

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4. Die Menschen sind sehr mobil

Neben den wirtschaftlichen Aspekten schneidet die Schweiz auch bei den meisten Indikatoren, die von der KOF zur Messung des Grades der Globalisierung der Menschen herangezogen werden, gut ab.

So ist sie beispielsweise nach Luxemburg das Industrieland mit dem höchsten Bevölkerungsanteil mit MigrationshintergrundExterner Link. Ein Viertel der in der Schweiz lebenden Bevölkerung sind Ausländer:innen, und fast 30% wurden im Ausland geboren.

Die Schweiz liegt zwar weit hinter Frankreich, dem weltweit grössten Reiseziel, ist aber ein Touristenmagnet Externer Link(fast 12 Millionen Ankünfte im Jahr 2019) und eines der OECD-Länder mit dem höchsten Anteil an Studierenden mit internationaler MobilitätExterner Link (fast 20%).

Weitere Beispiele: Die Schweiz gehört zu den Top 10 der Länder, von denen aus am meisten international telefoniert wirdExterner Link, und sie ist eines der Länder mit den besten internationalen FlughäfenExterner Link.

5. Die Schweiz steht im Zentrum der Weltordnungspolitik

Die höchste Punktzahl erreicht die Schweiz jedoch im Bereich der politischen Globalisierung. Mehr als 130 Botschaften und KonsulateExterner Link vertreten die Eidgenossenschaft weltweit.

Damit steht die Schweiz an 17. Stelle der absoluten Anzahl diplomatischer Vertretungen im Ausland (China führt die Rangliste mit 265 Stellen an).

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Im Gegensatz dazu beherbergt der Kleinstaat mit knapp neun Millionen Einwohner:innen über 70 ausländische diplomatische Vertretungen, zu denen noch die meisten ständigen Missionen (es sind beinahe 80) bei internationalen Organisationen hinzukommen.

Die Schweiz ist selbst Mitglied einer Reihe von internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen (UN), dem Europarat oder der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und beherbergt rund 40 dieser OrganisationenExterner Link, hauptsächlich in Genf, das auch eines der wichtigsten Zentren für die internationale Zusammenarbeit ist.

Belgien, das im Index an zweiter Stelle steht, beherbergt die europäischen Institutionen in seiner Hauptstadt Brüssel.

6. Es ist ein kleines Land

Die meisten der am stärksten globalisierten Volkswirtschaften sind klein und darum naturgemäss auch stärker von anderen abhängig.

Für Länder mit einem kleinen heimischen Markt, die oft nur über wenige natürliche Ressourcen verfügen, sind eine offene Wirtschaft und Verbindungen zu anderen fast eine Notwendigkeit, um global wettbewerbsfähig zu sein.

«Die USA oder Russland zum Beispiel können in ihrer Produktion autark sein und müssen sich nicht so stark mit anderen Ländern vernetzen», sagt Tim Reinicke. Sie sind auch nicht vom globalen politischen System abhängig, da sie ihr ‹eigenes System› sind.»

Die geringe Grösse eines Landes wirkt sich auch auf die Globalisierung der Menschen aus: Kurze Wege in die Nachbarländer und weniger nationale Attraktionen fördern beispielsweise den grenzüberschreitenden Tourismus. Es ist auch denkbar, dass die Versuchung, Grenzen zu überschreiten, grösser ist, wenn man in einem kleinen Land lebt.

Wird die Schweiz deglobalisiert?

Seit 1970 ist die zunehmende Globalisierung als allgemeiner Trend zu beobachten. Die KOF erklärt, dass historisch gesehen abrupte Anstiege und Rückgänge auf grosse internationale Ereignisse zurückzuführen waren.

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Hauptmotor der Globalisierung war der Zusammenbruch der Sowjetunion in den 1990er-Jahren. Die Finanzkrise 2007/08 störte diesen Prozess, da sie viele Länder dazu veranlasste, Massnahmen zugunsten der nationalen Volkswirtschaften zu ergreifen.

Die Covid-Pandemie führte ebenfalls zu einem starken Einbruch, von dem die Schweiz dank ihrer Pharmaexporte und der Rolle der Schweizer Industrie bei der Herstellung von Impfstoffen weitgehend verschont blieb; 2021 folgte eine Erholung des Konsums. Die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine sind noch nicht in den Index eingeflossen.

Nach Jahren eines allgemeinen Aufwärtstrends scheint sich jedoch ein Plateau abzuzeichnen. Geht die Globalisierung bald zurück? Die Frage ist umstritten, da einige Studien darauf hindeuten, dass es der Globalisierung weiterhin gut gehtExterner Link, während andere feststellen, dass die Welt in eine Ära der Deglobalisierung Externer Linkeingetreten ist oder dass sich die Globalisierung aufgrund der wachsenden Bedeutung der Entwicklungsländer verlagert hat.

Laut Tim Reinicke leidet die Weltwirtschaft noch immer unter den Schwierigkeiten nach der Pandemie wie Probleme in der Lieferkette, Engpässen und hohe Inflation. Die KOF lehnt es ab, eine Vorhersage zu treffen, wie sich dies in Zukunft auf die Positionierung der Länder zur Globalisierung auswirken wird.

Die Länder können zwei verschiedene Wege einschlagen, um krisenresistenter zu werden, sagt Reineke: entweder mehr für sich selbst produzieren, was die Wahl der grossen Länder sein dürfte (er nennt als Beispiel das von Donald Trump in den USA propagierte Prinzip «America First»), oder aber ihre internationale Vernetzung ausbauen, um besser geschützt zu sein.

SWI swissinfo.ch wird dem Thema der Deglobalisierung demnächst eine neue Serie widmen.

Aus dem Französischen übertragen von Marc Leutenegger.

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