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Seifenblasen aus Beton und Plastik

Futuristische Architektur, Kugeln und UFOs
Skizze von Pascal Häusermann, 1970 Collection Frac Centre-Val de Loire / Donation Pascal Häusermann

Illegal angebaute Kinderzimmer in Blasenform, Häuser, die aussehen wie Barbapapas, verschiebbare Kugelhäuser und archaische Kuppelbauten im Iran: Auch die Schweizer Architektur der Nachkriegszeit setzte auf das Experiment mit blasenartigen Gebilden aus Beton.

Einfach ein Zimmer mehr anbauen statt in eine grössere Wohnung ziehen? Vor 50 Jahren setzte ein Genfer Architekt diesen Traum vieler Mieter:innen in aller Radikalität um: Ende 1970 erwarten der 23-jährige Marcel Lachat und seine Frau ein Kind – aber der Wohnungsmarkt gibt keine grössere Wohnung her. Lachat weiss sich zu helfen und baut kurzerhand an. Mit Freunden hängt er eine blasenförmige Zelle aus Polyesteran die Fassade seiner Mietwohnung. Dadurch gewinnt er zusätzlichen Raum für ein gemütliches Kinderzimmer.

Was Lachat damals noch nicht wusste: Diese knappen 10 Quadratmeter würden in der Schweiz als  «anarchischer» Kinderzimmer-Anbau für viel mediale Aufmerksamkeit sorgen und die Blase wird bald auch wieder abgerissen.

Aufsehen erregt, dass Lachat es überhaupt wagt, die Blase an seine Mietwohnung zu hängen – erstaunlicherweise jedoch nicht die aus heutiger Sicht aussergewöhnliche Form: Experimente mit Bubble-Architektur boomen in den 1960er Jahren international.

Revolten der Form

Bereits in den 1940er-Jahren baute der amerikanische Architekt Wallace Neff Häuser, indem er einen Ballon aus Neopren mit Puder beschichtete und mit Spritzbeton übergoss. Neff baute international, im Senegal stehen bis heute 1500 Bubble Häuser nach seinen Entwürfen – nur auf dem Heimmarkt konnte er sich nicht durchsetzen. Als Massenprodukt für die westlichen Industrienationen schien das Bubble-Haus trotz seiner billigen und schnellen Bauweise nicht attraktiv genug – wo sollte man den auch die Möbel hinstellen bei runden Wänden!

Erst in den 1960er Jahren erhält die Idee einen aufrührerischen Spin. Die strenge Geometrie der modernistischen Städteplanung und ihr Funktionalismus erscheinen zunehmend als einengender Zwang. Der Städtebau für die Babyboomer-Gesellschaft ist auf Effizienz bedacht, zu wenig auf den einzelnen Menschen.

Aufblasbares Haus
Erstes Bubble Haus von Wallace Neff, 1941. Huntington Library, courtesy of Jeffrey Head

Wir befinden uns in einer Zeit, in der das Private als politisch erklärt wurde – gerade Einfamilien- und Ferienhäuser werden zu Orten, um das individuelle Aufbegehren auszudrücken. Dank Plastik und Spritzbeton, meint der Architekturkritiker Michel Ragon damals, sei es endlich möglich geworden, dass die Architektur mit Strukturen wie Skeletten, Spinnweben, Wassertropfen und Seifenblasen konkurrieren und sich «gegen das gewalttätige Schema der sechs Wände» auflehnen könne. Etliche Entwürfe der Zeit scheinen den geraden Linien der modernen Architektur mit organischen und biomorphen Formen geradezu zu entwachsen versuchen.

Neffs Bubble-Häuser stehen plötzlich in einer Traditionslinie mit Rudolf Steiners Goetheanum, den architektonischen Utopien von Hermann Finsterlin oder Visionen wie Buckminster Fullers futuristischer Dom-Architektur. Vor allem die Form der Blase vermittelt das Bild, dass hier eine ganz einzigartige Welt um ein ganz spezielles Individuum gespannt wird.

Als Symbol für die von stets vom Platzen bedrohten Träume und Illusionen passt sie ebenfalls bestens in die 1960er Jahre.

Anarchistische Interventionen

Auch die Genfer Blase ist nicht einfach nur ein Beispiel für die notorische Not, die so erfinderisch macht, sondern folgt einer radikalen Idee von Do-it-yourself-Architektur. Lachat hatte das «Manifest für eine aufständische Architektur» des französischen Architekten Jean-Louis Chaneac gelesen. Chaneac geht es nicht nur um Einfamilienhäuser mit Radical Chic, sondern um anarchistische Interventionen.

Drei Menschen in einer übergrossen Kugel aus Plastik
Im Mai 1971 jagte das experimentelle Architekturbüro Himmelb(l)au aus Wien in einer Plastikblase durch die Innenstadt der Stadt Basel. «Restless Sphere» hiess die Performance: Die Blase als revolutionäre Sphäre, die sich störend in die Öffentlichkeit einbrachte. Peter Schnetz

Der Traum ist eine Architektur ohne Architekten: Claude Costy meint 1981: «»Das Industriezeitalter hat zum Verschwinden des Selbstbaus und seiner Traditionen geführt. (…) In unserem ökologischen Zeitalter taucht die Möglichkeit, sich ein eigenes Zuhause zu schaffen, wieder auf.»

Skizze mit parasitären Anbauten
Cellules parasites, Jean-Louis Chanéac, 1968 Chanéac Parasitäre Zellen, 1968 Luftaufnahme Collection Frac Centre-Val de Loire / Donation Nelly Chanéac

Die Häusermanns hatten sich als Architekten diverser blasenartiger Gebäude bereits einen Namen gemacht. 1959 baut Pascal Häusermann in der Nähe Genfs, auf felsigem Grund ein erstes Häuschen.Die Grundstruktur liefert eine Blase aus Spritzbeton. 1967 erbaut er mit seiner Frau die bis heute zu besichtigende Siedlung «L’Eau de Vive» in Raon-l’Étape, Frankreich – die die der Form der Zeichentrickfiguren der Barbapapa Pate stand und im Jahr 2000 als Prototyp eines Hotels beworben wurde.

Ein Plan von Häussermann, Costy und Chaneac waren Siedlungen aus permanent frei agglomerierbaren «Domobiles» aus Plastik – in denen Wohnsituationen immer wieder neu arrangiert werden konnten. Man sollte sich keine neue Wohnung suchen, wenn sich Lebenssituationen änderten. Die Wohnung selbst sollte sich anpassen lassen.

Schweizer Bubbles im Iran

Mit dem Ölschock 1973 platzen sprichwörtlich auch die architektonischen Blasen. Das hat einerseits damit zu tun, dass die Blasen mit ihrer minimalen Isolation plötzlich als energetischer Luxus dastanden. Zudem wirken sie am Ende des Wirtschaftswunders mit ihrem formalen Enthusiasmus plötzlich wie vertrocknete Blumen im Haar von Althippies

Zwei, die weiterhin an die Blasenarchitektur glaubten, sind die Schweizer Justus Dahinden, ein Schweizer Architekt, der zur avantgardistischen «Groupe International de l’Architekture Prospective» gehört sowie der Ingenieur Heinz Isler, der seit den 1950ern mit aufwändigen Betonschalen-Konstruktionen experimentiert.

Mitten in der grössten Wirtschaftsbaisse seit 1945 fassen die beiden das Ziel, im Norden des Irans eine Stadt für 30’000 Einwohner zu bauen – aus Bubble-Häusern. 1976 wird eine erste Einheit in Amirabad gebaut. Erst die islamische Revolution verhindert den Bau der Bubble-Stadt Moghan.

bubble haus in iran
Von Islers Bubble-Häusern wurde im Iran nur ein einziges gebaut. Masih Mostajeran / Courtesy of CAOI.IR

Während sich Dahinden neuen Projekten zuwendet, versucht Ingenieur Isler daraus eine Geschäftsidee zu machen: Er gründet die «Bubble Systems AG» und versucht, die Häuser in der Schweiz zu verkaufen. Mit wenig Erfolg.

Wer heute in der Nähe von Burgdorf durch den Wald streunt, kann dort verwitterte Betonkugeln finden, die den einsamen Bauten im Iran gleichen. Doch während der Zwilling im Iran den traditionellen Kuppeln in der Region zu gleichen scheint, erinnert Islers Bubble-Haus im Lyssachschachen, verwittert und von Moos bewachsen, noch immer an die geplatzte Zukunft der Blasen aus Beton und Plastik.

Kugelförmige Bauten, moosüberwachsen
Heinz Islers Modellbauten bei Burgdorf David Aebi

Literatur: 

  • Raphaëlle Saint-Pierre: Maisons-bulles. Architectures organiques des année 1960 et 1970. Patrimoine 2015.
  • Leïla El-Wakil: Pascal Häusermann, une architecture libertaire pour délivrer le monde (Tracés 5/2017)
  • Matthias Beckh/Giulia Boller: Building with air: Heinz Isler’s bubble houses (Conference of the Construction History Society 2019)

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