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Sika-Verkauf: Test für Schweizer Firmenübernahme-System

Sika hat unter seinen Aktionären wenig Rückhalt. Keystone

Die von Groll begleitete geplante Übernahme der Sika, eines der erfolgreichsten Familienunternehmen der Schweiz, kann zum Teil auf eine rechtliche Besonderheit zurückgeführt werden. Und lässt Fragen aufkommen, was die Fairness der Schweizer Aktienstruktur angeht.

Die Bedenken richten sich gegen die Pläne der Nachfahren der Gründerfamilie Burkard, ihren Aktienanteil von 16% für einen stolzen Preis von 2,75 Mrd. Franken an den französischen Industriekonzern  Saint-Gobain zu verkaufen. Für Unruhe sorgt, dass dieser 16%-Anteil der Aktien 52% der Stimmen kontrolliert. Dazu kommt, dass den übrigen Aktionären aufgrund einer Hintertüre im Schweizer Börsengesetz wegen einer in den Statuten verankerten Opting-out-Klausel kein Kaufangebot unterbreitet werden muss, wie das sonst üblich und vorgeschrieben ist.

Diese Bedingungen zogen für die familienfremden Aktionäre, die 84% der Aktien halten, eine böse Überraschung nach sich: Nachdem die Pläne für den Verkauf des Familien-Aktienpakets bekannt geworden waren, sackte der Kurs der Aktie ab. Der Fall Sika scheint auch der allgemein empfundenen, wenn vielleicht etwas gar romantischen Vorstellung zu widersprechen, die Blutlinie einer Familienfirma würde ihr «Kind» gegen die Gier des Marktes verteidigen.

«Stimmrechtsprivilegierungen existieren, um Unternehmen und deren Kernaktionäre vor unfreundlichen Übernahmeangeboten zu schützen», erklärte Roby Tschopp, Geschäftsleiter des Vereins ACTARES, der sich für Aktionärsrechte und nachhaltiges Wirtschaften einsetzt, gegenüber swissinfo.ch. «Doch in diesem Fall sind die Leute, die als Hüter des Tempels fungieren sollten, jene, die das Unternehmen weggeben. Das ist ziemlich beunruhigend.»

In der Schweiz ist es nicht ungewöhnlich, dass börsenkotierte Firmen sogenannte duale Aktienstrukturen haben, das heisst, unterschiedliche Aktien ausgeben, darunter solche, die zwar Dividenden abwerfen, dem Aktionär aber nur ein begrenztes oder gar kein Stimmrecht geben. Solche Aktienstrukturen sind auch unter neuen Technologiefirmen wie Google oder Alibaba ein wachsender Trend.

Dies möge für Investoren das Richtige sein, die mehr Interesse an Dividenden hätten, als daran, die Strategie eines Unternehmens zu beeinflussen, erklärte Nadine Kammerlander vom Schweizerischen Institut für Klein- und Mittelunternehmen der Universität St. Gallen (KMU-HSG). «Der Kauf stimmrechtsloser Aktien kann seine Vorteile haben. Sie können weniger kosten und höhere Dividenden abwerfen. Zudem können Besitzer solcher Aktien im Fall eines Bankrottes einer weniger grossen Haftung ausgesetzt sein», sagte sie gegenüber swissinfo.ch.

Der Fall Sika zeigt jedoch auch die Fallstricke der Stimmrechts-Konzentration auf. Kammerlander rät Investoren, dass sie vor dem Kauf solcher Aktien abklären sollten, ob die Firmen gut funktionierende Family Offices hätten, die bei dynastischen Streitigkeiten als Schiedsrichter agieren und auch die Bedürfnisse der übrigen Aktionäre berücksichtigen würden.

Gesetzliche Lücke

Es ist eine bewusste Lücke in der Schweizer Gesetzgebung für Firmenübernahmen, die für Gesprächsstoff sorgte und Alarmglocken läuten liess. Der Deal mit Saint-Gobain sieht vor, dass die fünf Mitglieder der Burkard-Familie ihr Aktienpaket zu einem Aufpreis von 80% des Kurswertes verkaufen, während die grosse Mehrheit der Sika-Aktionäre bei dem Handel leer ausgeht.

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Die Schweizer Gesetzgebung sieht vor, dass ein automatisches Übernahmeangebot ausgelöst wird, wenn eine Partei mehr als einen Drittel der Stimmrechte eines Unternehmens anhäuft. Danach müssen sämtlichen Aktionären ähnliche Kaufangebote unterbreitet werden, so dass alle einen Teil der Beute einstreichen können.

Im Börsengesetz von 1998 wurden jedoch dann so genannte Opting-out und Opting-up-Klauseln eingeführt, angeblich, um eine bedeutende Zahl von mächtigen Familien zu beruhigen, die einige der renommiertesten Marken der Schweiz kontrollieren.

Diese Hintertüren erlauben es Unternehmen, entweder den Schwellenwert für das Auslösen einer automatischen Übernahme von einem Drittel der Aktien auf einen grösseren Anteil zu erhöhen (viele Unternehmen, darunter die von der Familie Hayek kontrollierte Swatch- Gruppe, haben einen Schwellenwert von 49%), oder diese Vorgabe gar ganz zu umgehen, wie im Fall Sika.

Die Schweizer Stiftung Ethos, die sich für nachhaltige Anlagen und Aktionärsrechte einsetzt, hat klar genug von diesem System und ruft Firmen dazu auf, freiwillig auf die Opting-out-Klausel zu verzichten.

«Wenn sie [Nachfahren der Gründerfamilien] dem Unternehmen wirklich ergeben sind, brauchen sie gar kein Opting-out. Dieses sichert nur ihnen finanzielle Vorteile», erklärte Ethos-Direktor Dominique Biedermann gegenüber der SonntagsZeitung.

Der Fall Sika hat auch verschiedene Politiker, darunter Pirmin Bischof von der Mitte-Rechts-Partei der Christlichdemokraten (CVP) und Jean-Christophe Schwaab von der Mitte-Links-Partei der Sozialdemokraten (SP), veranlasst, die Gültigkeit des aktuellen Systems in Frage zu stellen.

Rechtliche Reformen

Der Zufall will es, dass Politiker und andere interessierte Kreise zur Zeit über eine weit reichende Revision des Aktienrechts diskutieren, mit der sich das Parlament in naher Zukunft befassen wird. Bisher wurden die Fragen der dualen Aktienstruktur und der Opting-out-Klausel im Rahmen der Aktienrechtsrevision nicht diskutiert, aber einige Beobachter sind der Ansicht, sie sollten jetzt auch in die Rechtsreform eingebaut werden.

Das geltende System hat aber auch seine Unterstützer. Der Wirtschaftsdachverband economiesuisse hat sich jüngst mit der Frage befasst, ob das Prinzip «eine Aktie, eine Stimme» in seinen Code of Best Practice for Corporate Governance eingefügt werden sollte. Der Verband fand aber schliesslich keine Beweise dafür, dass dieses System besser funktionieren würde als die duale Struktur und verzichtete daher darauf, seinen Kodex zu ändern.  

Daniel Daeniker, Managing Partner bei der Wirtschaftskanzlei Homburger und Experte für Firmenübernahmen, erachtet den Fall Sika zwar als «beunruhigend», aber auch als eine Ausnahme in einem sonst gut funktionierenden System.

«Ist dies ein Ausreisser, der eine Änderung der Regeln rechtfertigt? Ich denke nicht», erklärte er gegenüber swissinfo.ch. «Grundsätzlich ist die Schweizer Gesetzgebung bekannt als flexibel gegenüber Eigenheiten einzelner Unternehmen. Es wäre schade, würde man diese Flexibilität als Resultat einer angekündigten Transaktion abschaffen, welche die Grenzen ganz klar ausgereizt hat.»

Andere Fachleute wiederum verweisen darauf, dass das System vielleicht nicht perfekt sein möge, aber mindestens transparent und klar ausgesteckt.

«Das Schimpfen und Murren des [Sika-]Vorstands ist gut gemeint, aber nicht viel mehr. Was hätte ihrer Meinung nach die öffentlichen Aktionäre schützen sollen? Familienehre? Die feudale Struktur von Sika ist in der Tat erschreckend. Aber es ist zu spät, Einspruch zu erheben, nachdem die Aristokraten den Bauern angetan haben, was Aristokraten den Bauern immer antun», schrieb die Financial Times in einem Leitartikel.

Verwaltungsrat und Management von Sika wurden am 5. Dezember zum ersten Mal auf den Deal der Burkard-Familie aufmerksam gemacht, ihren Aktienanteil von 16% (mit einem Stichrechtsanteil von 52,4%) an Saint-Gobain zu verkaufen. Verschiedene VR-Mitglieder und Manager sprachen sich sogleich gegen das Geschäft aus, worauf die Burkard-Familie eine dringliche Generalversammlung einberief, um die abweichenden Mitglieder des Verwaltungsrats mit handverlesenen Nachfolgern zu ersetzen.

«Ich war schockiert, als ich vom Verkauf erfahren habe», erklärte Sika-Verwaltungsrätin Monika Ribar gegenüber dem SonntagsBlick. «Wir haben im Verwaltungsrat und im Management nicht mit einem solchen Schritt des Hauptaktionärs gerechnet.»

Der Entscheid der Familie zum Verkauf erschien umso überraschender, als die Familie beim 100-Jahr-Jubiläum der Firma 2010 ihr langfristiges Engagement für Sika bekräftigt hatte. Doch dieses Engagement begann offenbar zu schwinden, nachdem die Hauptautorin dieser Erklärung, die Matriarchin der Familie, Franziska Burkard-Schenker, 2013 gestorben war.Seit die Verkaufspläne sind, erschienen in Schweizer Medien Berichte über Konflikte und Eifersüchteleien unter den fünf Geschwistern Burkard – der vierten Generation von Familiennachfahren des Sika-Gründers Kaspar Winkler. Die Medienberichte suggerieren, dass Meinungsunterschiede den Entscheid der Familie, zu verkaufen und dem Unternehmen den Rücken zu drehen, beschleunigt haben könnten. 

(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

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