Die wichtigsten Fragen zum Milliardenverlust der Nationalbank
Die Schweizerische Nationalbank hat 2022 einen Verlust von 132 Milliarden Franken gemacht und die Gewinnausschüttungen an den Bund und die Kantone ausgesetzt. Was bedeutet das genau? Und wie steht sie im internationalen Vergleich da?
Die Nationalbank hat im letzten Jahr so viel Geld verloren wie noch nie. Und damit ist sie nicht alleine: Überall auf der Welt haben die Zentralbanken im letzten Jahr hohe Verluste eingefahren. Die Folge: In vielen Ländern fliesst dieses Jahr kein Geld von den Zentralbanken an die Regierungen.
Setzen auch andere Zentralbanken ihre Gewinnausschüttungen aus?
Ja. Neben der Schweizerischen Nationalbank zahlen in diesem Jahr beispielsweise die Deutsche BundesbankExterner Link und die niederländische ZentralbankExterner Link keine Gewinne aus, ebenso wie die meisten regionalen Ableger der amerikanischen FedExterner Link.
In GrossbritannienExterner Link wird gar erwartet, dass über die nächsten zehn Jahre verteilt 230 Milliarden Pfund, rund 260 Milliarden Franken, vom Finanzdepartement an die Bank of England fliessen werden. In SchwedenExterner Link wäre das gemäss der neusten Vereinbarung zwischen der Zentralbank und der Regierung ebenfalls möglich, und zwar dann, wenn das Eigenkapital der Riksbank unter 20 Milliarden Kronen, was rund 1,8 Milliarden Franken entspricht, fallen sollte.
Wie hoch ist der Verlust der Schweizer Nationalbank im historischen Vergleich?
Lange bewegten sich die Gewinne und Verluste der Nationalbank im einstelligen Milliardenbereich. 2007 gab es zum Beispiel einen Gewinn von rund 8 Milliarden Franken, gefolgt von einem Verlust von 4,7 Milliarden Franken. Seither schwanken die Gewinne und Verluste deutlich stärker. Auf den Rekordgewinn von 54 Milliarden Franken im Jahr 2017 folgte schon bald der Rekordverlust von 132 Milliarden Franken im letzten Jahr. Der durchschnittliche Jahresgewinn seit 2005 beträgt 3,5 Milliarden Franken.
Wieso schwankten die Jahresergebnisse seit einigen Jahren so stark?
Der Grund für die grossen Schwankungen ist die Grösse der Nationalbank-Bilanz. Die ist seit 2007 von weniger als 130 Milliarden Franken auf zwischenzeitlich über 1000 Milliarden Franken angewachsen. In Franken ausgedrückt ist ein Gewinn oder Verlust von 1% heute also grösser als früher.
Weshalb ist die Bilanzsumme der Nationalbank so stark gestiegen?
Die Bilanzsumme der Nationalbank ist vor allem deshalb so stark gestiegen, weil die Bank zwischen 2007 und 2021 eine übermässige Frankenaufwertung verhindern wollte. Das hat die Nationalbank gemacht, indem sie ausländische Währungen gekauft hat.
Wieso hat die Nationalbank im letzten Jahr so einen grossen Verlust gemacht?
Erstens machte die Nationalbank im letzten Jahr ein Minus, weil 2022 viele Aktien- und Anleihekurse eingebrochen sind. Zweitens verloren die vielen ausländischen Anlagen der Nationalbank an Wert, weil beispielsweise der Euro gegenüber dem Franken an Wert verloren hat.
Wie ist die Gewinnausschüttung an den Bund und den Kantonen geregelt?
Die Nationalbank bildet aus einem Teil ihrer Gewinne eine sogenannte Ausschüttungsreserve; dabei entscheidet sie, wie viel Geld in diese Reserve fliesst. Was in den Ausschüttungsreserven liegt, wird grundsätzlich ausbezahlt. Allerdings werden auch die Verluste den Ausschüttungsreserven belastet. Die Ausschüttungsreserven können also auch negativ werden.
Sind die Ausschüttungsreserven nach der Gewinn- oder Verlustverbuchung negativ, darf es nach dem Gesetz keine Ausschüttungen geben. In diesem Fall spricht man von einem Bilanzverlust. Für das abgelaufene Jahr beträgt dieser 39 Milliarden Franken. Die Gewinnausschüttungen an den Bund und die Kantone sind darum bis auf weiteres ausgesetzt.
War die Gewinnausschüttung von 2010 widerrechtlich?
2010 hat die Nationalbank 2.5 Milliarden Franken an den Bund und die Kantone überwiesen, obwohl sie einen Bilanzverlust auswies und die SNB auf Anfrage bestätigt: «Die gesetzliche Regelung lässt keine Ausschüttung zu, wenn kein Bilanzgewinn vorhanden ist.» Seither hat sich die gesetzliche Grundlage nicht verändert. War die Auszahlung von 2010 also widerrechtlich? Die SNB schreibt: «Der Aspekt, dass eine Ausschüttung einen Bilanzgewinn voraussetzt, wurde im Rahmen der Neugestaltung der Ausschüttungsvereinbarung zwischen Bund und SNB im Jahr 2011 berücksichtigt.»
Offensichtlich hat die SNB diese Regelung vorher anders ausgelegt. Darauf deutet auch, dass es 2011 eine «rechtliche Überprüfung» der Ausschüttungspraxis gab, wie die SNB mitteilt. Verantwortlich für die Ausschüttung von 2010 war unter anderem auch der aktuelle SNB-Präsident Thomas Jordan, damals Vize-Präsident der Nationalbank.
Was ist die Gewinnausschüttungsvereinbarung?
Das Finanzdepartement und die Nationalbank verhandeln in regelmässigen Abständen, wie viel Geld die Nationalbank jährlich auszahlt. In der aktuell gültigen Gewinnausschüttungsvereinbarung steht: Wenn in den Ausschüttungsreserven mehr als 40 Milliarden Franken liegen, werden davon 6 Milliarden Franken ausgeschüttet; dabei erhalten die Kantone zwei Drittel des Geldes und der Bund einen Drittel.
Ist die Ausschüttungsreserve negativ, gibt es nichts. Dazwischen gibt es Abstufungen.
Wie viel vom Nationalbankgewinn haben der Bund und die Kantone seit 2005 erhalten?
Seit 2005 hat die Nationalbank einen kumulierten Gewinn von 63 Milliarden Franken erzielt. Davon ausbezahlt hat sie rund 42 Milliarden Franken.
Wo geht der Rest des Gewinns hin?
Ein beträchtlicher Teil der Nationalbankgewinne landet nicht in den Ausschüttungsreserven, sondern in den sogenannten «Rückstellungen für Währungsreserven». Mittlerweile belaufen sich diese auf rund 105 Milliarden Franken.
Die Nationalbank interpretiert die «Rückstellungen für Währungsreserven» als Zielgrösse für ihr Eigenkapital. Auch darum werden die Verluste der Nationalbank nicht den Rückstellungen belastet, sondern den Ausschüttungsreserven. Die Höhe und die Funktion der «Rückstellungen für Währungsreserven» wird sowohl im ParlamentExterner Link als auch von Teilen der WissenschaftExterner Link kritisiert.
Was bedeuten die negativen Ausschüttungsreserven für künftige Ausschüttungen?
Gemäss aktuell gültiger Gewinnausschüttungsvereinbarung wird die Nationalbank erst dann wieder Zahlungen an den Bund und die Kantone machen, wenn die Ausschüttungsreserven über 2 Milliarden Franken liegen. Das bedeutet: 2023 müsste sie einen Gewinn von mindestens 52 Milliarden Franken machen, sonst gibt es auch im nächsten Jahr nichts. Das deshalb, weil eine interne Regelung vorsieht, dass vom Gewinn zuerst rund 11 Milliarden Franken an die «Rückstellungen für Währungsreserven» fliessen müssen, bevor mit dem Rest die Ausschüttungsreserve alimentiert wird.
Was ist das Eigenkapital der Nationalbank?
Das Eigenkapital ist das Nettovermögen der Nationalbank, also der Wert aller Anlagen abzüglich der Schulden. Das Eigenkapital der Nationalbank beträgt aktuell rund 66 Milliarden Franken. Dieser Wert setzt sich zusammen aus dem Aktienkapital von 25 Millionen Franken, den «Rückstellungen für Währungsreserven» von rund 105 Milliarden Franken und der Ausschüttungsreserve von -39 Milliarden Franken.
Was ist die Eigenkapitalquote der Nationalbank?
Die Eigenkapitalquote berechnet, wie hoch das SNB-Eigenkapital ist relativ zum Wert ihrer Anlagen. Aktuell liegt die Eigenkapitalquote bei ungefähr 7%.
Das heisst: Macht die Nationalbank auf ihren Anlagen einen weiteren Verlust von 7%, wird ihr Eigenkapital negativ. Die Schulden der Nationalbank sind dann höher als ihre Vermögen.
Wie steht die Schweizer Nationalbank im internationalen Vergleich da?
Das Eigenkapital der SNB hat sich im internationalen Vergleich zuletzt ähnlich entwickelt wie das von anderen Zentralbanken. Die Schwedische ZentralbankExterner Link hat dazu erst kürzlich ausgewählte Zahlen veröffentlicht. Die zeigen: In Australien (– 2%), Neuseeland (3%) und in den USA (1%) liegt die Eigenkapitalquote der Zentralbanken deutlich tiefer als in der Schweiz; in Schweden (10%) und den Niederlanden (8%) nur unwesentlich höher.
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