So schafft man es in einen Verwaltungsrat
Verwaltungsräte sind oberstes Aufsichts- und Gestaltungsorgan von Aktiengesellschaften. Doch was tun sie genau? Im Interview spricht Cornelia Ritz Bossicard, Präsidentin vom Verband swissVR, über Führungsaufgaben, Doppelfunktionen und Frauenquoten.
Von lokalen Kleinunternehmen bis zu globalen Konzernen: In der Schweiz existieren über 100’000 Aktiengesellschaften. Geführt werden sie von Verwaltungsräten. Doch was tun die genau? Wie werden neue Mitglieder rekrutiert und wie steht um Gleichberechtigung?
Cornelia Ritz Bossicard hat die Antworten. Sie ist Präsidentin des Verbandes swissVR, der die Kompetenzen in Schweizer Verwaltungsräten stärken will, sei es durch Erfahrungsaustausch, Unternehmensbesuche, Umfragen, Publikationen oder Weiterbildungsangebote.
Nach ihrem Masterabschluss in Betriebswirtschaftslehre an der HEC Lausanne und der Freien Universität Berlin arbeitete Cornelia Ritz Bossicard fast 20 Jahre lang im Bereich Wirtschaftsprüfung bei PwC in Lausanne, Zürich und im Silicon Valley in den USA. Sie ist derzeit in mehreren Verwaltungsräten tätig, unter anderem von IVF Hartmann und Läderach. Zudem ist sie Präsidentin des Stiftungsrats der Cäsar-Ritz-Niederwald-Stiftung, Mitglied der Verwaltung des Migros-Genossenschaftsbundes und Mitglied des ETH-Rats. Seit 2018 ist sie Präsidentin des Verbands swissVR.
swissinfo.ch: Cornelia Ritz Bossicard, was sind die Hauptaufgaben von Verwaltungsräten?
Cornelia Ritz Bossicard: Laut Gesetz haben Verwaltungsräte sieben unübertragbare Aufgaben. Drei davon würde ich besonders unterstreichen: Erstens die Festlegung der Unternehmensstrategie. In anderen Ländern wie etwa in Deutschland liegt diese Verantwortung bei der Geschäftsleitung und nicht beim Verwaltungsrat. Zweitens die Bestimmung der Organisation, vor allem die Ernennung des CEO. Drittens die Finanzkontrolle, insbesondere die Pflicht, im Falle einer Überschuldung unverzüglich ein Gericht zu informieren; dies ist übrigens eine weitere Schweizer Besonderheit.
Welche Fähigkeiten und Eigenschaften muss ein Verwaltungsratsmitglied haben?
Es muss über strategische Fähigkeiten, Führungsqualitäten und Finanzkenntnisse verfügen. Darüber hinaus sollten alle Mitglieder gemeinsam spezifische Kenntnisse haben, die den Bedürfnissen des Unternehmens entsprechen, zum Beispiel über den digitalen Wandel. Natürlich ist es auch wichtig, dass alle am selben Strick ziehen und ein gutes Team bilden.
Welche Unterschiede bestehen zwischen den Verwaltungsräten eines mittelgrossen Familienunternehmens, eines Start-ups und eines internationalen, börsennotierten Konzerns?
Alle Verwaltungsräte stehen grundsätzlich vor denselben Herausforderungen. Ihre Rolle variiert jedoch ein wenig, insbesondere in Abhängigkeit von der Aktionärsstruktur und den Finanzierungsmodalitäten. Bei einem kleinen Unternehmen mit nur einem Anteilseigner und ohne Schulden hat der Verwaltungsrat in erster Linie eine beratende Funktion. Bei einem KMU mit Minderheitsaktionären ist es seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Interessen aller Aktionäre geschützt werden. Bei börsennotierten Unternehmen muss er natürlich mit den besonderen Regeln der Börse vertraut sein, insbesondere was die finanzielle Transparenz, Ad-hoc-Mitteilungen und Insiderhandel betrifft.
In den USA oder Frankreich ist es üblich, dass ein und dieselbe Person CEO und Vorsitzender des Verwaltungsrates ist. Wie sieht es in der Schweiz aus?
Rechtlich ist eine solche Doppelfunktion möglich, ausser etwa bei Banken. Empfehlenswert ist es aber nicht, denn Präsidium und Geschäftsleitung sind an sich eher einsame Jobs, sodass ein «Tandem» Sinn macht.
Bei Start-ups ist es verständlich, dass beide Positionen von ein und derselben Person besetzt werden, in der Regel vom Gründer und Hauptaktionär. Im Fall von familiengeführten KMU ist eine solche Doppelfunktion ebenfalls nicht ungewöhnlich. Bei grossen Unternehmen aber, insbesondere bei börsennotierten, ist dies selten der Fall.
Wenn es unbedingt notwendig ist, sollte diese Doppelrolle durch die Anwesenheit eines unabhängigen Hauptverwaltungsratsmitglieds ausgeglichen werden.
Bei einer Schweizer Aktiengesellschaft muss mindestens eine vertretungsberechtigte Person in der Schweiz ansässig sein. Warum ist das so?
In einer Schweizer Aktiengesellschaft können alle Direktor:innen, Verwaltungsratsmitglieder oder Aktionäre Ausländer:innen sein. Mindestens ein unterschriftsberechtigtes Mitglied des Verwaltungsrats oder ein Direktor respektive eine Direktorin muss aber in der Schweiz wohnen. Meiner Meinung nach wollten die Gesetzgeber so sicherstellen, dass die Unternehmen zumindest einen minimalen Bezug zur Schweiz haben. Zudem ist es wichtig, dass die Justiz im Falle eines Problems auf eine verantwortliche Person zugreifen kann, die physisch anwesend ist.
In einigen Ländern wird die Präsenz ausländischer Verwaltungsratsmitglieder in grossen Unternehmen gesetzlich gefördert. Wie sieht das in der Schweiz aus?
Das Schweizer Recht schweigt zu diesem Punkt, aber die Frage stellt sich auch nicht wirklich. Laut dem jüngsten Schilling-Bericht sind in den 92 grössten Schweizer Unternehmen 36% der Verwaltungsratsmitglieder Ausländer:innen. Dieser Prozentsatz steigt auf 61%, wenn man die 20 grössten an der Schweizer Börse notierten Unternehmen betrachtet.
Bei börsennotierten Unternehmen fordert das Gesetz einen Mindestanteil von 30% Frauen in den Verwaltungsräten, aber nur 20% in den Führungsgremien. Wie lässt sich dieser Unterschied erklären?
Der Unterschied zwischen diesen beiden Prozentsätzen mag erstaunen, aber es ist leichter, ein Mitglied des Verwaltungsrats als ein Mitglied der Geschäftsleitung von aussen zu rekrutieren.
Trotz eines Rekordanstiegs bei den Ernennungen von Frauen im letzten Jahr liegt ihr Anteil in den Verwaltungsräten der wichtigsten börsennotierten Schweizer Unternehmen nur bei knapp über 30%. Sind Sie für Frauenquoten?
In den Verwaltungsräten ist die Vielfalt von entscheidender Bedeutung und es ist wichtig, dass die unterschiedlichsten Profile, also Kompetenzen, Alter, Nationalität, Geschlecht und so weiter, zusammenkommen.
Ich bin jedoch vor allem davon überzeugt, dass jedes Unternehmen die Freiheit haben sollte, die Vielfalt zu wählen, die am besten zu ihm passt. Deshalb bin ich keine Befürworterin von Frauenquoten.
Wie finden Unternehmen Kandidat:innen für ihre Verwaltungsräte? Inwiefern können auch Auslandschweizer:innen berücksichtigt werden?
Die Vorschläge stammen in der Regel von aktuellen Verwaltungsratsmitgliedern, Aktionären und CEOs. Eher selten nehmen Unternehmen die Dienste von Headhuntern oder Online-Plattformen in Anspruch.
Es ist nicht üblich, dass Verwaltungsratsmandate ausgeschrieben werden. Wenn ein Schweizer Unternehmen beispielsweise den US-Markt erobern will, ist es natürlich sinnvoll, dass eine Person mit Schweizer Staatsbürgerschaft und Wohnsitz in den USA als Kandidat in Frage kommt. Bei börsennotierten Unternehmen wird in der Regel sehr diskret nach neuen VR-Mitgliedern gesucht, da es dort wichtig ist, nicht von den Regeln der Ad-hoc-Mitteilung abzuweichen.
Können Verwaltungsratssitzungen im Ausland oder sogar virtuell abgehalten werden? Können die Protokolle in einer Fremdsprache verfasst werden?
Das Schweizer Recht ist in diesen Punkten flexibel. Wenn es die Statuten erlauben, können Sitzungen durchaus im Ausland stattfinden oder per Videokonferenz übertragen werden, und es können sogar Beschlüsse auf dem schriftlichen Weg gefasst werden.
Protokolle können in Fremdsprachen geschrieben werden. Wenn jedoch Auszüge an Schweizer Behörden weitergeleitet werden müssen, etwa um ein kantonales Handelsregister über die Wahl eines neuen Verwaltungsratsmitglieds zu informieren, müssen diese Auszüge grundsätzlich in der Sprache des betreffenden Kantons verfasst werden.
Adaptiert aus dem Französischen: Christoph Kummer
Christoph Kummer
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