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So wirken sich die Russland-Sanktionen auf Schweizer Banken aus

Illustration about banking and sanctions between Russia, Switzerland and Europe
Illustration: helen James / SWI swissinfo.ch

Die beispiellosen weltweiten Sanktionen gegen russische Oligarchen und Unternehmen machen dem Schweizer Finanzplatz zu schaffen. Russische Superreiche verlagern ihr Geld in andere Länder, vor allem in den Nahen Osten, und zweifeln am Wert der Schweizer Neutralität.

In ihrem Global Wealth Report 2023 spricht die Boston Consulting Group (BCG) von einem «signifikanten Exodus russischer Vermögen aus Europa in den Nahen Osten». Das widerspiegelt sich in einem Anstieg der in den Vereinigten Arabischen Emiraten deponierten Vermögen um 100 Milliarden Dollar (88 Milliarden Franken) im vergangenen Jahr – das schnellste jährliche Wachstum aller Offshore-Vermögenszentren.

Auf der anderen Seite stellten die G7-Staaten, namentlich die USA, in Frage, ob die Schweiz alles in ihrer Macht Stehende unternehme, um russische Gelder in ihren Banktresoren aufzuspüren. Die G7 hat die Schweiz wiederholt aufgefordert, der Taskforce zum Aufspüren russischer Oligarchengelder beizutreten.

Schweizer Banken beklagen, dass sie zwischen den Fronten stehen und zusätzlich zu den bereits bestehenden Vorschriften zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Geldwäscherei mit noch mehr Papierkram belastet würden.

«Die Widersprüche zwischen den Sanktionsregimen [der USA, der EU und Grossbritanniens] führen immer wieder zu grossen Umsetzungsschwierigkeiten und unnötigen Compliance-Risiken», sagte Philipp Rickenbacher, Geschäftsleiter der Bank Julius Bär und Präsident der Swiss Wealth Management Association, auf einem Private-Banking-Gipfel im Juni.

Flickenteppich von Sanktionen

Der Flickenteppich von Sanktionen ist eine besondere Herausforderung für Banken mit mehreren Niederlassungen im Ausland. Sie tragen das zusätzliche Risiko, in jedem Land, in dem sie tätig sind, mit lokalen Banken zusammenarbeiten zu müssen – von denen jede ein Auge zudrücken könnte, wenn es um bestimmte Sanktionen geht.

Der Fall des in der Schweiz lebenden russischen Milliardärs Oleg Tinkow zeigt, wie schwierig es ist, Sanktionen gegen Banken durchzusetzen. Grossbritannien war das einzige Land, das Sanktionen gegen Tinkow verhängte, die kürzlich wieder aufgehoben wurden.

Alle westlichen Länder verhängten jedoch Sanktionen gegen die von ihm gegründete Bank Tinkoff, die er später an einen anderen russischen Oligarchen verkaufen musste.

Die Schweiz hat sich für die Übernahme der EU-Sanktionen entschieden. Und sie hat keine andere Wahl, als die US-Sanktionen zu übernehmen, die aufgrund der Macht des Dollars und des US-Finanzsystems eine extraterritoriale Wirkung haben.

Anstatt solche Massnahmen leichtfertig zu übernehmen, sollte die Schweiz in Zukunft aktiv versuchen, globale Sanktionspakete so zu beeinflussen, dass sie ihrer nationalen Agenda entsprechen, argumentieren Schweizer Bankiers.

Sie ärgern sich vor allem über die Forderung der EU, dass Russinnen und Russen ohne Staatsbürgerschaft oder Wohnsitz in der EU oder der EFTA (Schweiz, Norwegen, Liechtenstein und Island) alle Einlagen über 100’000 Euro (95’600 Franken) registrieren müssen.

«Die Schweiz war auf diese Sanktionen nicht vorbereitet, weil nur die USA und die EU gemeinsam darüber gesprochen haben», sagt Grégoire Bordier, Präsident der Vereinigung Schweizerischer Privatbanken, gegenüber SWI swissinfo.ch.

Internationale Taskforce

«In einer geopolitisch vielfältigeren Welt muss man sich darüber im Klaren sein, dass die Zukunft wahrscheinlich mehr Überraschungen bereithält. Es wäre ein grosser Vorteil, Teil einer globalen Taskforce zu sein, da man so die Diskussionen mitgestalten kann, anstatt nur der Meute zu folgen», so Bordier weiter.

Ein solches Gremium existiert bereits in Form der von den G7-Staaten – darunter die USA und die Europäische Union (EU) – eingerichteten Taskforce «Russian Elites, Proxies and Oligarchs» (REPO).

Der Einmarsch Russlands in der Ukraine führte zu einer Reihe von Sanktionen der Europäischen Union, der Vereinigten Staaten und der G7-Staaten gegen russische Personen und Unternehmen. Die Schweiz hat sich an der EU orientiert und im März ihr zehntes Sanktionspaket umgesetzt.

Das hat die internationale Gemeinschaft – darunter Nichtregierungsorganisationen und seit kurzem auch die G7 – nicht davon abgehalten, die Schweiz dafür zu kritisieren, dass sie nicht genug tut. Sie bemängeln vor allem den geringen Umfang der in der Schweiz eingefrorenen russischen Vermögenswerte und argumentieren, dass sie die Sanktionen besser durchsetzen könnte.

In dieser Serie untersuchen wir, welche Schritte die Schweiz unternommen hat, um den internationalen Standards zu entsprechen, und wo sie hinterherhinkt. Wir hinterfragen die Gründe für Sanktionen und deren Folgen für in der Schweiz ansässige Rohstoffhändler. Ausserdem analysieren wir russische Vermögenswerte in der Schweiz und erfahren, wie einige Oligarchen die Sanktionen umgehen.

Niemand scheint genau sagen zu können, wie viel Geld reiche Russinnen und Russen in der Schweiz gebunkert haben. Die Schweizerische Bankiervereinigung schätzt die Summe auf rund 150 Milliarden Franken. Im Vergleich zu den 2,2 Billionen Franken Offshore-Vermögen, die von Schweizer Banken verwaltet werden, sind das weniger als 10%.

Die Meldepflicht für Einlagen von Russinnen und Russen ohne EU- oder EFTA-Bezug über 100’000 Euro brachte 46 Milliarden Franken ans Licht. Die Schweiz hat 7,5 Mrd. Franken an sanktionierten russischen Bankguthaben sowie rund 15 Liegenschaften gesperrt.

«Die spärlichen Informationen über russische Vermögenswerte in der Schweiz deuten darauf hin, dass die Behörden nicht aktiv genug nach versteckten Geldern sanktionierter Personen suchen», sagt Martin Hilti, Direktor von Transparency International Schweiz, gegenüber SWI swissinfo.ch. «Sie sollten die Sanktionen proaktiv umsetzen, indem sie sich internationalen Taskforces anschliessen.»

Die Schweiz hat diese Art der internationalen Zusammenarbeit bisher abgelehnt und argumentiert, dass die Schweizer Sanktionen auch ohne Mitgliedschaft in der REPO-Task Force sehr gut funktionieren würden.

Zudem will die Schweiz ihre politische Neutralität wahren, die durch den Beitritt zu einer westlichen Sanktionsallianz gegen Russland beeinträchtigt werden könnte.

Die Schweizer Sektion von Transparency International fordert, dass Anwältinnen und Finanzberater sowie Immobilien- und Kunsttransaktionen den gleichen strengen Massnahmen zur Bekämpfung der Geldwäscherei unterworfen werden sollen wie Banken.

Finanzinstitute im Visier

Der Einmarsch Russlands in die Ukraine zwang einige Schweizer Banken und andere Finanzunternehmen, ihr Russlandgeschäft zu suspendieren oder einzustellen. Aber keine der Banken berichtete von ernsthaften negativen Auswirkungen auf ihr Geschäft.

Eine Handvoll kleinerer Vermögensverwaltungen und Vermögensberatungen, die sich auf Russland konzentriert hatten, tragen die Hauptlast des verlorenen Geschäfts. Die russische Gazprombank, über die der Konzertcellist Sergei Roldugin Millionen von Franken für den russischen Präsidenten Wladimir Putin gewaschen hatte, und die Sberbank mussten ihre Schweizer Büros schliessen und Abnehmer für ihre Geschäfte suchen.

Die USA haben auch den Druck auf die Intermediäre, so genannte «Mittelsleute», erhöht – Anwältinnen, Buchhalter und Finanzberatende, die den Reichen helfen, ihr Geld auf undurchsichtige Weise zu verschieben und so unauffindbar zu machen.

Im Mai wurden unter anderem der Schweizer Vermögensverwalter Dulac Capital und sein Moskauer Büroleiter Anselm Schmucki auf die wachsende US-Sanktionsliste gesetzt.

Dulac-Chef Domino Burki sagt gegenüber SWI, das Unternehmen habe nie gegen Sanktionen verstossen und sei im Zusammenhang mit den persönlichen Geschäften von Schmucki, der Dulac Capital inzwischen verlassen hat, für «schuldig durch Assoziierung» befunden worden.

Die Konten des Finanzunternehmens seien eingefroren worden und es sei dabei, seine Aktivitäten einzustellen, fügte Burki hinzu. «Wir sind nicht schuldig. Wir sind ein Kollateralschaden», sagte er.

Die umworbene Schweizer Vermögensverwaltungsbranche konzentriert sich darauf, den Schaden für die ins Ausland fliessenden russischen Vermögen zu begrenzen.

Laut der BCG sind die Vereinigten Arabischen Emirate die Hauptnutzniesserin dieser Vermögensverschiebung. Sie haben im vergangenen Jahr 11% mehr Vermögen angezogen und verwalten nun eine halbe Billion US-Dollar.

Die Schweizer Privatbanken sind darauf bedacht, dass dieser Trend nicht auf die Kundschaft aus anderen Ländern übergreift. Es gilt, die vermögenden Eliten davon zu überzeugen, dass die Sanktionen gegen Russland die Neutralität der Schweiz nicht verwässern. Diese ist für Vermögende aus politisch instabilen Ländern ein wichtiges Verkaufsargument.

«Die Kundschaft ist nach wie vor der Meinung, dass die Schweiz ein neutrales Land ist, das sich an die Grundregeln der Neutralität hält. Daran glaube ich auch», sagt Bordier. «Sie fragen sich nicht, warum Sanktionen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen verhängt werden. Die Frage ist eher: ‹Wohin wollt ihr?› als: ‹Wo steht ihr jetzt?›.»

Rote Linien

Die USA und die EU prüfen Möglichkeiten, russische Vermögen entweder dauerhaft zu beschlagnahmen oder sie zu investieren und mit den Erträgen den Wiederaufbau der Ukraine zu unterstützen.

Beide Massnahmen sind jedoch rechtlich umstritten und gefährden die goldene Regel des Schutzes von Eigentumsrechten. Der Verlust der Rechtssicherheit, dass ein Vermögen nur dann beschlagnahmt wird, wenn eine kriminelle Handlung nachgewiesen werden kann, könnte der Vermögensverwaltungsbranche den Todesstoss versetzen.

«Die Kundinnen und Kunden wären verunsichert, wenn gewisse rote Linien überschritten würden: Die Beschlagnahmung von Vermögenswerten, ohne dass eine Straftat begangen wurde, oder die nachträgliche Schaffung von Straftatbeständen», sagt Bordier.

«Das würde viele Kundinnen und Kunden aus weniger stabilen Regionen, in denen es regelmässig Regimewechsel gibt, wirklich beunruhigen. Ihr Geld macht einen beträchtlichen Teil der in der Schweiz verwalteten Vermögen aus.»

Doch die Aussicht auf einen finanziellen Rückfluss, der Russland bestrafen und der Ukraine zugutekommen würde, ist politisch verlockend. «Der belgische Premierminister Alexander de Croo erklärte letzten Monat gegenüber den Medien: «Es entsteht ein System von Mitnahmeeffekten, und nach aktuellen Schätzungen könnten sich die Gesamteinnahmen auf drei Milliarden Euro pro Jahr belaufen.»

Auch Transparency International Schweiz würde eine solche Massnahme begrüssen. «Es müssen Lösungen gesucht werden, die rechtsstaatlichen Kriterien genügen», sagt Hilti.

Editiert von Virginie Mangin, Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub

illustration: Helen James

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