Lieber Grenzgänger, ich nehme Sie bei mir auf!
Der Grenzübertritt zwischen Italien und der Schweiz ist durch die Massnahmen gegen das Coronavirus schwieriger geworden. Im Tessin stellen viele Menschen den Grenzgängern, die im medizinischen Bereich arbeiten, kostenlos Unterkünfte zur Verfügung.
Samstag, 7. März, abends. «Die Lombardei ist eine ‹rote Zone›. Man darf weder rein noch raus», meldeten einige Medien, noch bevor die Nachricht offiziell war.
Die Sorge verbreitete sich in dieser Zeit der epidemischen Unsicherheit innerhalb weniger Minuten auch im Kanton Tessin. Eine der ersten Fragen, die sich stellte, war: «Wie werden wir jetzt den Betrieb unserer Krankenhäuser aufrechterhalten können?»
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Coronavirus: Die Situation in der Schweiz
Von den fast 70’000 Grenzgängern, die täglich zur Arbeit ins Tessin reisen, sind mehr als 4000 im Gesundheitssektor beschäftigt.
Der Zweck der von den Behörden verhängten Massnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuen Coronavirus besteht darin, den Druck auf die Pflegeeinrichtungen zu verringern und die am stärksten gefährdeten, also ältere und kranke Menschen, zu schützen. Es wäre eine bittere Ironie, wenn gerade wegen dieser Massnahmen viele Ärzte, Medizinerinnen und Pflegefachpersonen nicht zur Arbeit gehen könnten.
Jenseits der Polemiken
Von Anfang an gab es auf Facebook nicht nur Kritik an den Entscheiden der Behörden («zu spät», «übertrieben» oder «falsch»), sondern auch Solidarität.
«Ich biete kostenlose Unterkunft für medizinisches Personal/Grenzgänger, die in unserem Kanton bleiben müssen». Das ist einer von vielen Beiträgen, die seit vergangenem Wochenende von Tessinern in den sozialen Netzwerken gepostet werden.
«Gemeinsam gegen Corona!»
Das Herunterfahren des öffentlichen Lebens infolge des Coronavirus macht auch in der Schweiz vielen Menschen Probleme. Dies betrifft nicht nur die Älteren, für welche die grössten Risiken bestehen. Auch Familien mit kleinen Kindern sind betroffen. Etwa, wenn die Eltern im Homeoffice arbeiten müssen und die Kinder nicht in die Krippe gehen können, weil geschlossen hat.
Zur solidarischen gegenseitigen Hilfe im Freundes- und Bekanntenkreis wie in der Nachbarschaft können sich Menschen in selbstorganisierten Facebook-Gruppen zusammenschliessen. Dazu haben Daniel Graf und die Organisation Public Beta Externer Linkdie Internetplattform hilf-jetzt.chExterner Link aufgeschaltet.
Nevia Elezovic hat eine Facebook-GruppeExterner Link gegründet, wo solche Angebote für Unterkünfte gesammelt werden.
«Wie auch immer sich die Situation entwickelt, ich möchte Teil der Lösung und nicht Teil des Problems sein», sagt er gegenüber tvsvizzera.it/swissinfo.ch. «So wie mir geht es anderen vielleicht auch. Ich sprach mit einem Freund und vor allem mit meiner Mutter – die selbst Pflegefachfrau in einem Altersheim ist – und die Entscheidung war einfach: Wir bieten an, was wir haben. Und was wir haben, ist ein Haus.»
Die Einrichtung einer Facebook-Gruppe löst laut Elezovic das Problem der Zerstückelung. «Jetzt müssen wir nur noch dafür sorgen, dass die Botschaft dort ankommt, wo es sie braucht», sagt er.
Die Schweiz muss sich beeilen
Die Idee scheint ein Erfolg zu sein. Die Gruppe wurde am Mittwoch gegründet und in weniger als 24 Stunden wurden etwa 50 Unterkunftsangebote veröffentlicht. Darunter auch solche, die normalerweise Übernachtungen gegen Entgelt anbieten.
«Ich bin Venezianerin und möchte in meiner zweiten Heimat, der Schweiz, meinen Beitrag leisten», sagt Carla Giusto, Besitzerin des B&B Villa Artè in Locarno, wo sie drei Zimmer zur Verfügung gestellt hat.
«Wenn ich sehe, was in Venetien geschieht, habe ich den Eindruck, dass wir in der Schweiz etwas spät dran sind. Ich hoffe, sie werden sich beeilen, denn diese Geschichte ist kein Spaziergang. Aber ich glaube, dass wir es schaffen werden, wenn jeder seinen Teil dazu beiträgt, indem er sich vorsichtig und korrekt verhält.»
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Es ist ein Zeichen der Dankbarkeit gegenüber den Grenzgängern, die einen wertvollen Beitrag zur Gesundheit im Kanton Tessin leisten, besonders in Zeiten wie diesen, in der von den Mitarbeitern des Gesundheitswesens noch mehr Zeit und Energie gefordert wird.
Auch in den Städten ZürichExterner Link und BaselExterner Link haben sich Facebook-Gruppen formiert. Sie haben das Ziel, dass gesunde Bürgerinnen und Bürger für Risikogruppen die Einkäufe erledigen. Die Regeln sind einfach: «Auf Geldzahlung und Gegenleistungen wird verzichtet. Wer kann, hilft. Wer darauf angewiesen ist, nimmt Hilfe an.»
(Übertragung aus dem Italienischen: Sibilla Bondolfi)
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