Soll die Schweiz ausländische Studierende einfacher auf den Arbeitsmarkt lassen?
Nur wenige Studierende aus Nicht-EU-Ländern bleiben nach ihrem Abschluss in der Schweiz, um zu arbeiten – und dies trotz zunehmendem Fachkräftemangel. Das Parlament hat nun einen ersten Schritt unternommen, um ihre Integration zu erleichtern.
Lara* hofft, nach ihrem Studium in der Schweiz verbleiben zu können, doch ihre Hoffnung schwindet. Die rund 30-jährige Studentin aus China steht kurz vor dem Abschluss ihres Masters in internationalem und vergleichendem Recht an der Universität Zürich. «Ich möchte vor allem auch deshalb bleiben, weil ich die praktische Umsetzung der Gesetze besser verstehen will», sagt Lara, die sich mit der Gesetzgebung in den Bereichen künstliche Intelligenz und nachhaltige Entwicklung beschäftigt.
Laras Jobsuche in der Schweiz verlief aber bisher ergebnislos. Trotz monatelanger Bemühungen und dem Versand von rund 100 Bewerbungen wurde sie zu lediglich sechs bis sieben Vorstellungsgesprächen eingeladen. «Bisher habe ich noch keine positive Antwort erhalten», sagt sie.
Lara zählt zu den etwa 20’700 Studierenden aus Nicht-EU-Ländern, was einem Drittel der 61’015 ausländischen Studierenden in der Schweiz entspricht. Innerhalb dieser Gruppe sind etwa 4100 Chines:innen, 1300 Inder:innen und 1000 Amerikaner:innen vertreten.
Gemäss dem Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) wird Lara als Absolventin eines Drittstaats, der weder zur EU noch zu den EFTA-Mitgliedstaaten Island, Norwegen und Liechtenstein gehört, eine Frist von sechs Monaten gewährt, um nach Abschluss ihres Studiums eine Anstellung zu finden. Andernfalls muss sie das Land verlassen.
Darüber hinaus sieht das Gesetz vor, dass Lara nur dann angestellt werden darf, wenn das Unternehmen nachweisen kann, dass keine qualifizierte:n Schweizer:innen oder Staatsangehörige von Ländern, mit denen die Schweiz ein Abkommen über den freien Personenverkehr geschlossen hat, dem gesuchten Profil entsprechen. Studierende aus EU-Ländern sind von dieser Regelung befreit.
In einem Bericht von 2019 warnt Economiesuisse vor dem geringen Anteil ausländischer Studierender, die nach ihrem Abschluss in der Schweiz bleiben. Der Dachverband der Schweizer Unternehmen betonte damals, dass internationale Hochschulabsolvent:innen oft zu schnell aus dem Blickfeld verschwinden.
Aus dem Bericht geht hervor, dass nur 10-15% der Absolvent:innen aus Drittländern nach ihrem Studium einer Erwerbstätigkeit in der Schweiz nachgehen. Obwohl die Zahl der erteilten Arbeitsbewilligungen in den letzten beiden Jahren gestiegen ist, befindet sie sich weiterhin auf einem niedrigen Niveau. Laut dem Staatssekretariat für Migration wurden im Jahr 2021 insgesamt 440 und im Folgejahr 520 Bewilligungen erteilt.
Grosser Fachkräftemangel
Diese Abwanderung von talentierten jungen Menschen macht sich in einer Zeit bemerkbar, in der in der Schweiz ein struktureller Arbeitskräftemangel herrscht. Dieser Mangel wurde durch die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Tourismusindustrie noch verstärkt.
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Ende des Jahres 2022 waren in der Schweiz mehr als 120’000 Stellen unbesetzt, so viele wie seit 2003 nicht mehr. In verschiedenen Branchen wie der verarbeitenden Industrie, dem Gesundheitswesen, dem Handel, dem Hotel- und Gastgewerbe, dem Baugewerbe sowie der IT-Branche gibt es viele offene Positionen.
In den MINT-Studiengängen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) sind Absolvent:innen aus Drittstaaten besonders stark repräsentiert, und zwar mit 55%. Diese Personen streben in der Regel eine Karriere in technischen Berufen an, wo der Fachkräftemangel besonders ausgeprägt ist. Laut Economiesuisse weist das Maschinen- und Elektroingenieurwesen den höchsten Anteil an Absolvent:innen aus Drittstaaten auf, nämlich 17,5%.
Gesetzesänderung geplant
In der Schweiz wird seit langem über eine bessere Integration von ausländischen Studierenden, insbesondere aus Drittstaaten, diskutiert.
«Es ist nicht sinnvoll, das Studium dieser talentierten Menschen zu finanzieren, wenn die Schweiz letztendlich keinen Nutzen daraus ziehen kann», warnte Marcel Dobler, Nationalrat der FDP im Jahr 2017, als er eine Motion einreichte, um die Regierung zu einer Gesetzesänderung zu bewegen.
Gemäss Economiesuisse betragen die Kosten für die universitäre Ausbildung, Bachelor und Master zusammengenommen, pro Studierende:n etwa 23’000 Franken pro Jahr und insgesamt 133’000 Franken pro Person. Im Vergleich dazu zahlen ausländische Studierende laut der Schweizerischen Hochschulkonferenz durchschnittlich nur 1580 Franken pro Jahr. Die Differenz wird vom Staat übernommen.
Die Studiengebühren an den meisten kantonalen Universitäten und den beiden Eidgenössischen Technischen Hochschulen sind für ausländische Studierende entweder gleich hoch oder leicht höher als für Schweizer Studierende.
Der grösste Unterschied besteht an der Universität St. Gallen: Während inländische Studierende im Bachelorstudium 1229 Franken pro Semester zahlen, werden internationale Studierende mit 3129 Franken um 1900 Franken mehr zur Kasse gebeten.
An der Universität der italienischen Schweiz betragen die Kosten für ein Bachelorstudium pro Semester 2000 Franken für Schweizer Studierende und 3500 für ausländische Studierende, also 1500 mehr.
Als Reaktion auf Doblers Motion schlug die Regierung eine Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG) vor. Dieser Vorschlag sieht unter anderem vor, von der jährlichen Quote für die Anzahl der Master- und Doktoratsabsolvent:innen abzuweichen, die in der Schweiz bleiben dürfen, «wenn ihre Erwerbstätigkeit von hohem wissenschaftlichem oder wirtschaftlichem Interesse ist».
Während die meisten Parteien den Vorschlag der Regierung unterstützten, schlug die SVP vor, dass ausländische Studierende die gesamten Studienkosten selbst tragen sollten.
Andere, darunter der FDP-Parlamentarier Andrea Caroni, weisen darauf hin, dass die jährliche Quote für Aufenthaltsgenehmigungen an sich kein Problem darstelle, da sie seit 2019 nicht vollständig ausgeschöpft wurde.
Der Gesetzgebungsprozess ist in vollem Gange. Jede Änderung des Gesetzes erfordert eine Abstimmung in beiden Kammern des Parlaments. Der Nationalrat hat den Entwurf im März angenommen, der Ständerat wird voraussichtlich im Herbst erneut über den Vorschlag beraten.
Die Schweiz bleibt beliebt
Trotz der Herausforderungen auf dem etwas begrenzten Arbeitsmarkt für Studierende aus Drittländern bleibt die Schweiz noch immer ein attraktives Ziel. Laut einer vergleichenden Studie der OECD aus dem Jahr 2020 belegt die Schweiz den fünften Platz unter allen Mitgliedsländern in Bezug auf die internationale Vielfalt ihrer Studierenden und den zweiten Platz unter den nicht englischsprachigen Ländern, gleich nach Luxemburg.
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«Ich hatte bereits in China und den USA studiert und wollte in Europa weitere Erfahrungen sammeln», sagt Lara. «Die Schweiz erschien mir besonders attraktiv, da sie einerseits unabhängig ist und andererseits enge Verbindungen zur EU pflegt.»
Die Schweiz geniesst einen ausgezeichneten Ruf für die Qualität ihrer Hochschulbildung, ihre Forschungsfinanzierung und ihre Infrastruktur. Die ETH in Zürich und die EPFL in Lausanne zählen regelmässig zu den besten Universitäten weltweit.
«Als Grenzland zieht die Schweiz viele Studierende aus den Nachbarländern Frankreich, Deutschland und Italien an. Andere internationale Studierende sind von der Mehrsprachigkeit und der kulturellen Vielfalt in der Schweiz begeistert», erklärt Dimitri Sudan, der Verantwortliche für internationale Beziehungen bei Swissuniversities, der Rektorenkonferenz der Schweizer Hochschulen.
Die weit verbreitete Nutzung der englischen Sprache stelle ebenfalls einen Anreiz dar. «Nicht zuletzt ist die hohe Internationalität unter den Professor:innen ein grosser Pluspunkt – rund 50% stammen nicht aus der Schweiz», fügt Sudan hinzu.
Komplizierte Bewerbungsverfahren
Doch für Schweizer Firmen gestaltet sich die Einstellung ausländischer Studierender kompliziert. «Während eines Vorstellungsgesprächs wies mich die Personalverantwortliche darauf hin, dass das Verfahren zur Beantragung der Arbeitsbewilligung kompliziert sei. Ich hatte das Gefühl, dass dies für das Unternehmen belastend war», erinnert sich Lara.
Tatsächlich ist das Schweizer Gesetz nicht darauf ausgerichtet, Studierende im Land zu halten. Wer einen vorübergehenden Aufenthalt plant, muss garantieren, dass er die Schweiz wieder verlassen wird.
«Wenn ich hier keine Arbeit finde, werde ich mich in Deutschland bewerben», sagt Lara. «Einige Bekannte von mir haben dort nach erfolgloser Suche in der Schweiz einen Job gefunden.»
* Name der Redaktion bekannt
Editiert von Virginie Mangin. Übertragung aus dem Französischen: Christoph Kummer.
Christoph Kummer
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