Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

«Die Schweiz ist ein mehrsprachiges, kein zweisprachiges Land»

Die Schweizer lieben die italienische Küche. Die italienische Sprache jedoch sei zumindest in Bundesbern quai inexistent, monieren Vertreter aus der Südschweiz. Keystone

In der italienischen Schweiz verfolgt man die Diskussion um das Frühfranzösisch in den Deutschschweizer Primarschulen mit Erstaunen. Denn über Italienisch wird nie gesprochen.

Einige Deutschschweizer Kantone wollen in der Primarstufe Englisch als einzige Fremdsprache unterrichten. Frühfranzösisch soll in die Oberstufe verbannt werden. Bundesrat Alain Berset ist daher sauer. Selbst von einem Sprachenkrieg ist die Rede. Doch wie gut sprechen die Welschen eigentlich Deutsch? Auch diese Frage wird mit Regelmässigkeit diskutiert. Und wie häufig fahren Deutschschweizer denn in die Westschweiz?

«Wer die laufende Diskussion verfolgt, könnte den Eindruck erhalten, wir lebten in einem zweisprachigen Land – einzig mit Deutsch und Französisch beziehungsweise der Deutschschweiz und der Romandie», sagt der sozialdemokratische Tessiner Staatsrat Manuele Bertoli. Und das ärgert ihn mächtig. Bertoli ist nicht nur Erziehungs- und Bildungsdirektor im Kanton Tessin, sondern auch Präsident des «Forums für das Italienische in der Schweiz».

Dieses Forum wurde gegründet, um den Stellenwert des Italienischen in der Eidgenossenschaft zu unterstreichen und Initiativen zu seiner Förderung zu ergreifen. Immerhin handelt es sich um die dritte Landessprache. Rund 10 Prozent der Schweizer sprechen Italienisch, zirka die Hälfte als Erstsprache, die andere Hälfte als Zweitsprache, darunter viele Secondos.

Sensibilisierungskampagne

Doch um das Italienische ist es nicht gut bestellt. Die Sprache ist gesund in ihren Stammlanden, das heisst vor allem im Tessin, dem einzigen italienischsprachigen Kanton, sowie in den italienisch-bündnerischen Tälern. Ausserhalb dieses Territoriums scheint die Sprache nicht zu existieren. «In Bundesbern zumindest nicht», sagte Ignazio Cassis, Chef der freisinnigen Bundeshausfraktion, anlässlich eines Symposiums zum Italienischen, das der Tessiner Staatsrat vor kurzem während des Filmfestivals von Locarno organisiert hatte. Vor allem Deutschschweizer Regierungsräte waren zu dieser Veranstaltung geladen, bei der für das Italienische sensibilisiert werden sollte.

Wie schwierig das Unterfangen ist, zeigte allein schon die Tagungssprache. Denn die Mehrheit der Referenten sprach Französisch. «Es ist vielleicht ein wenig absurd, aber damit unsere Anliegen überhaupt verstanden werden, müssen wir in einer Fremdsprache reden», verteidigte Bertoli diesen Entscheid.

Tatsache ist, dass immer weniger Schülerinnen und Schüler in der Schweiz Italienisch als Fremdsprache lernen. Auch an den Universitäten der Deutsch- und Westschweiz wird bei den Lehrstühlen fürs Italienische konstant abgebaut. Das ist eine Situation, die den Akademikern der italienischen Philologie ein Dorn im Auge ist. «Und sie steht in Kontrast zum grossen Interesse am Italienischen», sagte Renato Martinoni, Professor für italienische Sprache und Kultur an der Universität St. Gallen (HSG).

Beliebte Italianità

Er zeigte auf, wie sich die Schweiz in den letzten Jahrzehnten eigentlich italianisiert hat, insbesondere bei den Essgewohnheiten. Vorbei die Zeiten, als «Spaghettifresser» zu den gängigen Schimpfwörtern gehörte. Längst hat sich Pasta, Lasagne und Focaccia auf den Speisekarten der helvetischen Restaurants eingebürgert. Italien steht für einen angenehmen Life-Style. «Italien ist sogar das Lieblingsland der Schweizer – wohl kaum wegen Politikern wie Berlusconi oder Renzi», so Martinoni, der mit diesem Satz den italienischen Konsul in Lugano, Marcello Fondi, in Rage brachte. Dieser verliess aus Protest den Saal.

Auch für Tatiana Crivelli, Professorin für italienische Literaturwissenschaft an der Universität Zürich, fehlt es nicht an Interesse am Italienischen. «Es mangelt an Möglichkeiten es zu lernen», kritisierte sie. In 10 Jahren seien vier Lehrstühle abgebaut worden. «Vielleicht ist der Moment gekommen, mit dem Mehrsprachigkeitsmythos der Schweiz aufzuräumen», sagte die Literaturwissenschaftlerin. In Bezug auf das Italienische sei die Entwicklung fatal, eigentlich auch unverständlich, da Italien der drittwichtigste Handelspartner der Schweiz sei.

«Ein Land, das sich über die Mehrsprachigkeit definiert, muss die Landessprachen auch pflegen», meinte Bundesrat Alain Berset just bei einer Medienkonferenz am Filmfestival in Locarno. Die Landessprachen müssten deshalb einen festen Platz in der obligatorischen Schule haben. Für viele Teilnehmer am Symposion von Locarno war indes klar, dass diese Aussage nicht nur für Deutsch und Französisch, sondern auch für das Italienische gelten sollte.

Tut die Schweiz zu wenig für ihre Sprachenvielfalt? Welche Massnahmen gilt es zu ergreifen, damit Italienisch nicht ins Abseits gerät?

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